Medizin & Wissenschaft

Allergien und Neurodermitis: Therapie laufend anpassen

Lesezeit: 2 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Obwohl die Neigung für eine Erkrankung aus dem atopischen Formenkreis genetisch bedingt ist, ändern sich die Manifestation und die häufigsten Krankheitsbilder im Lauf des Lebens. Dementsprechend muss die Therapie je nach Krankheitsaktivität in einem stetigen step up, step down laufend angepasst werden.

von Sophie Fessl

Das Risiko, eine Allergie zu entwickeln, liege in der Normalbevölkerung bei zwischen fünf und 15 Prozent“, erläutert Univ. Prof. Zsolt Szépfalusi von der Atem- und Allergieambulanz der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Medizinischen Universität Wien. „Haben allerdings beide Eltern die gleiche Erkrankung aus dem atopischen Formenkreis, so steigt das Risiko des Kindes auf 50 bis 60 Prozent.“ Allerdings erkranken Kinder von Eltern, die an Asthma leiden, nicht unbedingt an Asthma. Auch andere Erkrankungen aus dem atopischen Formenkreis wie atopische Dermatitis, allergische Rhinokonjunktivitis oder eine Nahrungsmittelallergie sind möglich. „Bei Kleinkindern steht eher die atopische Dermatitis im Vordergrund. Die inhalativen Allergien und das Asthma steigen in ihrer Häufigkeit im Laufe des Lebens“, erklärt Assoz. Prof. Gunter Sturm vom Allergieambulatorium Reumannplatz in Wien.

Die Manifestation ändert sich charakteristischerweise im Lauf des Lebens. „In den ersten Lebenswochen und Lebensmonaten können bereits zwei Entitäten auftreten: die Neurodermitis und die Nahrungsmittelallergie“, berichtet Szépfalusi. Babys mit Nahrungsmittelallergie reagieren meist auf bestimmte Nahrungsmittel, die sie bereits erhalten haben, wie Milch, Ei und Weizenprodukte. „Diese Nahrungsmittelallergien bessern sich meist um das dritte bis vierte Lebensjahr vor allem bei Sensibilisierung auf Grundnahrungsmittel. Sensibilisierungen auf Erd- und Baumnüsse haben eher die Neigung, zu persistieren und über viele Jahre bestehen zu bleiben.“

Bei Babys tritt die Neurodermitis meist in atypischen Lokalisationen, eher streckseitig, auf. Sturm weiter: „Die Neurodermitis tritt oft an den Wangen, am Bauch, an den Ellenbogen und den Knien auf. Typischerweise ändert sich die Lokalisation bei größeren Kindern und Jugendlichen auf beugeseitige Stellen.“ Auch Kinder, die bereits in den ersten Lebenswochen und Monaten eine Neurodermitis entwickeln, erfahren tendenziell eine Besserung über die Jahre – selbst bei mittelschwerer bis schwerer Neurodermitis. Eine Besserung der Ekzeme kann auftreten, allerdings bleibt die Haut weiterhin trocken und empfindlich. „Wenn die Neurodermitis weiterbesteht, so handelt es sich leider meistens um hartnäckigere, schwere Formen, die auch schwerer zu behandeln sind“, sagt Sturm. Allerdings kann eine Neurodermitis auch erstmals im Erwachsenenalter auftreten. Hier handelt es sich ebenfalls meistens um hartnäckige und schwer behandelbare Formen, die oft die Hände betreffen.

Atemwegsprobleme im Vorschulalter

„Im Vorschulalters, wenn Neurodermitis und Nahrungsmittelallergien tendenziell eine Besserung erfahren, treten meist erstmalig Anzeichen von Atemwegsproblemen auf“, berichtet Szépfalusi. Meist trifft es Kinder, die bereits eine mittelschwere bis schwere Ausprägung der Neurodermitis zeigten. „Es kommt zu einem Tausch der Manifestation: Während Neurodermitis und Nahrungsmittelallergien an Bedeutung verlieren, nehmen inhalative Allergien zu und etablieren sich.“ So treten am Ende des Vorschulalters meist die ersten Symptome von allergischer Rhinitis und Asthma auf. Im Schulalter können neben einer bestehenden Allergie – meist auf Baum- oder Gräserpollen – auch Kreuzallergien auftreten. „Im großen Unterschied zu primären Nahrungsmittelallergien, die durch Grundnahrungsmittel ausgelöst werden, werden Kreuzallergien durch Obst und Kräuter ausgelöst und manifestieren sich mit milden Beschwerden im lokalen Mundbereich.“

