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Akutes Abdomen: Unspezifisch und extraabdominal

Lesezeit: 3 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Obwohl der akute Bauchschmerz eine Notfallsituation darstellt, lässt sich die erste Verdachtsdiagnose bei über 50-Jährigen nicht einmal bei jedem zweiten Betroffenen bestätigen. Auch zahlreiche Erkrankungen mit extraabdominalen Ursachen wie Pneumonie oder ein atypischer Myokardinfarkt können mit der Symptomatik eines akuten Abdomens auftreten.

von Manuela‑C. Warscher

Definiert wird das akute Abdomen als kurzfristig (innerhalb der letzten 48 Stunden) aufgetretene starke Schmerzen mit einer peritonealen Reizung und einer Zustandsverschlechterung. Leitsymptome sind neben Schmerzen die Tonuserhöhung der Bauchwand und die Steigerung der Darmperistaltik. Dabei kann sich dieser Schmerz vor allem bei geriatrischen Patienten untypisch präsentieren oder gar nicht vorhanden sein. So hat beispielsweise die Hälfte der Patienten mit einer akuten Cholezystitis keinerlei Schmerzen. „Bei knapp der Hälfte der Patienten findet man die Ursachen nicht heraus und der Schmerz verschwindet von selbst“, erklärt Univ. Prof. Stephan Kriwanek von der Chirurgischen Abteilung des Donauspitals in Wien. Dies komme vor allem bei Infektionen vor.

Vielfältige Ursachen

Die Ursachen sind vielfältig und können vom Harn- oder Stuhlverhalt bis zum Ileus und zur Pankreatitis reichen. „Allerdings gibt es auch eine Reihe von Erkrankungen mit extraabdominalen Ursachen wie etwa eine Pneumonie oder ein atypischer Herzinfarkt, die mit der Symptomatik eines akuten Abdomens auftreten“, betont Kriwanek. Tatsächlich gehen besonders beim älteren Patienten Erkrankungen des Herzkreislaufsystems (Myokardinfarkt, Endokarditis), des Respirationstraktes (Pneumonie, Pulmonalemoblien) oder des Stoffwechsels (Hyperkalziämie) mit unspezifischen Abdominalschmerzen einher. „Auch ein Kolonkarzinom kann die Ursache für Bauchschmerzen sein“, so Kriwanek. Daher sei es „schwierig, mit Sicherheit festzustellen, wie krank der Patient wirklich ist und wie rasch er weitere Abklärungen braucht“.

In der Regel geben Art und Lokalisation des Schmerzes Hinweise auf mögliche Ursachen. Typisch für eine Appendizitis sind dumpfe Schmerzen, die sich nach einem schmerzfreien Intervall in stechende Schmerzen wandeln. Die Mesenterialischämie ist von einem plötzlichen und heftigen Schmerz begleitet, der spontan abklingt und auch bei der Perforation von entzündeten Hohlorganen kommt es nach initialen Schmerzspitzen spontan zur Besserung. „Ein akuter Schmerz auf der linken Seite kann auf eine Divertikulitis, auf der rechten Seite auf eine Appendizitis und quer auf eine Pleuritis hindeuten. Ein rezidivierender Schmerz wiederum lässt vor allem bei älteren Patienten eine Differentialdiagnose auf Darmträgheit zu“, bestätigt Internist Prof. Gerald Ohrenberger vom Haus der Barmherzigkeit in Wien. Tatsächlich setzen Verdauungsprobleme dem „alten Menschen besonders zu“, der – abhängig von einer vorliegenden Demenz – auch „selten genaue Angaben zur Schmerzlokalisation machen“ kann. Immerhin leidet etwa ein Fünftel der über 65-Jährigen an Motilitätsstörungen, Frauen tendenziell häufiger, und die Obstipation nimmt mit dem Alter zu. Gründe dafür sind Bewegungsarmut, Polymorbidität und Polypharmazie. Umso wichtiger sei daher ein Blick auf die verordneten Arzneimittel: „Acht von zehn älteren Patienten leiden aufgrund der Einnahme von Morphin oder Antidepressiva an Motilitätsstörungen“, so Ohrenberger. Ein Hinweis auf Schmerzen sei dann meist die motorische Unruhe des Patienten. „Bei einem agitierten alten Menschen sollte ein Griff auf den Bauch und die Frage nach dem Stuhl- und Harnverhalten Standard sein“, so Ohrenberger.

