Medizin & Wissenschaft

Internistische Erkrankungen im Alter – Co-Faktoren beachten

Lesezeit: 3 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Bei älteren Patienten präsentieren sich internistische Erkrankungen oft nicht mit der typischen Symptomatik. Ebenso besteht bei einer Erkrankung ein erhöhtes Risiko für Komplikationen, Chronifizierung und Folgeerkrankungen. Aufgrund der eingeschränkten Kognition kann die Beschreibung von Schmerzen und Symptomen schwierig sein. 

 

von Sophie Fessl 

 

Bei geriatrischen Patienten mit internistischen Erkrankungen sind zahlreiche zusätzliche Faktoren zu beachten, erklärt Univ. Prof. Monika Lechleitner vom LKH Hochzirl-Natters. „Für geriatrische Patienten charakteristisch ist das gleichzeitige Vorkommen mehrerer Erkrankungen, die Multimorbidität, und das erhöhte Risiko, bei Erkrankungen Komplikationen, Chronifizierungen und Folgeerkrankungen zu erleiden.“ Im Alter können alle klassischen Symptome jeder Erkrankung verschleiert sein, fügt Univ. Prof. Peter Fasching von der 5. Medizinischen Abteilung mit Endokrinologie, Rheumatologie und Akutgeriatrie der Klinik Ottakring in Wien hinzu. „Einerseits kann die Kognition manchmal relevant eingeschränkt sein, sodass die Beschreibung der Schmerzen und Symptome schwierig ist. Manche Symptome wie Durst und Fieber können im Alter außerdem deutlich abgeschwächt sein, da der Organismus nicht mehr so energisch auf Reize reagiert.“ 

 

Altersassoziierte degenerative Veränderungen der Gefäßwand führen zu einer Reduktion der Elastizität und zu einem erhöhten Risiko für die Entwicklung vor allem einer systolischen Hypertonie im Alter, erklärt Lechleitner: Rund 60 Prozent der über 65-Jährigen leiden an einer Hypertonie. Im höheren Alter werden zum Teil auch etwas höhere Blutdruckwerte toleriert. Lechleitner verweist auf adaptierte Blutdruckzielwerte der Österreichischen Diabetes-Gesellschaft für alte Patienten mit einem RR<150/85 mmHg, „wobei die Zielwerte abhängig von der Komplexität und den Komorbiditäten sind“. Fasching hingegen rät, dass der Blutdruck auch bei Patienten über 80 Jahren nicht über 140/85 mmHg liegen sollte – außer im Einzelfall. Bei der Therapie der arteriellen Hypertonie gilt das Prinzip „start low, go slow“. Dabei sollte auch die Nierenfunktion beachtet und in weiterer Folge kontrolliert werden, ebenso die Elektrolytwerte. „Im Alter besteht ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Hyponatriämie“, erklärt Lechleitner.

 

Zusammenhang: Hypertonie und Herzinsuffizienz

 

In Zusammenhang mit einer arteriellen Hypertonie steht besonders bei älteren Patienten die Herzinsuffizienz oder Herzschwäche, die auch bei erhaltener Linksventrikelfunktion auftreten kann, wenn eine langjährige arterielle Hypertonie vorliegt. Wenn Blutdruckwerte in die Höhe schnellen, können Lungenstauung und Atemnot auftreten, berichtet Fasching. „Atemnot muss daher abgeklärt werden. Es sollten der Blutdruck gemessen und die Herzkreislaufsituation angesehen werden, um allenfalls durch Blutdrucksenkung und entwässernde Medikamente eine Hilfestellung zu leisten.“ Auch eine Herzinsuffizienz mit reduzierter Linksventrikelfunktion sollte bei älteren Patienten mitbedacht werden; vor allem wenn die körperliche Leistung schwächer wird, sollte eine Abklärung erfolgen. Hier rät Fasching zur Bestimmung des NT-pro-BNP, zur Diagnose und Quantifizierung der Herzinsuffizienz. 

