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Ulcus cruris und Dekubitus – Gesamtheitlich betrachten

Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Wie bei anderen chronischen Wunden geht es bei der Therapie von Dekubitus und Ulcus cruris nicht nur um die Wunde, sondern um das Gesamtbild. So haben Personen mit Wundheilungsstörungen oft ein Eiweißdefizit. Weitere Risikofaktoren sind Eisenmangel und Zinkmangel.

von Martin Schiller

Der Ernährungszustand kann ein wesentlicher Faktor für die schlechte Wundheilung von Ulcus cruris und Dekubitus sein. „Eine gute Nährstoffversorgung ist wesentlich für die Heilung von chronischen Wunden“, betont Barbara Binder von der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie der Medizinischen Universität Graz. Vor allem die Eiweißversorgung spiele eine bedeutende Rolle. „Viele Menschen mit Wundheilungsstörungen haben ein Proteindefizit.“ Risikofaktoren für die Verzögerung der Wundheilung seien außerdem Zink- und Eisenmangel. „Ein Eisenmangel begünstigt das Auftreten einer Anämie, die wiederum die Wundheilung verzögert.“ Auch Vitamine sind für die Wundheilung notwendig, wobei laut Binder vor allem Vitamin C als wichtiger Faktor diskutiert wird. „Aufnehmen sollte man all diese Nährstoffe möglichst über natürliche Nahrungsmittel. Bei einer verzögerten Wundheilung sollte der Eisen- und Eiweißstatus, HbA1c sowie die Nierenwerte bestimmt werden. Bei Erwägung einer Supplementierung von Eiweiß mittels Formula-Nahrung muss die Nierenfunktion berücksichtigt werden“, rät Binder.


Ulcus cruris: vaskuläre Pathologie

„Die am häufigsten auftretende Form ist Ulcus cruris venosum mit einem Anteil von rund 70 Prozent der Fälle. Die zweithäufigste Gruppe ist mit 20 Prozent Ulcus cruris arteriosum. Bei zehn Prozent sind venöse und arterielle Gefäße betroffen, es liegt also ein Ulcus cruris mixtum vor“, sagt Binder. Der erste Schritt bei der Diagnostik sei die Feststellung, ob die Genese venös oder arteriell ist. Ein wichtiger Anhaltspunkt: „Hat ein Patient gleichzeitig auch Varizen, kann man von einer venösen Ursache ausgehen“, erklärt Binder. Und weiter: „Auch wenn sich eine Gehstrecke von 500 Metern ohne Claudicatio intermittens bewältigen lässt, kann eine klinisch relevante arterielle Ursache weitgehend ausgeschlossen werden.“ Bei Verdacht auf eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) biete der arterielle Doppler-Index eine gute Möglichkeit für eine erste Abklärung. „Der systolische Blutdruck wird an Armen und Beinen beidseitig gemessen. Liegt der arterielle Doppler-Index über 1,0, kann eine arterielle Durchblutungsstörung als Ursache des Ulcus cruris weitgehend ausgeschlossen werden.“

Systemerkrankungen als mögliche Ursache sollten in der Anamnese erhoben werden. „Ulcus cruris kann das Symptom einer terminalen Niereninsuffizienz sein und tritt oft bei Dialyse-Patienten auf“, erklärt Binder. Ulcera können auch im Rahmen der Dermatose Pyoderma gangraenosum vorliegen, die häufig mit Autoimmunkrankheiten, rheumatologischen Erkrankungen oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen assoziiert ist.

Weitere Differentialdiagnosen sind unter anderem Necrobiosis lipoidica und – vor allem in höherem Alter – das Basalzellkarzinom. Ein wichtiger Punkt der Anamnese betrifft die allergologische Vorgeschichte, da „bei bis zu 70 Prozent der Ulcus-cruris-Patienten eine Kontaktsensibilisierung besteht“, wie Binder berichtet. Dies gelte es auch bei der Auswahl von Pflegeprodukten für die Haut zu bedenken.

Gesamtbild entscheidend

Für die Therapie des Ulcus cruris gibt es so wie auch für andere chronische Wunden ein Credo: „Es geht nicht nur um die Wunde, sondern um das Gesamtbild.“ Daher müsse eine Kausaltherapie in Kombination mit einer Lokaltherapie in Form moderner Wundbehandlung erfolgen.

Standard in der modernen Wundversorgung ist die feuchte Wundbehandlung. Die Wundauflagen müssen dabei der Exsudat-Menge angepasst werden. „Das Milieu soll feucht sein, der Verband darf aber nicht nass werden. Andernfalls muss ein Verband mit einer höheren Saugfähigkeit verwendet werden“, erklärt Binder die obersten Prinzipien des Exsudationsmanagements. Ein weiterer zu beachtender Faktor ist die Infektionsprophylaxe. Dafür stehen antiseptische und antimikrobielle Lösungen und entsprechende Wundverbände für den kurzzeitigen Einsatz zur Verfügung. Binder verweist auf eine „Red flag“: „Kritisch ist die Keimbelastung der Wunde zu sehen, wenn es zu üblem Geruch, Schmerzen und schmieriger Sekretion kommt.

In diesem Fall muss sofort eine antiseptische und antibakterielle Lokaltherapie durchgeführt werden.“ Die „wichtigste“ (Binder) Säule bei der Therapie des Ulcus cruris venosum ist die Kompression. „Im Fall eines arteriellen Ulcus cruris darf jedoch nicht komprimiert werden“, sagt Binder.

Varizenbehandlung als Ulcusprävention

Durch frühzeitige Abklärung und Behandlung von Beschwerden in den Beinen lässt sich ein späteres Ulcus cruris verhindern. Binder gibt ein Beispiel: „Hat ein 45-Jähriger Varizen, sind initial Kompressionsstrümpfe der Klasse 2 empfohlen. Folgen sollte eine genaue Abklärung der Varizen und/oder eine invasive kausale Therapie als Prävention einer chronisch venösen Insuffizienz.“

Lokaltherapie mit M.O.I.S.T.
Als Orientierungshilfe für die Lokaltherapie chronischer Wunden dient das Behandlungskonzept M.O.I.S.T. Es ist eine Weiterentwicklung des lange bewährten T.I.M.E.-Konzepts.

Die Buchstaben stehen für:
Moisture balance; Exsudatmanagement: Feuchtigkeitsbalance als Goldstandard in der Behandlung chronischer Wunden.Oxygen balance: Behandlungsoptionen zur Wiederherstellung der Sauerstoffbalance, da Hypoxie in der Pathophysiologie chronischer Wunden eine wesentliche Rolle spielt.

  • Infection control: beschreibt sämtliche antimikrobielle Strategien
  • Support: Unterstützung des Wundheilungsprozesses durch Modifikation von Entzündungsmediatoren, Matrixmetalloproteinasen (MMP), ph-Wert oder Wachstumsfaktoren
  • Tissue management: umfasst alle Maßnahmen der Wundreinigung und des Debridements

Bildquellen & Copyright

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23–24 /15.12.2022
Unsplash #mIyZDPhuyY0 Urheber: Dan Cristian Pădureț 


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