Medizin & Wissenschaft

Demenz: Fortschritte bei Vorsorge und Therapie

Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Hörverlust und Hypertonie im mittleren Lebensalter, Bewegungsmangel und soziale Isolation sind wesentliche Risikofaktoren für die Entwicklung einer Demenzerkrankung. Erkenntnisse über Möglichkeiten der Vorsorge zeigen bereits Wirkung: In Österreich sinkt die Inzidenz. Für ein sehr frühes Krankheitsstadium stehen monoklonale Antikörper vor der Zulassung.

von Martin Schiller

Zwölf Risikofaktoren für Demenzerkrankungen – von geringer Bildung, über Alkoholkonsum bis hin zu Übergewicht und Diabetes – sind laut Experten durch Lebensstil und medizinische Vorsorge beeinflussbar. „Berücksichtigt man alle diese zwölf Faktoren, könnten 40 Prozent aller Demenzen weltweit verhindert oder hinausgezögert werden“, sagt Priv. Doz. Elisabeth Stögmann, Leiterin der Ambulanz für Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankungen am AKH Wien. Dies treffe zwar vor allem auf Low- und Middle-Income-Countries mit Optimierungspotential in der gesundheitlichen Versorgung zu, aber durchaus auch auf reiche Länder wie Österreich.

„Bis zum 20. Lebensjahr ist viel kognitive Reserve aufbaubar, daher ist Bildung in jungen Jahren ein wesentlicher Faktor in der Demenzvorbeugung“, sagt Stögmann. Auch eine späte Pensionierung in einem kognitiv anspruchsvollen Job wirke sich eher protektiv aus.

Im mittleren Lebensalter gilt Hörverlust als starker Risikofaktor für eine spätere Demenz. Hypakusis führt vermutlich zu einer Atrophie im Temporallappen des Gehirns, wo die Gehörregion repräsentiert ist. Es kommt dabei zur Degeneration von auditorischen Fasern. „Hörgeräte können jedoch dabei helfen, die Region zu aktivieren“, betont Stögmann.

Die Vermeidung von kardiovaskulären Risikofaktoren im mittleren Lebensalter trägt zur Vorbeugung von Demenz bei, wie Stögmann ausführt: „Dazu zählt vor allem eine konsequente Einstellung des Blutdrucks. Ein systolischer Wert unter 130 mm Hg erweist sich dabei als vorteilhaft.“ Der Behandlung von Übergewicht und Diabetes mellitus müsse ebenfalls ein großer Stellenwert im Hinblick auf Demenzvorbeugung eingeräumt werden. Pro Woche sind zudem zweieinhalb Stunden körperliche Aktivität empfohlen.

Ob Depression als eigenständiger Risikofaktor betrachtet werden muss, ist laut Stögmann noch offen, denn es könnte sich um ein Prodromal einer Demenz handeln: „Viele Menschen sind zwei bis drei Jahre vor Entwicklung der Demenz depressiv – möglicherweise stellt dies schon einen Teil der neurodegenerativen Erkrankung dar.“ Depression ist auch häufig mit sozialer Isolation verbunden, wodurch ein wesentlicher Teil der kognitiven Aktivierung im Leben fehle. „Sport, gemeinsames Lernen, miteinander sprechen – diese Aktivitäten schaffen und aktivieren stets neuronale Netzwerke“, merkt Stögmann an. Begleitend zu den genannten Modifikationen wird auch gesunde Ernährung empfohlen.

Vorbeugung wirkt bereits

Insgesamt steigt zwar die Prävalenz der Demenz in Österreich aufgrund von demografischen Entwicklungen, aber die Inzidenz ist in den vergangenen Jahren gesunken. Der Grund dafür: „Prävention findet bereits statt“, sagt Priv. Doz. Atbin Djamshidian, Leiter der Gedächtnisambulanz an der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck. Er nennt als Beispiel die verbesserte Einstellung von kardiovaskulären Risikofaktoren, etwa die Blutdruckwerte: „Verglichen mit der früheren Daumenregel für die Systole von 100 plus Lebensalter sind heutige Vorgaben glücklicherweise strikter und leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur Demenzvorbeugung.“

Die genannten Lebensstilmodifikationen haben auch einen messbaren Einfluss, wenn eine Demenz bereits ausgebrochen ist. „Je früher man sie allerdings umsetzt, desto effektiver sind sie“, betont Stögmann. Aus Sicht von Djamshidian sollte auch die Gabe eines Antidementivums bei milden kognitiven Störungen im Rahmen einer neurodegenerativen Erkrankung stets in ein Gesamtkonzept an Aktivitäten eingebettet sein: „Die Progression wird verlangsamt, wenn zur medikamentösen Therapie auch Bewegungsarten ausprobiert und neue Dinge erlernt werden – jedoch am besten unter professioneller Aufsicht.“ Er verweist auf das Innsbrucker Modell, in dem Patienten mit einer milden Gedächtnisstörung einem gezielten Trainingsprogramm mit Balanceübungen und leichtem Ausdauertraining inklusive laufendem Erlernen neuer Übungen zugewiesen werden.