 

Vorsicht bei neu auftretendem VHF 

 

Die Prävalenz von weiteren kardiovaskulären Erkrankungen wie Koronare Herzkrankheit und pAVK, aber auch das Schlaganfallrisiko steigen laut Lechleitner im Alter deutlich an. Auch das Vorhofflimmern und degenerative Herzklappenveränderungen sind mit dem Alter assoziiert. „Besonders achtzugeben ist auf die Diagnose eines neu aufgetretenen Vorhofflimmerns, der häufigsten Herzrhythmusstörung im Alter“, sagt Fasching. Erscheint der getastete Puls unregelmäßig, sehr rasch oder sehr langsam, empfiehlt Fasching ein EKG, um festzustellen, ob ein Sinusrhythmus oder eine Form der Herzrhythmusstörung vorliegt. Prinzipiell könne versucht werden, ein neu aufgetretenes Vorhofflimmern elektrisch oder medikamentös in einen normalen Sinusrhythmus zurückzuführen. Bei hochbetagten Menschen werde dies allerdings in vielen Fällen nicht mehr versucht, da das Vorhofflimmern schon länger besteht oder organische Ursachen am Herzen dafür verantwortlich sind. „Daher wird bei alten Menschen oft die Rhythmuskontrolle medikamentös hergestellt, damit das Herz nicht zu rasch schlägt und kein tachykardes Vorhofflimmern auftritt“, erklärt Fasching. 

Die Diagnose eines Vorhofflimmerns ist insofern wichtig, da bei alten Menschen mit Vorhofflimmern eine Blutgerinnungshemmung mit oralen Antikoagulantien eingeleitet werden muss. Während dafür früher häufig Vitamin-K-Antagonisten eingesetzt wurden, so werden heute in der Erstlinientherapie meist direkte orale Antikoagulantien verabreicht. Die Blutverdünnung ist wichtig, betont Fasching, da bekannt ist, dass bei alten Menschen mit persistierendem Vorhofflimmern doch häufiger ischämische Schlaganfälle durch Embolien aus dem Herzen ausgelöst werden. „Daher ist die Schlaganfallprophylaxe eine der wesentlichen Aufgaben des betreuenden Arztes, indem die Blutverdünnung eingeleitet wird.“ 

 

Bei Rhythmusstörungen beim älteren Patienten sollte nicht nur auf Störungen, die mit zu schnellem Herzschlag verbunden sind, wie dem tachykarden Vorhofflimmern geachtet werden, sondern auch auf Störungen, die mit einem langsamen Herzrhythmus verbunden sind – dem Sick-Sinus-Syndrom. Sollte ein bradykarder Sinusrhythmus mit Frequenzen unter 50 auffallen, empfiehlt Fasching, alle Medikamente, die potentiell den Herzrhythmus verlangsamen – wie Beta-Blocker und andere Antihypertensiva – abzusetzen und ein 24-Stunden-EKG durchzuführen, um die langsamsten Frequenzen zu erfassen und festzustellen, ob längere Pausen auftreten. „Diese können verantwortlich sein für Schwindel, Stürze und Synkopen. Daher ist eine Rhythmusabklärung wichtig“, betont Fasching. 

 

Tritt bei einem Patienten ein dauernder langsamer Puls auf oder eine Brady-/Tachykardie – also ein Wechsel zwischen zu raschem und zu langsamen Puls – dann ist nach Konsultation eines kardiologischen Spezialisten auch die Implantation eines geeigneten Herzschrittmachers anzudenken. Diese stellt auch für hochbetagte Patienten keine höhere Gefährdung dar, so Fasching, da die gering verletzenden Eingriffe tagesklinisch oder mit kurzem Klinikaufenthalt in Lokalanästhesie durchgeführt werden können. 

