Medizin & Wissenschaft

Hormonersatz-
therapie: Vielfältig und gezielt

Lesezeit: 3 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Große Verunsicherung haben die „Women’s Health Initiative“ und auch die „Million Women Study“ ausgelöst – vor allem im Hinblick auf das Mammakarzinom-Risiko. Um Frauen mit Wechselbeschwerden angemessen und individuell behandeln zu können, ist den Aussagen von Experten zufolge ein differenzierter Blick auf die Beschwerden und die Behandlungsoptionen notwendig. Diese sind in den letzten Jahren vielfältig geworden und gezielt möglich. 
 
von Sophie Fessl 

 

Die Hormonersatztherapie zur Behandlung von Beschwerden rund um die Menopause sei in den letzten Jahren sowohl vielfältig als auch gezielt geworden, berichtet Univ. Prof. Bettina Toth von der Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin der Medizinischen Universität Innsbruck. Toth weiter: „Jetzt geht es darum, aus der Fülle der Behandlungsmöglichkeiten spezifisch und individuell auf die Patientin und ihre Symptomstärke ausgerichtet die geeignete Therapie auszuwählen.“

 

Als die Hormonersatztherapie auch in Österreich erstmals ihre Hochblüte erlebte, war deren Einsatz noch nicht so differenziert, erinnert sich Univ. Prof. Peter Frigo von der Hormonambulanz an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde der Medizinischen Universität Wien. „Die Idee damals – Mitte bis Ende der 1990er-Jahre – war, dass jede Frau ab 50 Hormone bekommen sollte, da es ja dann zu einem natürlichen Abfall der Hormone kommt. Und man dachte, man tue der Frau etwas Gutes, damit sie einen Knochenschutz erhält und weniger schnell altert.“ Als „sehr verlockend“ bezeichnet Frigo die damalige Sicht auf die Hormonersatztherapie, denn bis auf onkologische Fälle wurden Hormone relativ unkritisch verschrieben. „Diese Verschreibungspraxis ist im anglo-amerikanischen Raum noch verbreitet“, berichtet Frigo. Zwar wurde auch in den 1990er-Jahren in Österreich vor und während einer Hormonersatztherapie der Hormonstatus erhoben und die Therapie monitort. Trotzdem kam es zu Verschreibungen von Hormonersatztherapie als „Anti-Aging-Maßnahme“, erinnert sich Frigo. „Anti-Aging war früher eine Indikation für Hormonersatztherapie. Da wurde diese unkritisch auch gegen Falten verschrieben.“ 

 

Einzige Indikation heute: Menopause 

 

Heute ist die einzige zugelassene Indikation für eine Hormonersatztherapie das Auftreten von Beschwerden im Rahmen der Menopause. Denn die vormals unkritische Verschreibungspraxis änderte sich nach der Jahrtausendwende, auch durch Studien wie die „Million Women Study“ aus dem Vereinigten Königreich und die „Women’s Health Initiative“, eine Serie von klinischen Studien initiiert durch die National Institutes of Health in den USA. 2002 wurden die ersten Ergebnisse dieser prospektiven Langzeitstudie in den USA veröffentlicht. In die Studie wurden insgesamt mehr als 161.000 Frauen zwischen 50 und 79 Jahren aufgenommen. Schwerpunkt der Forschung waren Prävention und die Ermittlung von Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Osteoporose speziell bei Frauen. Die Ergebnisse dieser Studie sowie auch jener der „Million Women Study“ führten zu einer Diskussion über die Hormonersatztherapie, da die Studienergebnisse der Hormonersatztherapie eine Erhöhung der Brustkrebsfälle bescheinigten. 

 

20 Jahre nach der ersten Veröffentlichung ergäbe sich ein kritischerer Blick auf die Studienergebnisse – und vor allem auf das negative Licht, unter dem die Hormonersatztherapie seither häufig gesehen werde, betont Toth. „Wir müssen damit kämpfen, dass durch diese Arbeit nicht mehr differenziert wird. Aber wir brauchen einen differenzierten Blick auf die Wechseljahre und die Behandlungsoptionen, um Frauen angemessen und individuell behandeln zu können.“ 

So gäbe es aus heutiger Sicht auch einige Kritikpunkte am damaligen Studiendesign: So wurden etwa das Alter und die Vorerkrankungen nicht bedacht, erläutert Toth. Die „Million Women Study“ wiederum überzeugte durch die hohe Fallzahl, war aber eine Fragebogen-basierte Studie, was zu einer Verzerrung der Ergebnisse führen könne, wie Frigo betont. „Aus heutiger Sicht sehen wir diese Studien als Mahnung zur Vorsicht, die Hormonersatztherapie nur einzusetzen, wenn es für eine Frau individuell Sinn macht. Aber diese Studien haben eine starke Verunsicherung ausgelöst“, fügt Frigo hinzu – vor allem in Bezug auf das Brustkrebsrisiko. 

