Medizin & Wissenschaft

Herpes zoster: Komplizierter Verlauf

Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Höheres Lebensalter und bestimmte Lokalisationen einer Herpes-zoster-Infektion gelten als Risikofaktor für die Entwicklung einer Post-zoster-Neuralgie. In den ersten drei Monaten nach der Diagnose Herpes zoster steigt das Risiko für eine Zoster-spezifische Komplikation. Davon sind bis zu 30 Prozent betroffen.

von Irene Mlekusch

Die häufigste Komplikation bei Herpes zoster stellen anhaltende neuropathische Schmerzen (Post-zoster-Neuralgie; postherpetische Neuralgie) dar, die auch nach den initialen Hauteffloreszenzen drei Monate oder länger bestehen bleiben. Die Betroffenen beschreiben die Schmerzen oft als unerträglich; sie führen mitunter zu erheblichen Einschränkungen im täglichen Leben, zu Schlafstörungen und psychischen Beeinträchtigungen. Dabei können die Beschwerden von Taubheitsgefühl, Dysästhesien, Pruritus und dynamisch taktiler Allodynie begleitet sein. Univ. Prof. Rainer Kunstfeld von der Universitätsklinik für Dermatologie an der Medizinischen Universität Wien berichtet in diesem Zusammenhang von einem Patienten, für den das Tragen von Kleidung noch Monate nach seiner Herpes-zoster-Erkrankung unerträglich war: „Solche Patienten sitzen mit nacktem Oberkörper zuhause und vereinsamen.“ Zugleich mit der Post-zoster-Neuralgie – aber auch allein – kann ein Post-zoster-Pruritus auftreten, der mitunter zu schwerwiegenden Selbstverletzungen führt.

Höheres Lebensalter gilt nachweislich als Risikofaktor für die Entwicklung einer Post-zoster-Neuralgie. Außerdem scheinen diejenigen mit bestimmten Lokalisationen wie kranial oder sakral oder bei Zoster ophthalmicus sowie jene mit sehr starken Schmerzen in der Prodromalphase und langwierigen Hautveränderungen eher eine Post-zoster-Neuralgie zu entwickeln. „Als Risikofaktoren für Komplikationen werden Grunderkrankungen und Immunsuppression inklusive Tumore, Hämopathien, HIV-Infektion, Organ- und Stammzelltransplantation sowie andere immunsuppressive medikamentöse Therapien angesehen“, erklärt Kunstfeld. Außerdem könne es bei Immunsupprimierten auch öfter zu Extremfällen des Herpes zoster mit seltenen Komplikationen wie Virämie, Pneumonie, Hepatitis und Enzephalitis kommen. Univ. Prof. Andreas Schlager von der Universitätsklinik für Anästhesie und Intensivmedizin der Medizinischen Universität Innsbruck weist darauf hin, dass das Risiko für Zoster-spezifische Komplikationen in den ersten drei Monaten nach der Diagnose steigt. Pathophysiologisch geht man derzeit von einer dauerhaften Schädigung der betroffenen Neuronen, einer Ganglionitis und einer Degeneration der epidermalen Innervation aus. Periphere Mechanismen wie Demyelinisierung, Axonverlust und Small-fiber-Degeneration spielen ebenso eine Rolle wie zentrale Vorgänge im Sinn einer Reorganisation im Hinterhorn und neuroplastisch zentralen Veränderungen.

Okuläre Manifestation

In bis zu 20 Prozent aller Fälle manifestiert sich Zoster okulär; dabei ist vor allem der versorgende Ast des N. trigeminus betroffen. „Etwa die Hälfte der Fälle mit Zoster ophthalmicus weist mehr als nur eine Hautbeteiligung auf. Am häufigsten sind Keratitis, Konjunktivitis und Uveitis“, fasst Kunstfeld zusammen. Und weiter: „Die Augenbeteiligung bei Zoster ophthalmicus kann mit einer zeitlichen Verzögerung von mehr als vier Wochen auftreten und unbehandelt bis zur Erblindung führen“. Vor allem der Befall der nasociliaren Teilung der Nervus ophthalmicus ist mit einer hohen Komplikationsrate verbunden. Darüber hinaus haben Patienten mit Zoster ophthalmicus ein bis zu vierfach erhöhtes Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse nach der Erkrankung – unabhängig vom Alter.

