Medizin & Wissenschaft

Haltbarkeit von Lebensmitteln: Mit Hochdruck haltbar gemacht

Lesezeit: 3 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Neben Erhitzen, Kühlen und Fermentieren kommen bei der Haltbarmachung von Lebensmitteln auch Hochdruckbehandlung, Hochspannungsimpulsbehandlung und die eBeam-Technologie zum Einsatz. Eine „aktive“ Verpackung kontrolliert die Entwicklung von Mikroorganismen und deren Stoffwechsel während der Lagerung.  

 

von Sophie Fessl 

 

Noch heute werden die klassischen Verfahren der Haltbarmachung – Erhitzen, Kühlen, Fermentieren – eingesetzt, um Mikroorganismen auf Lebensmitteln unter Kontrolle zu halten und so die Lebensmittelsicherheit und Lebensmittelqualität zu sichern. Doch es gibt auch Innovationen, erläutert Univ. Prof. Henry Jäger vom Institut für Lebensmitteltechnologie an der Universität für Bodenkultur Wien. „Durch unspezifische Verfahren kommt es zu Veränderungen der Lebensmittel. So ändert sich die Textur durch Erhitzen oder Gefrieren. Derzeit werden Überlegungen angestellt, wie der Spagat zwischen Sicherheit und Qualität verkleinert werden kann und wie man bei der Haltbarmachung zielgerichteter agieren kann.“ 

 

Während momentan beim Erhitzen das gesamte Lebensmittel erwärmt wird, um die Mikroorganismen an der Oberfläche und im Inneren zu inaktivieren, ist es ein Ziel von neueren Verfahren, nur auf die Mikroorganismen einzuwirken, während der Rest des Lebensmittels unverändert bleibt. Dafür werden unterschiedliche physikalische Kräfte genutzt, im Falle der Hochdruckbehandlung zum Beispiel ein Druck von 6000 bar. Durch den hohen Druck wird die räumliche Organisation des Mikroorganismus geschwächt und die Membran der Zelle geschädigt. Zum Teil werden auch Enzyme inaktiviert, da sich unter gewissen Bedingungen auch Proteine in ihrer räumlichen Struktur ändern. Da unter Hochdruck Wasser in Stärkekörner eingelagert wird, beginnen die Stärkekörner durch die Behandlung zu quellen. Der Druck ist allerdings nicht in der Lage, kovalente Bindungen zu beeinflussen; so bleiben Vitamine und Aromen unverändert. 

 

Eine Selektivität, also dass nur die Mikroorganismen geschädigt werden, ist unter den genutzten Bedingungen und für gewisse Lebensmittel gegeben, berichtet Jäger. „Ein Beispiel für die Anwendung sind frisch gepresste Fruchtsäfte, Smoothies oder Guacamole. Sie enthalten keine Proteine und keine Stärke, die wahrnehmbar verändert werden könnten. Farbstoffe, Vitamine und Aromastoffe werden durch die Hochdruckbehandlung nicht beeinflusst. Somit werden nur die Mikroorganismen inaktiviert.“ Damit sei die Hochdruckbehandlung für alle Lebensmittel interessant, bei denen Erhitzen schwierig ist und auf klassische Konservierungsstoffe verzichtet wird, aber dennoch eine Haltbarkeitsverlängerung erzielt werden soll. Für einen universellen Einsatz eignet sich die Hochdruckbehandlung allerdings nicht: Bei Fleisch etwa würden sich Farb- und Texturveränderungen ergeben. 

 

Tatsächlich wird das Hochdruckverfahren bereits aber auch genutzt, um in der Lebensmittelproduktion gezielte Veränderungen herbeizuführen. Protein- oder Stärkelösungen werden gezielt mit Hochdruck behandelt, um ein kaltes Gelieren herbeizuführen. Werden rohe Eier hochdruckbehandelt, zeigt sich auch das Phänomen, dass sich Eiweiß und Eigelb ohne Kochen verfestigen. „In bestimmten Prozessfenstern werden gezielte Veränderungen an der Makromolekül-Struktur herbeigeführt. Es geht aber um eine reine Veränderung der räumlichen Struktur und damit eine veränderte Löslichkeit, es werden keine Peptide freigesetzt oder kovalente Bildungen gespaltet“, erläutert Jäger. 

