Medizin & Wissenschaft
Onkologische Nachsorge:
Systemerkrankung Krebs
Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung
Bei der Nachsorge von Patienten mit einer Tumorerkrankung muss jedes neu auftretende Symptom auch im Hinblick darauf abgeklärt werden. Generell muss ein vermehrtes Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Krebs eine Systemerkrankung ist, die Scheidungsrate erhöht und zum Verlust des Arbeitsplatzes führen kann.
von Martin Schiller
Laufende Aufmerksamkeit gegenüber möglichen Symptomen des Tumors und Aufmerksamkeit, dass die meisten Patienten altersbedingt oder durch bestehende systemische Erkrankungen gut eingestellt sein müssen – das sind zwei wesentliche Bereiche der onkologischen Nachsorge. „Jedes neue Symptom muss auf einen Zusammenhang mit einer Tumorerkrankung, die der Patient bereits hatte, abgeklärt werden“, sagt Univ. Prof. Richard Greil von der Universitätsklinik für Innere Medizin III am Universitätsklinikum Salzburg.
Auf allgemeine Tumorvorsorge achten
Ein weiterer wichtiger Punkt sei das Durchführen der allgemeinen Tumorvorsorge und Prävention. Warum? Ein Patient mit einer Tumorerkrankung hat eine 20- bis 25-prozentige Wahrscheinlichkeit, parallel einen zweiten Tumor zu haben oder zu bekommen. Greil nennt ein Beispiel dazu: „Einer Frau mit einer Tumorerkrankung, die kein Mammakarzinom hat, sollte deswegen vermittelt werden, dass ein Mammografiescreening wichtig ist, weil das Risiko für eine zweite oder dritte Tumorerkrankung besteht.“
Ein wichtiges und auch komplexes Thema bei der onkologischen Nachsorge ist das Fatigue-Syndrom, wie Univ. Prof. Felix Keil von der 3. Medizinischen Abteilung am HanuschKrankenhaus in Wien festhält. „Durch Strahlentherapie oder Chemotherapie können Erschöpfungszustände, Müdigkeit und Antriebslosigkeit ausgelöst werden. In einigen Fällen kommt es zur Chronifizierung dieser Zustände.“ Auslöser für Fatigue kann eine Anämie sein, die infolge einer funktionellen Störung des Eiseneinbaus auftritt. „Untersuchungen im Rahmen der Nachsorge umfassen diesbezüglich die Abklärung eines Eisenmangels und eine Untersuchung auf funktionellen Eisenmangel“, sagt Keil. Auch endokrinologische Beeinträchtigungen können Ursache des Fatigue-Syndroms beim onkologischen Patienten sein. Außerdem solle ein Augenmerk auf die möglichen Folgen von Fatigue gelegt werden: „Viele Patienten machen infolge dessen kaum noch Bewegung, was wiederum die Entstehung von Übergewicht und Adipositas fördern kann.“ Auch Immobilisierung oder funktionelle Einschränkungen infolge der Grundkrankheit können zu Bewegungsmangel und Entwicklung von Übergewicht führen.
Osteoporose als Spätfolge
Vor allem bei Frauen, die an einem Mammakarzinom erkrankten, kann als Spätfolge Osteoporose auftreten. „26 Prozent entwickeln in den folgenden 15 Jahren Frakturen. Die Aufmerksamkeit für dieses Thema ist deshalb enorm wichtig“, betont Greil. Keil nennt den Mangel an Vitamin D und hormonelle Beeinträchtigungen als häufigste Gründe. „Gerade bei jungen onkologischen Patientinnen kann es durch eine frühe Einstellung der hormonellen Tätigkeit zu einer verfrühten Menopause kommen, wodurch sich das Osteoporose-Risiko deutlich erhöht.“ Weiters sollte besonders auf die mögliche Entstehung einer Hüftkopfnekrose infolge von Steroideinnahme oder der Strahlentherapie geachtet werden.