Zuerst: Auskultation

Die Diagnose basiert auf einer gezielten Anamnese und körperlichen Untersuchung, bei der die Reihenfolge Auskultation, Palpation und Perkussion gilt. Wird die Auskultation vor der Palpation und Perkussion durchgeführt, vermeidet man eine ungewollte Anregung der Darmperistaltik und eine Verschleierung von Erkrankungen wie Subileus. Die Untersuchung sollte vorsichtig erfolgen und je nach Verdachtsdiagnose die Palpation durch Perkussion ersetzt werden, um eine unnötige Schmerzintensivierung zu vermeiden. Diverse Laboruntersuchungen richten sich nach der vermuteten Indikation und umfassen unter anderem C‑reaktives Protein, Blutbild, Amylase und/oder Lipase im Serum oder Urinsediment. „Labor und/oder Bildgebung zur Abklärung von Gallen- oder Nierensteinen spezifizieren die Ergebnisse in weiterer Folge und ermöglichen die rasche Therapie“, so Kriwanek. Ohrenberger ergänzt: „Vor allem eine Entzündungsbeteiligung kann durch das Labor ausgeschlossen werden.“ Sollten zur weiteren Abklärung bildgebende Verfahren indiziert sein, dann wird das schnellste, den Patienten am wenigsten belastende Verfahren gewählt. „Die größte Aussagekraft hat dabei das kontrastmittelverstärkte CT. Beim alten Patienten müssen vor allem die Nierenwerte und die Schilddrüse beachtet werden“, führt Kriwanek aus.

Therapie folgt Schmerzintensität

Jegliche therapeutische Maßnahme hängt von der Schmerzintensität ab. „Eine intravenöse Analgesie zur ersten Linderung der Schmerzen ist in jedem Fall angezeigt“, so Kriwanek. Nachdem Motilitätsstörungen die häufigste Ursache von akuten Bauchschmerzen sind, sollte bei älteren Patienten – so Ohrenberger – die „Begleitmedikation eingespart“ und auf „natürliche Darmregulierung“ durch ballaststoffreiche Kost geachtet werden. Er rät jedoch von einer zu abrupten Umstellung ab, da diese Motilitätsstörungen weiter verschlimmern könne. Bauchmassagen und Bewegung helfen außerdem, die Darmtätigkeit anzuregen. Zu beachten ist, dass viele ältere Patienten „Stuhlneurosen, die bis zur Panik reichen, haben“. Daher sollte eine abführende Medikation alle zwei bis drei Tage vorgesehen werden. Bei Bauchaortenaneurysmen hängen die „weiteren Therapieschritte vom Kreislaufzustand des Patienten ab. Dabei stehen heute allerdings operative Eingriffe nicht mehr im Zentrum der Interventionen“, so Kriwanek.

Auf einen Blick

1) Akute Bauchschmerzen können sich beim geriatrischen Patienten untypisch präsentieren oder gar nicht vorhanden sein. So ist beispielsweise die Hälfte der Patienten mit einer akuten Cholezystitis schmerzfrei.

2) Die Ursachen für akute Bauchschmerzen können von Harn- und Stuhlverhalten bis hin zur Pankreatitis reichen; können aber auch extraabdominal bedingt sein (Pneumonie, atypischer Myokardinfarkt).

3) Akute Bauchschmerzen links deuten auf Divertikulitis, rechts auf Appendizitis hin; rezidivierender Bauchschmerz auf Darmträgheit (motorische Unruhe des Patienten).

4) Bei Darmmotilitätsstörungen ist die – schrittweise – Umstellung auf ballaststoffreiche Kost angezeigt; bei Stuhlneurosen alle zwei bis drei Tage Laxantien.


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 /25.06.2022
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