 

Hochspannung gegen Mikroorganismen 

Das zweite Verfahren, bei dem ein physikalisches Prinzip genutzt wird, um Mikroorganismen zu attackieren und das restliche Lebensmittel unverändert zu lassen, ist die Hochspannungs-Impulsbehandlung (Pulsed Electric Fields – PEF). Dabei werden Lebensmittel einem elektrischen Feld ausgesetzt, wodurch es zu einer Schädigung der Zellmembran durch Elektroporation kommt. „Strukturen, die keine Zellmembran haben, bleiben dadurch unverändert. Es wird gezielt die Membranstruktur geschädigt“, erklärt Jäger. Damit bleibt der Einsatz zur Haltbarmachung allerdings beschränkt. „Bei einer Behandlung von Fleisch würden natürlich auch die Zellen des Produkts beeinflusst werden. Deswegen wird das Verfahren nur zur Haltbarmachung von flüssigen Produkten genutzt, die keine Zellen außer Mikroorganismen enthalten.“ 

 

In der Lebensmittelverarbeitung wird die Hochspannungs-Impulsbehandlung eingesetzt, um zellstrukturierte Materialien wie Gemüse und Fleisch gezielt zu modifizieren. Als Beispiel führt Jäger die Behandlung von Kartoffeln in der Herstellung von Pommes frites an: Hier wird die Pflanzenzelle mittels Elektroporation aufgeschlossen, damit sich der Zellinnendruck ändert und das Gewebe weicher wird. „Die Gewebe-Erweichung kann nachfolgend genutzt werden, etwa wenn die Kartoffel geschnitten wird, da der Schneidaufwand geringer ist. Außerdem verbessert sich das Frittier-Verhalten, weil die Schnittflächen glatter sind. In Folge der Behandlung gibt es also Vorteile bei der Lebensmittelverarbeitung.“ Sowohl die Behandlung mit Hochdruck als auch die Hochspannungs-Impulsbehandlung kommen laut Jäger bereits in der industriellen Anwendung zum Einsatz: einerseits bei der Haltbarmachung von Säften und Pürees, andererseits zur gezielten Veränderung von Strukturen. 

 

Bei Milchprodukten wiederum sei die Hochtemperatur-Kurzzeiterhitzung (Extended Shelf Life – ESL) ein effizientes Verfahren, um qualitätsschonend und effektiv Mikroorganismen zu inaktivieren, erklärt Jäger. „Mikroorganismen sind gegenüber Temperaturerhöhungen empfindlicher als Inhaltsstoffe. Inhaltsstoffe sind relativ träge und leiden eher, wenn sie lange bei geringen Temperaturen erhitzt werden.“ Eine kurzzeitige Erhitzung auf hohe Temperaturen tötet daher Mikroorganismen effizient ab und ist gleichzeitig schonend in Bezug auf den Inhaltsstoff-Verlust. „Auch hier ist es eine Abwägung zwischen Lebensmittelsicherheit, Geschmack und Zusammensetzung. Rohmilch ist am unverarbeitetsten, aber trägt erhebliche Risiken. Ein Mittelweg ist daher die Hochtemperatur-Kurzzeitbehandlung“, betont Jäger. 