 

Bei koronaren Herzerkrankungen können typische stenokardische Schmerzsymptome fehlen. „Anstelle der charakteristischen Symptome treten sogenannte geriatrische Syndrome auf oder verschlechtern sich“, berichtet Lechleitner. „Zu den häufigen geriatrischen Syndromen zählen die Immobilität und Sturzneigung, Malnutrition und Sarkopenie, Frailty, Inkontinenz und Delir.“ Altern ist außerdem ein therapeutisch bislang nicht beeinflussbarer kardiovaskulärer Risikofaktor. Weitere relevante Risikofaktoren sind Hypertonie, Typ 2Diabetes und Dyslipidämie. Studienevidenz, dass eine lipidsenkende Therapie vorteilhafte Effekte hat, liegt den Aussagen von Lechleitner zufolge besonders für die Statintherapie bis zu einem Alter von 82 Jahren vor. Allerdings ist bei der Zielwert-Definition die Gesamtsituation des Patienten zu beachten wie etwa Komorbiditäten, kognitive und funktionelle Einschränkungen, Lebenserwartung sowie das Risiko von Arzneimittelnebenwirkungen und Arzneimittelinteraktionen. Die Prävalenz von Diabetes, besonders von Typ-2-Diabetes, steigt mit zunehmendem Lebensalter an, berichtet Lechleitner. Rund 60 Prozent aller Typ-2Diabetiker sind über 65 Jahre alt. „Die geschätzte Diabetesprävalenz entsprechend dem Lebensalter beträgt rund ein Prozent für die Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen und steigt auf 20 Prozent für die 70- bis 74-Jährigen an.“ 

 

Diabetes mellitus manifestiert sich schleichend 

 

Bei älteren Menschen könne sich ein Diabetes mellitus auch schleichend manifestieren, erklärt Fasching. Dabei komme es zur Verschlechterung der Zuckerwerte über einen längeren Zeitraum, die schließlich in einer schweren diabetischen Stoffwechselentgleisung münde. Zu den Symptomen zählen körperliche Müdigkeit und Abgeschlagenheit. Symptome, die bei jüngeren Patienten diabetesspezifisch sind wie ein starkes Durstgefühl oder Polyurie können bei älteren Menschen fehlen oder aber fehlinterpretiert werden – etwa bei einer Diuretikatherapie. 

 

„Wenn sich ein älterer Patient mit körperlicher Abgeschlagenheit präsentiert oder mit kognitiven Funktionseinschränkungen, da er dem Umfeld wesensverändert vorkommt, abwesend ist, sich Dinge schlechter merkt, sollte auf jeden Fall der Blutzucker kontrolliert und ein Harnzuckerstreifen verwendet werden, um zu erkennen, ob eine Ketoazidose vorliegt“, rät Fasching. Bei Verdacht auf eine prädiabetische Stoffwechsellage sollte der HbA1c-Wert bestimmt werden. Da die pankreatische Insulinsekretion altersassoziiert beeinträchtigt sein kann, sollte zusätzlich zum Nüchternblutzucker auch der postprandiale Wert erhoben werden. 

 

Hypoglykämierisiko steigt mit dem  Alter

 

„Das Hypoglykämierisiko steigt mit zunehmendem Lebensalter“, ergänzt Lechleitner. Und weiter: „Die gegenregulatorischen Mechanismen können durch altersassoziierte Veränderungen oder Begleitmedikationen wie Beta-Blocker oder Sedativa eingeschränkt sein.“ Wichtig sei daher eine Therapiewahl mit einem möglichst geringen Hypoglykämierisiko. 

 

Ganz generell rät Fasching dazu, bei jedem Symptom oder Zustand bei älteren Patienten zu überlegen, ob es sich nicht um eine Arzneimittelnebenwirkung oder -wechselwirkung aufgrund der häufig notwendigen Polypharmazie handeln kann. Da durch Psychopharmaka und Herz-Kreislauf-Medikation die Mineralstoffe im Blut entgleisen können, in erster Linie Natrium, Kalium und Chlorid, empfiehlt Fasching bei unklaren Umständen im Alter auch die Elektrolytwerte, Mineralstoffe und die Nierenfunktion zu untersuchen. 

 

Harnwegsinfekte 

 

Aufgrund von Harnentleerungsstörungen durch Prostatavergrößerung beziehungsweise funktionelle Miktionsprobleme bei Frauen erhöhe Restharn die Gefahr für Harnwegsinfektionen besonders bei geriatrischen Patienten, erklärt Fasching. „Klassische Symptome, die an das Vorliegen eines Harnwegsinfekts denken lassen wie Brennen beim Harnlassen oder häufiger Harndrang sind beim alten Menschen verdeckt beziehungsweise nicht wahrnehmbar. Die Reaktion des Körpers mit hohem Fieber und Schüttelfrost ist im Alter außerdem nicht so ausgeprägt vorhanden.“ Wenn ein Patient abgeschlagen, müde und apathisch erscheint oder plötzlich einen niedrigen Blutdruck hat, soll mittels Harnstreifen ein bakterieller Harnwegsinfekt ausgeschlossen werden.