Stresstest für die Partnerschaft
In der Phase der Tumorerkrankung kommt es bei rund einem Drittel der Patienten zur Scheidung. „Das zeigt, wie sehr eine onkologische Erkrankung zum Stresstest für Partnerschaften wird“, so Greil. Ein erheblicher Teil der Patienten weise als Konsequenz aus der Tumorerkrankung schwere Störungen der Sexualfunktion auf. Auch die Auswirkungen von Therapien auf das Körpergefühl und das Selbstwertgefühl müssten den Aussagen der Experten zufolge berücksichtigt werden. Greil dazu: „Bei Männern sorgt diesbezüglich sehr oft das Prostatakarzinom für eine Beeinträchtigung, bei Frauen der Einsatz einer antihormonellen Therapie. Daher ist eine psychische und sexualmedizinische Nachbetreuung oftmals notwendig.“
Onko-Kardiologie
„Die Onko-Kardioloigie spielt vor allem bei Patienten, die in kurativer Intention behandelt werden, eine zentrale Rolle“, berichtet Greil. Dieser Aspekt müsse vor allem beim Einsatz von monoklonalen Antikörpern beachtet werden; besonders bei koexistenten Risikofaktoren. Keil nennt als Beispiel den Einsatz des kardiotoxischen Zytostatikums Anthracyclin. „Hier ist eine kardiologische Nachsorge jedenfalls erforderlich“. Und Greil schränkt ein: „Je höher die Lebenserwartung durch den therapeutischen Fortschritt wird und je mehr neue Substanzen zum Einsatz kommen, umso komplexer wird die Nachsorge“. So sei es schwierig, die „enorme Zahl an Medikamenten“, die jedes Jahr neu dazu kämen, zu überblicken. Und mindestens genauso schwierig sei es auch, die Nebenwirkungen, die oft erst nach einigen Jahren auftreten können, im Auge zu behalten.
Aus Sicht von Greil müsse ein verstärktes Bewusstsein geschaffen werden, dass Krebs eine Systemerkrankung ist und den Menschen auch in seiner sozialen Umgebung betrifft. Das hat oft weitreichende berufliche Konsequenzen. „Viele Betroffene verlieren ihren Arbeitsplatz oder können nur teilweise oder schwer in ihren Beruf zurückkehren. In einigen Fällen ist auch ein Berufswechsel notwendig.“ Daraus könnten sich finanzielle Härtefälle und Armutsgefährdung ergeben – vor allem, wenn gleichzeitig die Partnerschaft in die Brüche gegangen ist. Insgesamt würden diese Aspekte verdeutlichen, dass der Fokus bei der Nachsorge auch Sozialmedizin und psychische Betreuung umfassen müsse. „Auch Lebensstilberatung und sportmedizinische Beratung wären wichtig. Das führt jedoch unweigerlich zur Frage, wie man die Zeit dafür aufbringt“, sagt Greil.
Versorgung in der Schnittstelle
Im Rahmen der onkologischen Nachsorge sieht Keil Bedarf bei der Schnittstellenversorgung. Folgende Tätigkeiten könnten seiner Ansicht nach übernommen werden:
- Koordination der medizinischen Nachsorge- und Vorsorgeuntersuchungen
- Koordination von Rehabilitationsanträgen
- Überprüfung des Versicherungsstatus und gegebenenfalls Intervention bei Versicherungsträgern
- Organisation etwaiger fehlender Vorbefunde von den Schnittstellen
- Praxisunterstützung bei der Beantragung sozialer Leistungen
Als Beispiel für die Bedeutung der Schnittstellenversorgung nennt Keil die Nachsorge für Menschen, die als Jugendliche eine onkologische Erkrankung hatten und einige Jahre später in die Erwachsenenbetreuung übernommen werden. Außerdem könnten nach Rücksprache und Austausch mit spezialisierten Zentren auch Teile der Nachsorge in einer laufenden Therapie übernommen werden: „Es ist vorstellbar, dass Teile der Nachsorge ausgelagert werden, wenn eine Spezialisierung besteht, zum Beispiel auf Nebenwirkungen von der Therapie eines Mammakarzinoms. Allerdings erfordert jedes Organsystem eine eigene Spezialisierung. Alles auszulagern ist deshalb nicht möglich.“
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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 /10.03.2023
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