Seltener breitet sich die Infektion im Gebiet der Hirnnerven VII und VIII aus, vor allem das Ganglion geniculi und der Nervus intermedius sind bei Zoster oticus befallen. „Klinisch charakteristische Zeichen für einen Zoster oticus sind Ohrenschmerzen, Schwindel, Hörminderung bis Hörverlust, Gesichtsnervenlähmung und vesiculäre Effloreszenzen auf der Ohrmuschel und im äußeren Gehörgang“, so Kunstfeld. Weniger als ein Prozent aller Herpes-zoster-Patienten entwickelt ein Ramsay-Hunt-Syndrom, das sich durch eine Kombination von Zoster oticus und einer peripheren Fazialisparese sowie eine mögliche Beeinträchtigung anderer Hirnnerven wie V, IX und X präsentiert. Es können Störungen im Bereich der Gesichtsmuskulatur, des Hörens und des Gleichgewichts, Sensibilitätsausfälle und Störungen des Geschmacks sowie der Tränen‑, Nasen- und Speichelsekretion auftreten. „Ein Zoster oticus kann zu Hörverlust und bleibenden Fazialisparesen auf der betroffenen Seite führen“, erinnert Kunstfeld. Stehen Schwindel, Tinnitus und Hörverlust im Vordergrund, ist eher der Nervus vestibulocochlearis betroffen.

Selten lebensbedrohlich

Ein lebensbedrohlicher Zoster generalisatus oder disseminierter kutaner und/oder systemischer Zoster hingegen kommen sehr selten vor. Dabei können einzelne Organe betroffen sein wie zum Beispiel bei der akuten Pseudoobstruktion des Kolons oder der Zoster-Pneumonie, welche mit einer Mortalitätsrate von zehn bis 30 Prozent eine gefährliche Komplikation darstellt. Der viszerale Zoster äußert sich als Ösophagitis, Myokarditis oder Pankreatitis und reicht bis zum Multiorganversagen, das trotz antiviraler Systemtherapie häufig fatal verläuft. Kunstfeld weist darauf hin, dass sich ein Befall des gesamten Nervensystems üblicherweise nur bei starker primärer Schwächung des Immunsystems beispielsweise bei AIDS oder Leukämie findet. Verdächtig für Enzephalitis und Meningoenzephalitis sind Bewusstseinstrübungen, Kopfschmerzen und Fieber vor allem bei Zoster-Patienten über 80 Jahren. Des Weiteren können Zoster-assoziiert eine Myelitis, Zerebellitis, Radikulitis, das Guillain-Barré-Syndrom und Vaskulopathien der intra- und extrakraniellen Arterien auftreten. Ebenso wurden im Rahmen einer Erkrankung auch eine Riesenzellarteritis, eine Leukozytoklastische Vaskulitis, Arteritis temporalis und granulomatöse Aortitis und in seltenen Fällen eine IgA-Vaskulitis mit gastrointestinalen Symptomen beschrieben. Bei bis zu 60 Prozent der Betroffenen mit Zoster in der Kopf-Hals-Region gibt es asymptomatische Manifestationen im zentralen Nervensystem in Form von pathologischen Liquorbefunden. Bakterielle Superinfektionen der Haut bis hin zum Erysipel finden sich vor allem bei Patienten unter Immunsuppression. Häufige Erreger sind Staphylokokken und Streptokokken. Purulente Einschmelzungen, der Zoster gangränosus, Einblutungen oder Zoster hämorrhagicus, Dissemination sowie die Entstehung von hyper- und hypopigmentierten Narben im Bereich der betroffenen Hautareale sind weitere Komplikationen.