 

Brustkrebs: Vielzahl von Risikofaktoren 

 

Das Brustkrebsrisiko werde durch eine Vielzahl an Risikofaktoren beeinflusst wie zum Beispiel Genetik, Körpergewicht, Rauchen, Alkoholgenuss. Es müsse daher differenziert werden, wie hoch das individuelle Brustkrebsrisiko einer Patientin sei und wie sich eine Hormonersatztherapie zusätzlich auswirken würde, erläutert Toth. „Diese bekannten Risikofaktoren für Brustkrebs sollen im Vorfeld abgeklärt und bei der individuellen Auswahl der Hormonersatztherapie mit beachtet werden. Wenn etwa eine adipöse Patientin aufgrund ihres BMI bereits ein grundsätzlich erhöhtes Risiko hat, ist die hormonelle Hormonersatztherapie natürlich ein zusätzlicher Risikofaktor, und eine Gewichtsreduktion sowie regelmäßiger Sport über mindestens 2,5 Stunden pro Woche sollten als erste Maßnahme gestartet werden.“ Aus diesem Grund sei es auch notwendig, die Frauen umfassend über die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und eventuelle Risiken aufzuklären, betont Frigo. 

 

Eine gezielte Hormonersatztherapie, die nicht nur beziehungsweise teilweise aus Hormonen besteht, ist heute nach sorgfältiger Anamnese indiziert für die Behandlung eines schweren klimakterischen Syndroms. In Abhängigkeit davon, welches Symptom oder welche Symptome bei einer Frau im Vordergrund stehen, wird eine symptomorientierte Behandlung eingeleitet. „Dabei sollte die Vielfalt der Symptome beachtet und ernst genommen werden. Wir fragen das gesamte Spektrum der Symptome ab inklusive einer Selbsteinschätzung, um abzuschätzen, worunter eine Patientin stark leidet und mit welchen Symptomen sie nach einer Risikoeinschätzung gut leben kann“, berichtet Toth aus der Praxis. 

 

Klimakterisches Syndrom: verschiedene Hormone 

 

Für die Behandlung eines schweren klimakterischen Syndroms können derzeit verschiedene Hormone eingesetzt werden. Da ab dem 40. Lebensjahr der Progesteron-Spiegel abfällt, kann bei Beschwerden wie einem verkürzten Zyklus oder verstärktem PMS eine Progesteron-Substitution begonnen werden. Estradiol wiederum ist relevant, wenn ab ungefähr dem 49. Lebensjahr die ersten Östrogen-Defizite auftreten und ein schweres klimakterisches Syndrom auslösen. Estradiol transdermal und Progesteron als Vaginalsuppositorien ermöglichen eine lokale Behandlung von Beschwerden; eine systemische Therapie kann vermieden werden. Haarwasser mit Östrogen, Progesteron oder auch Cortison kann hingegen angewendet werden, um das Haarwachstum bei Frauen in der Menopause zu verbessern. 

 

Viele Hormonpräparate sind in Österreich nicht als fertiges Produkt erhältlich, sondern müssen als magistrale Rezeptur verschrieben werden. Ein Beispiel dafür ist das Steroidhormon DHEA, das in den USA fertig verfügbar ist, in Österreich allerdings zubereitet werden muss. DHEA und Testosteron werden ab dem 60. Lebensjahr relevant, wenn die weibliche Andropause mit einem Abfall männlicher Hormone eintritt. 

 