 

Lungenerkrankungen 

 

COPD, akute und chronische Bronchitis, ambulant erworbene Pneumonie, Lungenfibrose und Lungenkarzinom sind die häufigsten Lungenerkrankungen im Alte. Die Diagnose einer akuten infektionsbedingten Erkrankung kann sich bei geriatrischen Patienten aufgrund der möglichen fehlenden Fieberreaktion verzögern. „Als eine Ursache rezidivierender Pneumonien muss die Aspiration bei Dysphagie in Erwägung gezogen werden. Die fachärztliche Abklärung, logopädische Beurteilung und Anpassung der Kostform sind wichtig für die weitere Versorgung“, erklärt Lechleitner.

 

Wenn ein hochbetagter Patient neu übernommen wird, rät Fasching dazu, einen Lungenfunktionstest durchzuführen oder einzuholen, sowie zu einem Lungenröntgen, um die Ausgangssituation für die kardiopulmonale Problematik besser beurteilen zu können. Bei Vorliegen einer COPD wird diese primär inhalativ behandelt. Bei geringer Sauerstoffsättigung kann eine Langzeit-Sauerstofftherapie notwendig werden. „Wenn zusätzlich zur bestehenden Lungenüberblähung eine Infektion auftritt, kommt es durch Engstellung der Bronchien zur weiteren Beeinträchtigung der Atmung, die zu einer kritischen Sauerstoffversorgung führen kann“, beschreibt Fasching. Außerdem sei die Gefahr größer, dass eine Pneumonie – auch assoziiert mit einer Influenza- oder COVID-19-Erkrankung – auftritt. 

 

Rheumatische Erkrankungen 

 

Das Erstauftreten von rheumatologisch autoimmunverursachten Erkrankungen sei besonders im höheren Alter eher selten, erklärt Fasching. Vielmehr seien es degenerative Veränderungen, die Beschwerden verursachten. „Die Prävalenz degenerativer Gelenkserkrankungen steigt im höheren Lebensalter deutlich an und rund 50 Prozent der über 65-Jährigen leiden an Arthritis oder Osteochondrose“, berichtet Lechleitner. Daraus resultierende Bewegungseinschränkungen und die bei älteren Menschen häufig begleitende Sarkopenie führen zu funktionellen Einschränkungen, häufig auch zum Verlust der Selbstständigkeit. Die Hauptrisikofaktoren für eine Sarkopenie sind Immobilität sowie Malnutrition.

 

„Derzeit nimmt man an, dass rund ein Drittel der Patienten mit rheumatoider Arthritis im Alter von über 60 Jahren daran erkrankt.“ Bei der Behandlung kommen konventionelle Therapien wie Methotrexat und Biologika zum Einsatz. Die Polymyalgia rheumatica trete laut Lechleitner vorwiegend im höheren Lebensalter auf; eine Therapie mit Kortikosteroiden sei meist über einen längeren Zeitraum erforderlich. 

 

Bei Schmerzen in den Fingergelenken ist laut Fasching an eine ausgeprägte Fingergelenks-Arthrose zu denken, die sich manchmal auch schmerzhaft lokal entzündet. Auch degenerative Veränderungen in den großen Gelenken – vor allem in den Hüften und den Knien –, können zu entzündlichen Reizungen führen. „Im Alter tritt manchmal eine Wiedermanifestation oder auch Erstmanifestation einer Gichtarthritis auf – nicht nur an der typischen Stelle am Zehengrundgelenk sondern teilweise auch an anderen Gelenken“, berichtet Fasching. „Da eine Gichtarthritis nur durch Gelenkspunktion oder spezielle CT-Verfahren bewiesen werden kann, ist eine rheumatologische oder orthopädische Abklärung sinnvoll.“ 


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©Österreichische Ärztezeitung Nr. 09 /10.05.2022

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