Weiters haben Personen nach einer Herpes-zoster-Episode ein erhöhtes Risiko für einen Myokardinfarkt, Insult oder eine Vaskulitis. Ist der erste Trigeminusast befallen, hat der Betroffene ein 4,5‑fach erhöhtes Risiko für einen Schlaganfall. Ganz generell steigt das Insultrisiko innerhalb eines Jahres nach einem Herpes zoster um 30 Prozent.

Die Therapie der Post-zoster-Neuralgie sei „schwierig und komplex“ und für manche Patienten nicht zufriedenstellend. „Eine frühzeitige Diagnose und vor allem eine rasche adäquate antivirale und symptomatische Therapie können das Auftreten von Komplikationen vermindern“, merkt Schlager an. Schmerzen im Rahmen einer Herpes-zoster-Infektion müssten umgehend und fachgerecht behandelt werden, da die Gefahr einer Chronifizierung sehr hoch sei. Bei der Behandlung der Post-zoster-Neuralgie kommen ähnliche Medikamente zum Einsatz wie bei akuten Zoster-bedingten Schmerzen. „Da es sich um neuropathische Schmerzen handelt, werden diese medikamentös nach den Empfehlungen für die Behandlung von neuropathischen Schmerzen nach Leitlinien der DGN von 2018 behandelt“, erklärt Schlager. Er empfiehlt Antikonvulsiva wie Gabapentin oder Pregabalin sowie Antidepressiva wie Amitriptylin und – off-label – auch Duloxetin. Bei starken Schmerzen rät Schlager unter kontrollierten Bedingungen kurzfristig zu Opioiden der WHO-Stufe II wie Tramadol oder auch der WHO-Stufe III wie Oxycodon oder Hydromorphon. Sobald die Haut nach einer Herpes-zoster-Infektion wieder intakt ist, können auch topische Verfahren zur Schmerzlinderung eingesetzt werden. Schlager dazu: „5%-ige Lidocain-Pflaster, 8 %-Capsaicin-Pflaster oder auch lokale Injektionen mit Botulinum-Toxin-Typ A sind in Verwendung.“ Vor allem Patienten mit mechanischer Allodynie dürften laut Schlager von intra- oder subkutanen Botulinum-Toxin-Injektionen profitieren. Epidurale und paravertebrale Nervenblockaden mit Lokalanästhetika oder Steroiden können allein oder in Kombination mit einer systemischen Standardtherapie ebenfalls eine Schmerzreduktion oder vollständige Remission bewirken. „Nicht-medikamentös werden begleitend transkutane elektrische Stimulation und Akupunktur empfohlen“, ergänzt Schlager. Für deren Wirksamkeit lägen jedoch keine ausreichenden Daten vor, schränkt er ein. Weiters kann als Ergänzung auch eine kognitive Therapie oder Verhaltenstherapie empfohlen werden.

Impfung mindert Risiko und Komplikationen

Die zunehmende Immunoseneszenz kann vor allem bei älteren Menschen zur Reaktivierung der latenten Virusinfektion führen. „Die Komplikationen bei Herpes zoster sind mitunter massiv und verursachen hohe Kosten des Gesundheitssystems“, warnt Kunstfeld. Und weiter: „Der Impfstoff senkt das Herpes-zoster-Risiko um über 90 Prozent in allen Altersgruppen über 50 Jahre.“ Schlager fügt hinzu, dass durch die Impfung auch das Auftreten der möglichen Zoster-assoziierten Komplikationen gemindert werde. Aber Personen, die bereits daran erkrankt sind, können unabhängig von ihrem Immunstatus geimpft werden. Kunstfeld dazu: „Der Impfstoff gilt als reaktogen. Die Patienten sollten darauf vorbereitet werden, dass sie die Impfung in Form von lokalen oder systemischen Impfreaktionen spüren werden.“


Bildquellen & Copyright

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 /25.09.2022
Fotolia #137327355| Urheber: Ольга Тернавская


Ganzen Artikel lesen
Cookie