Wie Hormonpräparate verabreicht werden, hängt auch individuell von der Frau ab, erklärt Priv. Doz. Bettina Böttcher von der Universitätsklinik für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin der Medizinischen Universität Innsbruck. „Die Dosis sollte so gering wie möglich gehalten werden, um gleichzeitig Beschwerdefreiheit zu erzielen. Wichtig ist, dass eine Kombination aus Östrogen und Gestagenen gegeben wird, sofern keine Gebärmutterentfernung durchgeführt wurde. Ob die Hormone gleichzeitig, kontinuierlich oder zyklisch gegeben werden, muss mit der Frau auch bezüglich der Handhabung abgesprochen werden.“ Die Dauer der Hormongabe hängt vom Ansprechen ab. Ganz generell sollte bei Frauen, die eine Hormonersatztherapie erhalten, regelmäßig eine Kontrolle erfolgen. Nach einer kurzfristigen Kontrolle zu Beginn der Therapie empfiehlt Toth regelmäßige Kontrollen alle drei bis sechs Monate, um die Entwicklung der Symptome zu beobachten und – wenn notwendig – eine Umstellung vorzunehmen. Auch Auslassversuche sollten durchgeführt werden. „Wenn möglich. sollte eine Hormonersatztherapie unter fünf Jahren gehalten werden und vor dem 60. Lebensjahr beendet werden. Dann ist das Brustkrebsrisiko im ganz niedrigen Bereich“, erläutert Frigo. Und Toth ergänzt: „Nach zehn bis 15 Jahren Therapie steigt das Risiko. Auch nach dem 65. Lebensjahr steigt das Brustkrebsrisiko stark an.“ Von der kurzen Therapiedauer ausgenommen sind Frauen, die vor dem 40. Lebensjahr verfrüht in den Wechsel kommen und bis zum normalen Eintrittsalter in die Menopause behandelt werden sollten. Toth weiter: „Wenn diese Frauen nicht behandelt werden, haben sie eine erhöhte Mortalität und Morbidität. Auch hier muss die Dauer der Behandlung differenziert betrachtet werden.“ 

 

Kontraindikationen für eine Hormongabe sind hormonabhängige Tumore. In die Risiko-Nutzen-Abwägung sollten aber auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenembolien sowie Übergewicht und starkes Rauchen miteinbezogen werden. Eine Kontraindikation für die Gabe von Progesteron ist das Vorliegen eines Meningeoms, aber auch schwere Lungenprobleme. Während man früher davon ausgegangen ist, dass Östrogen als Ersatztherapie das kardiale Risiko nach der Menopause verringert, sei die Sicht mittlerweile differenzierter, erklärt Frigo. „Östrogene sind tatsächlich eine Prävention, aber keine Therapie: Sie verringern das kardiale Risiko, aber nur bis zu dem Punkt, an dem erste kardiovaskuläre Probleme auftreten. Wenn bei bestehenden kardiovaskulären Problemen Östrogene verabreicht werden, kann der Bluthochdruck erhöht und ein Herzinfarkt ausgelöst werden.“ 

 

Auch für die Prävention der Osteoporose, die historisch gesehen ein Ziel der Hormonersatztherapie war, werden Hormone nicht mehr eingesetzt. Bei Osteopenie kommen daher anstatt von weiblichen Hormonen Bisphosphonate oder andere knochenaufbauende Präparate zum Einsatz. „Wenn eine Frau ein schweres klimakterisches Syndrom hat und daher Hormone erhält, hat sie einen Benefit für den Knochenschutz. Aber Knochenschutz als Indikation für die klassische Hormontherapie wurde mittlerweile gestrichen“, berichtet Frigo. 

 

Differentialdiagnostische Betrachtung 

 

Ganz generell müssten Beschwerden in der Menopause differentialdiagnostisch betrachtet werden, betont Toth. „Bei Frauen mit Stoffwechselproblemen etwa hilft eine Behandlung mit Fokus auf die Insulinresistenz, auch dann sehen wir eine Verbesserung der menopausalen Symptome.“ Bei psychischen Problemen, die in der Menopause auftreten können, wie Depressionen, Angstzustände oder erhöhte Reizbarkeit, müsse man überlegen, ob ein klassischer Ersatz der vermindert gebildeten Hormone oder eine Kooperation mit Psychologie und Psychotherapie beziehungsweise die Gabe von Antidepressiva der sinnvollere Weg sei. 

 

An den Medizinischen Universitäten Innsbruck, Wien und Linz werden außerdem derzeit Frauen in eine Studie aufgenommen, im Zuge derer ein neues Medikament untersucht wird, das gezielt in die Hitzeregulation eingreift. „Es wurde bisher gezeigt, dass mit diesem nicht-hormonellen Präparat die Hitzewallungen besonders gut behandelt werden können“, berichtet Böttcher. „Damit können eventuell zukünftig auch Frauen mit Kontraindikationen gegen hormonelle Präparate behandelt werden.“ 

 

Um Frauen gezielt und evidenzbasiert behandeln zu können, wäre eine größere Vielfalt an Produkten wünschenswert, betont Toth. „Alle zum Einsatz kommenden Produkte sollten Studien unterliegen, auch pflanzliche Produkte. Gerade im Bereich der pflanzlichen Medikation ist noch viel Spielraum. Wir benötigen mehr Studien, die ihre Effektivität auch in möglichen Kombinationen prüfen. Die Vielfalt der Behandlungsmöglichkeiten ist notwendig, um die Symptome zu behandeln und eine individuelle Einstellung zu erreichen.“ 


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 08 /25.04.2022

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