Inhalative Allergien bleiben auch im Erwachsenenalter bestehen. „Manchmal wird die Hoffnung genährt, dass sich inhalative Allergien in der Pubertät bessern. Das ist allerdings durch Daten nicht gut zu unterstützen“, erklärt Szépfalusi. Zwar könne sich die Erkrankung stabilisieren, was Szépfalusi allerdings darauf zurückführt, dass die betroffenen Jugendlichen lernen, mit ihrer Erkrankung besser umzugehen. „Grundsätzlich verschwindet die Erkrankung allerdings nicht.“

Wurde früher von einem atopischen Marsch oder einem „Etagenwechsel“ gesprochen, bei dem es zuerst zu einer inhalativen Allergie die oberen Atemwege betreffend kommt und danach zu allergischem Asthma, wird über dieses Modell mittlerweile diskutiert. „Durch Studien ist nicht klar belegt, ob durch Therapieansätze ein Wechsel von Heuschnupfen auf Asthma verhindert werden kann“, sagt Szépfalusi. Sturm unterstreicht, wie unterschiedlich die Verläufe sein können. „Manchmal kommt es sehr rasch zur Entwicklung eines allergischen Asthmas, aber nicht immer und der Verlauf ist nicht vorhersagbar.“ Szépfalusi etwa führt an, dass rund ein Drittel bis zur Hälfte der Patienten mit allergischer Rhinitis und oberen Atemwegsproblemen auch eine Neigung zu oder bereits eine leichte Ausprägung von allergischem Asthma hat.

Immuntherapie bei kontrolliertem Asthma

Beide Experten raten dazu, bei Symptomen einer inhalativen Allergie eine allergische Immuntherapie zu beginnen. „Früher wurde bei allergischem Asthma keine Immuntherapie mehr durchgeführt. Jetzt wird eine Immuntherapie auch bei kontrolliertem Asthma empfohlen“, berichtet Sturm. Immuntherapien stehen heute nicht nur für die subkutane Verabreichung zur Verfügung wie für die Hauptallergene Baum- und Gräserpollen sowie Hausstaubmilbe, sondern auch für Ragweedpollen sind sublinguale Immuntherapien in Tabletten- oder Tropfenform verfügbar. „Die Erst-Einnahme der Tabletten erfolgt immer in der Ordination oder im Ambulatorium. Wenn diese gut vertragen wird, kann die Therapie zuhause weitergeführt werden“, sagt Sturm.

Eine Immuntherapie kann bereits bei einer Erstmanifestation ab dem fünften Lebensjahr erfolgen, erklärt Szépfalusi. „Wir wissen, dass ein Zuwarten keinen Vorteil hat. Wenn ein Kind mit fünf oder sechs Jahren eindeutig eine allergische Rhinitis aufweist, so gibt es extrem geringe Hoffnung, dass diese vergeht.“ Um instabile Phasen der Erkrankung zu verhindern, rät Szépfalusi dazu, bereits frühzeitig nach einer eindeutigen Diagnose mit einer Therapie zu beginnen, die sich gut in den Alltag eingliedern lässt.

So wie sich die Manifestation von atopischen Erkrankungen im Lauf des Lebens verändern, so muss auch die Therapie angepasst werden. „Bei allen Allergieerkrankungen, inklusive dem Asthma, sollte man – wenn eine Stabilisierung erreicht wurde – versuchen, die Therapie zu reduzieren. Wir möchten nicht ein ganzes Leben behandeln, sondern gemäß der Aktivität der Krankheit die Therapie laufend anpassen“, sagt Szépfalusi. Es können auch Immuntherapien gegen mehrere Allergene gleichzeitig durchgeführt werden, indem zwei unterschiedliche Präparate gleichzeitig oder mit kurzem zeitlichen Abstand appliziert werden.

Bei Neurodermitis und der Neigung zu trockener Haut sollte stets – auch im Erwachsenenalter – die Haut gepflegt werden, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Die Entzündungshemmung, die bei Schüben notwendig ist, ist ebenfalls an den Bedarf angepasst. „Patienten mit Neurodermitis brauchen nicht ihr Leben lang eine dauernde Kortisonbehandlung, sondern oft nur über kürzere Phasen je nach Entzündungsaktivität der Hauterkrankung“, berichtet Szépfalusi aus der Praxis. Bei mittelschweren bis schweren Formen können Biologika gezielt eingesetzt werden, diese haben ebenfalls eine Zulassung im Kindesalter erhalten. „Auch diese Therapie erfolgt nicht zwingend das ganze Leben lang. Nach einer Besserung wird eine Therapiepause versucht, um zu sehen, ob sich die Krankheit in einer Remissionsphase befindet.“ Bei allen Allergien wird die Therapie individuell an die Beschwerden angepasst. „Es erfolgt stetig ein step up, step down, um die Therapie angemessen an der Krankheitsaktivität auszurichten“, so Szépfalusi.


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13–14 /15.07.2022
Fotolia #33104520| Urheber: Jürgen Fälchle


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