 

Ein weiterer Aspekt der Haltbarmachung ist die Verpackung: Während mit Hochdruck, Hochspannungsimpulsen oder klassisch mit Hitze oder Kälte die Anzahl von lebenden Mikroorganismen oder deren Stoffwechsel reduziert wird, kontrolliert die richtige Verpackung die Entwicklung von Mikroorganismen und deren Stoffwechsel während der Lagerung. Außerdem spielt die Verpackung eine wesentliche Rolle bei physiologischen Vorgängen in den Produkten wie bei der Aktivität von Enzymen oder Austrocknung. „Bei Verpackungsmaterialien läuft viel Entwicklungsarbeit, um Materialien einzusetzen, die sowohl Anforderungen an Nachhaltigkeit und verringerte Umweltauswirkungen erfüllen als auch gute Schutz- und Barrierewirkung haben“, berichtet Jäger. Aktive Verpackungen etwa kontrollieren die Gasatmosphäre während der Lagerung eines Lebensmittels. Absorber wiederum werden eingebaut, um freiwerdendes Gas von Obst und Gemüse zu absorbieren und möglichst optimale Bedingungen zu schaffen. Auch Schutzgase werden eingesetzt, sowie Schutzkulturen, bei denen Lebensmittel mit Mikroorganismen besiedelt werden, um pathogene Mikroorganismen zu unterdrücken. 

 

Weiters wird an Verfahren zur Oberflächenbehandlung gearbeitet. Ein Entwicklungsfeld ist die Behandlung mit Plasma. „Diese aktivierte Gasform enthält Radikale, Ozon, Stickoxide und diverse antimikrobiell wirksame Komponenten, die zur Oberflächenbehandlung eingesetzt werden“, erklärt Jäger. Allerdings wird Plasma zurzeit nur auf Nicht-Lebensmitteln angewendet. „Es ist immer noch zu klären, ob die Interaktion von Plasma mit dem Lebensmittel nicht zu unerwünschten Veränderungen führt.“ 

 

Die eBeam-Technologie, also die Bestrahlung mit Elektronenstrahlen, ist bereits weit entwickelt. „Es handelt sich hier um ein sehr wirksames und schonendes Verfahren, bei dem sich technisch viel getan hat.“ Allerdings ist ihr Einsatz durch die Verbraucherakzeptanz und rechtliche Rahmenbedingungen limitiert, berichtet Jäger. „Gerade in Europa gibt es noch große Einschränkungen bei den Produkten, für die eBeam-Technologie verwendet werden darf. Auch die Verbraucherwahrnehmung ist noch eher ablehnend.“ 

 

Auswirkungen auf zellulärer Ebene 

Die Grundlagenforschung konzentriert sich derzeit darauf, wie sich Methoden der Inaktivierung auf zellulärer Ebene auswirken. Außerdem werden mögliche Indikator-Spezies definiert und als Modellorganismen festgelegt. „Für die thermische Inaktivierung wissen wir, welche Mikroorganismen resistent sind und dass wir uns bei der Gestaltung eines sicheren Prozesses und den Erhitzungsbedingungen an diesen resistentesten Formen orientieren müssen“, berichtet Jäger aus der Praxis. „Für neue Technologien muss dieses Wissen erst erarbeitet werden: zum Beispiel welche Referenz-Keime wir definieren, mit denen wir Prozesse validieren können.“ Gesundheitsschädigende Auswirkungen auf den Konsumenten seien nicht zu befürchten, da die Novel-Food-Verordnung der EU das Inverkehrbringen von neuen Lebensmitteln reguliere, erklärt Jäger. „Diese Regulation betrifft auch Lebensmittel, die mit neuen Technologien prozessiert werden. Hier soll sichergestellt werden, dass aus der Behandlung kein Risiko für den Verbraucher erwächst.“ Unter der Novel-Food-Verordnung müssen neue Verfahren oder Rohstoffe angemeldet und einer Prüfung unterzogen werden. „Wenn es Hinweise darauf gibt, dass es zu signifikanten Veränderungen am Lebensmittel kommt, so muss in einer intensiven Ausarbeitung zu Toxikologie, Mikrobiologie und Nährstoffen nachgewiesen werden, ob diese Veränderungen gesundheitlich bedenklich sind oder nicht.“ 

 