Zwölf Risikofaktoren für Demenz

Laut einer Lancet-Publikation aus 2020* sind folgende zwölf Risikofaktoren für Demenzerkrankungen durch Lebensstil und medizinische Vorsorge beeinflussbar:

  • geringe Bildung
  • Hörverlust
  • Schädel-Hirn-Traumen
  • Hypertonie
  • Alkoholkonsum
  • Übergewicht
  • Rauchen
  • Depression
  • soziale Isolation
  • Bewegungsmangel
  • Diabetes mellitus
  • Luftverschmutzung

* Livingston G, Huntley J, Sommerlad A et al., Dementia prevention, intervention, and care: 2020 report oft he Lancet Commission. Lancet 2020; 396: 413-46

Frühe Warnzeichen

Eine Gedächtnisschwäche als früher Hinweis auf den Beginn einer Demenz liegt laut Djamshidian vor, wenn es mindestens sechs Monate zu subjektiv störenden Beeinträchtigungen kommt und diese im Alltag bereits Probleme machen. Darunter falle auch eine glaubhafte Verschlechterung der Gedächtnisleistung – sowohl nach eigenen Angaben der Betroffenen als auch aus dem engen privaten Umfeld. Ebenfalls ein Warnsignal ist laut Stögmann, wenn im Gespräch wiederholt dieselben Fragen gestellt werden oder der vorangegangene Tag nicht wiedergegeben werden kann. Besondere Stressoren oder Schlafmangel müssen stets als auslösende Faktoren ausgeschlossen sein.

Nach ausführlicher Anamnese wird ein neuropsychologischer Test wie der Mini-Mental-Status-Test durchgeführt. Stögmann meint, dass der Test in frühen Stadien der Erkrankung nicht sehr sensitiv ist, aber dennoch Auffälligkeiten anzeigen kann, die eine weitere Abklärung erfordern. Djamshidian stuft diesen „eher als oberflächlichen Test“ ein und streicht hier die Bedeutung von Tests des verbalen Gedächtnisses, der mentalen Flexibilität und zum Lernen und Wiedergeben von Inhalten heraus wie etwa die CERAD*-Testbatterie. „In Relation zu Normwerten gesetzt, ergibt sich daraus die Entscheidung, ob erweiterte Untersuchungen wie eine zerebrale Magnetresonanz oder Blutbefunde notwendig sind“, so Djamshidian. Zudem müssten neuropsychiatrische Ursachen wie Depression oder Angststörung als Ursache für ermittelte kognitiven Beeinträchtigungen ausgeschlossen werden.

Große Zukunftshoffnungen setzen die Experten in die spezifische Abklärung durch Blutbiomarker. Eine Nature-Publikation hat gezeigt, dass ptau 181 und ptau 217 mit neurodegenerativen Veränderungen korrelieren. Sie könnten in der Frühdiagnostik zum Einsatz kommen, vor allem bei Risikopersonen wie Menschen mit positiver Familienanamnese. Laut Stögmann ist in zwei bis drei Jahren mit einer Zulassung dieser Plasmamarker zu rechnen.

Durchbruch dank monoklonaler Antikörper

Mit Lecanemab und Donanemab stehen zwei monoklonale Antikörper gegen Amyloid-Beta vor der Zulassung bei Alzheimer-Demenz. Beide Wirkstoffe werden intravenös verabreicht – Lecanemab alle zwei Wochen, Donanemab alle vier Wochen.

In großen klinischen Studien gab es positive Ergebnisse bezüglich des Fortschreitens der Krankheit, wie Stögmann ausführt: „Amyloid wird damit gleichsam aus dem Gehirn herausgewaschen. Es kann eine um 30 Prozent geringere Verschlechterung erzielt werden.“ Die beiden monoklonalen Antikörper kommen allerdings nur für sehr frühe Phasen der Alzheimer-Demenz in Frage. Zudem müssen laut Stögmann ernstzunehmende Nebenwirkungen berücksichtigt werden: „Bei 20 bis 30 Prozent der Patienten kann es zu Hirnödemen kommen. Oftmals waren diese in den Studien zwar asymptomatisch, in einigen Fällen jedoch sind schwerwiegende Auswirkungen möglich.“

Für spätere Stadien der Krankheit sind derzeit noch keine Therapien in der Pipeline. Stögmann sieht hier den Fokus auf guter Versorgung, psychosozialer Einbettung und Unterstützung der Angehörigen. Die Einbindung von Angehörigen nennt Djamshidian „hochrelevant“. In den allermeisten Fällen wünschen Patienten das Beisein von Angehörigen bei Therapiegesprächen, auch um sicherzugehen, dass keine Informationen verlorengehen. Auch das Thema Verkehrstüchtigkeit müsse hier besprochen werden, so Djamshidian: „Insgesamt ist es wichtig, etwas in den Alltag der Patienten hineinzuhören. Das betrifft auch den Lebensstil: Wird objektiv betrachtet ausreichend Bewegung gemacht? Werden Ernährungsempfehlungen umgesetzt? Das sind wichtige Fragen im Patientengespräch.“

* Consortium to Establish a Registry for Alzheimer’s Disease


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8_2024
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