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Ohne Hürden zum Arzt – Projekt „Barrierefreie Praxis“ hilft Menschen mit Behinderungen bei der Suche nach geeigneten Praxen

Lesezeit: 3 Minuten Quelle: Stiftung Gesundheit

Freie Arztwahl? Was für viele ein selbstverständliches Recht ist, lässt sich für Menschen mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen oft nicht realisieren. Aus diesem Grund hat die Stiftung Gesundheit das Projekt „Barrierefreie Praxis“ (BFP) ins Leben gerufen: Seit mittlerweile zehn Jahren kann jedermann in der Arzt-Auskunft kostenlos Informationen zum Grad der Barrierefreiheit der ambulanten Praxen in Deutschland abrufen.

Dr. Peter Müller, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Gesundheit, berichtet über die Anfänge, Ziele und Erfolge des Projekts.  

Herr Dr. Müller, aus welcher Motivation heraus ist vor zehn Jahren das Projekt „Barrierefreie Praxis“ entstanden?

Aus einem eklatanten Mangel heraus: Es gab damals keinerlei differenzierte und schon gar nicht flächendeckende Informationen über den Stand der Barrierefreiheit in Arztpraxen. Menschen mit Behinderungen konnten nirgendwo nachschlagen, welche Praxis die für sie benötigten Vorrichtungen bietet. Das wollten wir so nicht akzeptieren, denn unsere satzungsgemäße Aufgabe ist es, Transparenz im Gesundheitswesen zu schaffen – und das war in diesem Bereich dringend nötig.

Wie hat sich Situation durch Ihr Projekt geändert?

Seit gut zehn Jahren stellen wir die Angaben zu den verschiedenen Vorkehrungen der Barrierefreiheit in unserer Arzt-Auskunft  flächendeckend dar – und zwar such- und selektierbar. Damit sind diese Informationen für die Allgemeinheit praktisch nutzbar – kostenlos und rund um die Uhr für jedermann erreichbar.

Darüber hinaus bieten wir auch unseren Partnern an, das entsprechende Modul in deren Apps und Portale zu integrieren. Der erste Kooperationspartner, der das umgesetzt hat, war das BMAS, also das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, mit seinem Portal www.einfach-teilhaben.de. Aber auch etliche Krankenversicherer unterstützen ihre Versicherten täglich mit unseren Informationen zur Barrierefreiheit.

Gibt es inzwischen Konkurrenzprojekte anderer Anbieter?

Nein, wir sind noch immer die einzige Quelle deutschlandweit, die Informationen zur Barrierefreiheit in ambulanten Praxen flächendeckend und einheitlich erhebt, darstellt und für die Allgemeinheit praktisch nutzbar macht. Deshalb wird unsere Informationsbasis inzwischen auch immer öfter für Analysen genutzt: Sie hat zum Beispiel schon mehrfach als Grundlage für Teilhabeberichte der Bundesregierung gedient. Und auch das „Gutachten zur Weiterentwicklung der Bedarfsplanung zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung“ aus dem Jahr 2018 im Auftrag des G-BA, also des Gemeinsamen Bundesausschusses, greift auf unsere Informationsbasis zurück.

Woher erhalten Sie die Informationen zum Status in den einzelnen Praxen?

Wir haben zusammen mit Verbänden Fragebögen und Erhebungsstrategien nach internationalem Standard entwickelt. Jedes Jahr befragen wir sämtliche Mediziner in der ambulanten Versorgung, über welche Vorkehrungen der Barrierefreiheit ihre Praxis verfügt. Zusätzlich können uns Ärzte auch initiativ Veränderungen melden, beispielsweise wenn bei einer Neuniederlassung oder nach einem Praxisumbau neue Vorkehrungen zur Verfügung stehen. Diese Angaben nehmen wir dann kurzfristig und natürlich kostenlos in unser Verzeichnis auf.

Sie sprechen stets von „Vorkehrungen der Barrierefreiheit“ in der Mehrzahl – es geht also um mehr als die klassische Rampe an der Eingangstür?

Oh ja! In der öffentlichen Wahrnehmung wird „barrierefrei“ leider oft mit „rollstuhlgerecht“ gleichgesetzt, aber es geht um viel mehr: Auch Menschen mit Hör- oder Sehbehinderungen brauchen spezielle Vorkehrungen, um eine Arztpraxis ohne Hürden nutzen zu können. Das reicht von taktilen, also ertastbaren Orientierungshilfen bis hin zur Möglichkeit, in Gebärdensprache zu kommunizieren. Und Menschen mit eingeschränkter Mobilität brauchen nicht nur einen stufenfreien Zugang, sondern beispielsweise auch verstellbare Untersuchungsmöbel, die es aber bei weitem nicht in jeder Praxis gibt. Wir erheben daher sehr differenziert, was in einer Praxis vorhanden ist, und stellen dies auch so differenziert dar – damit jeder genau das findet, was er braucht.

Wie viele Praxen verfügen denn über entsprechende Vorkehrungen?

Bislang sind rund 80.000 Ärzte mit einer oder mehreren Komponenten der Barrierefreiheit in der Arzt-Auskunft verzeichnet und recherchierbar. Das hört sich im ersten Moment viel an, aber demgegenüber stehen 140.000 verzeichnete Ärzte, die erklärtermaßen über keine entsprechenden Vorkehrungen verfügen oder auf unsere Abfrage bislang nicht reagiert haben. Es gibt also noch viel zu tun, bis Teilhabe, ein genereller Zugang zur ärztlichen Versorgung sowie das Recht auf freie Arztwahl auch für Menschen mit Behinderungen selbstverständlich sind. 

 


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Portraitbild Quelle: Toni Momtschew - Artikelbild, Quelle: kitthanes/stock.adobe.com.


Die Informationen zur Barrierefreiheit sind in der Arzt-Auskunft der Stiftung Gesundheit abrufbar: www.arzt-auskunft.de

 

Ärzte können der Stiftung ihre Vorkehrungen der Barrierefreiheit über den folgenden Fragebogen kostenlos mitteilen: https://www.barrierefreie-versorgung.de/index.php/443329

 

Dr. Peter Müller, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Gesundheit, im Interview zum Projekt "Barrierefreie Praxis". 

 

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