Einige neue Rohstoffe wurden zum Beispiel nach der Prüfung nicht zugelassen. Die Hochdruck-Technologie wurde bereits in den 1990er-Jahren einer entsprechenden Prüfung für Frucht-Zubereitungen unterzogen und 2001 zugelassen. „Das Fazit war, dass keine gesundheitlichen Auswirkungen zu erwarten sind. Auch bei Hochspannungsimpulsen wurde gefolgert, dass keine Veränderungen am Lebensmittel vorhanden sind, die zu Einschränkungen des Nährwerts oder der gesundheitlichen Eigenschaften führen.“ Bei der Oberflächenbehandlung mit Plasma laufen diese Untersuchungen noch. „Es ist durchaus abzusehen, dass hier ein viel intensiveres Prüfungsverfahren durchlaufen werden muss, das spezifisch für bestimmte Lebensmittel zeigen muss, ob kritische Veränderungen vorhanden sind“, sagt Jäger. Und weiter: „Für Hochdruck und Hochspannungsimpulse wurde das entsprechend ausgeschlossen. Wir gehen von sicheren Lebensmitteln aus, die dann in Verkehr gebracht werden.“ 

 

Gesundheitliche Auswirkungen 

Wie sich der Verzehr von in dieser Form haltbar gemachten Produkten weiter auf die Gesundheit auswirkt, wurde bisher noch nicht durch epidemiologische Untersuchungen untersucht. Allerdings gibt es Untersuchungen dazu, wie sich stark- und hochverarbeitete Lebensmittel auswirken, erklärt Ao. Univ. Prof. Cem Ekmekcioglu, Physiologe vom Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien. Dies sei aber nicht unbedingt auf haltbar gemachte Lebensmittel umzulegen. „Diese Studien haben gezeigt, dass ein hoher Verzehr von hochverarbeiteten Lebensmitteln vor allem mit einem höheren Risiko für Übergewicht, Diabetes mellitus, ein metabolisches Syndrom und die Gesamtmortalität einhergeht – teilweise auch mit einem ungünstigen kardiometabolischen Profil.“ 

In einer Crossover-Studie aßen 20 Teilnehmer zwei Wochen lang nach Belieben hochverarbeitete Lebensmittel, in den beiden anderen Wochen unverarbeitete Lebensmittel. „Wenn sie täglich hochverarbeitete Lebensmittel aßen, nahmen sie nach zwei Wochen 0,9 Kilogramm an Gewicht zu“, berichtet Ekmekcioglu. „Hingegen kam es nach zwei Wochen Verzehr von frisch zubereiteten Lebensmitteln zu einem Gewichtsverlust.“ Es gäbe mehrere Gründe, weswegen hochverarbeitete Lebensmittel das Risiko für eine positive Energiebilanz erhöhen, erklärt Ekmekcioglu. „Man isst mehr, weil es besser schmeckt oder weniger sättigend ist, womit das Risiko für eine positive Energiebilanz steigt. Außerdem haben hochverarbeitete Lebensmittel oft eine hohe Energiedichte, was eine höhere Kalorienzufuhr begünstigt.“ Die Crossover-Studie zeigte etwa, dass die Blutspiegel von Sättigungshormonen bei Probanden geringer waren, wenn sie hochverarbeitete Lebensmittel zu sich nahmen, als wenn sie unverarbeitete Lebensmittel aßen – auch das sei laut Ekmekcioglu ein Erklärungsansatz. 

Ein weiterer, mechanistischer Erklärungsansatz, wieso der Verzehr von hochverarbeiteten Lebensmitteln zu einem höheren Risiko für Übergewicht und ein metabolisches Syndrom führt: Zusatzstoffe. Auf diese kann jedoch nach der Haltbarmachung mit neuen Methoden teilweise verzichtet werden. Besonders der Zusatz von Zucker und Salz seien zum Teil mit Zivilisationskrankheiten wie Diabetes mellitus und hohem Blutdruck assoziiert, betont Ekmekcioglu. 


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 08 /25.04.2022

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