Medizin & Wissenschaft

Hyperurikämie und Gicht:
Ernährung senkt Harnsäurespiegel

Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Liegt der Harnsäurewert über 10 mg/dl, kommt es bei 50 Prozent der Betroffenen in den kommenden drei bis fünf Jahren zu einem Gichtanfall. Neben der medikamentösen Senkung in diesem Stadium hat auch die Ernährung großen Einfluss – immerhin kann dadurch der Harnsäurespiegel um rund ein Fünftel gesenkt werden.

 

von Martin Schiller

Insgesamt 28 genetische Risikofaktoren für erhöhte Harnsäurespiegel hat das internationale Global Urate Genetics Consortium (GUCC) nach Analyse des Genoms von mehr als 140.000 Personen ermittelt. „Die Genetik ist ein starker Einflussfaktor für die Entwicklung einer Hyperurikämie. Ihr Anteil liegt bei rund 80 Prozent“, sagt Raimund Lunzer von der Abteilung für Innere Medizin am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Graz. Dennoch: Aktuellen Studien zufolge kann man mit der Ernährung den Harnsäurespiegel um 18 bis 20 Prozent senken. Die Österreichische Gesellschaft für Rheumatologie und Rehabilitation (ÖGR) hat dieses Jahr ein Update mit Lebensstil-Optimierungen für Patienten mit Gicht und Hyperurikämie erstellt.*

Die wesentlichen Maßnahmen: Gewichtsabnahme bei bestehendem Übergewicht, Reduktion von rotem Fleisch und verarbeiteten Fleischwaren sowie Einschränkungen bei Genuss von Meeresfrüchten und Alkohol. „Man kann sich stark an den Grundsätzen der Mittelmeerkost mit viel Gemüse, Obst, maßvollem Fleischkonsum und regelmäßigem Verzehr von Fisch ohne Haut orientieren“, sagt Priv. Doz. Rudolf Puchner von der Danube Private University (DPU) Krems, der an der Erstellung des Updates beteiligt war. Auch die DASH-Diet (Dietary Approaches to Stop Hypertension), die auf einem hohen Anteil von Vollkornprodukten, fettarmen Milcherzeugnissen, Früchten und Nüssen sowie einem niedrigen Anteil von Fleisch basiert, sei diesbezüglich empfehlenswert. Lunzer rät dazu, beim Konsum von Fleisch dieses vorher zu kochen, da Purine zu einem großen Teil ins Kochwasser übergehen.

Eine aktive Senkung des Harnsäuresiegels könne laut Puchner durch den täglichen Konsum von fettarmen Milchprodukten erzielt werden. Grünes Licht gibt es auch für den Konsum von Kaffee. „Regelmäßiger Genuss von Kaffee kann helfen, den Harnsäurespiegel zu senken – auch in Ergänzung zu Diät und Medikamenten – und ist daher zu befürworten. Der diesbezügliche Evidenzgrad ist gut“, berichtet Puchner. Lunzer verweist auf den positiven Effekt von Vitamin C. „Die tägliche Einnahme von 500 mg senkt den Harnsäurespiegel innerhalb von zwei Monaten um 20 Prozent. Und auch Kirschextrakte können zur Senkung eingesetzt werden.“ Das seien aber nur Beobachtungen, denn: „Wie soll man eine Studiengruppe ohne Kaffee und Vitamin C etablieren?“

Flüssigkeitszufuhr entscheidend

Eine wichtige Rolle in den Empfehlungen spielt die Flüssigkeitszufuhr. „Bei Dehydrierung ist die Harnsäurekonzentration höher. Damit steigt auch das Risiko für eine Gichtattacke. Daher wird empfohlen, altersadaptiert täglich mindestens eineinhalb bis zwei Liter Wasser oder Tee zu trinken“, erklärt Puchner. Patienten mit Hyperurikämie und Gicht sollten vor allem Fruchtsäfte meiden – speziell Orangensaft – und mit Fruchtzucker gesüßte Getränken, da der Abbau von Fruktose zum Anstieg des Harnsäurespiegels führt. Lunzer warnt besonders vor dem Inhaltsstoff High Fructose Corn Syrup (HFCS): „Diese künstliche Fruktose steigert den Harnsäurespiegel um das Vier- bis Achtfache. Außerdem fördert sie die Entstehung einer nichtalkoholischen Fettleber.“ Den selbst gepressten Fruchtsaft sieht er „als das geringere Problem an“. Als risikofrei gelten Light-Getränke ohne Fruktose.

Alkoholkonsum im Fokus

Im Fokus der Lebensstiltherapie steht auch das Thema Alkoholkonsum. „Alkoholische Getränke führen dazu, dass die Harnsäureausscheidung gehemmt wird. Bier ist besonders problematisch, denn hier kommt noch ein Faktor dazu, der zur Erhöhung des Harnsäurespiegels beiträgt: die Hefe. Das bedeutet wiederum, dass auch alkoholfreies Bier mit Vorsicht zu genießen ist“, erklärt Puchner. Lunzer ergänzt: „Es gibt individuell unterschiedliche Potentiale für die Ausscheidung von Harnsäure. Sie liegen zwischen 400 und 800 mg/dl pro Tag. Die durch einen halben Liter Bier zugeführten Harnsäureäquivalente übertreffen dieses Potential allerdings bereits.“

Bis vor einigen Jahren wurde Patienten mit Hyperurikämie und Gicht empfohlen, den Konsum von Hülsenfrüchten einzuschränken. Aktuell wird von Bohnen, Linsen oder Soja jedoch nicht mehr abgeraten – im Gegenteil: „Purinreiches Gemüse wird explizit empfohlen“, sagt Puchner und führt weiter aus: „Die aktuelle Datenlage zeigt, dass pflanzliche Purine keinen negativen Einfluss auf den Harnsäurespiegel haben.“

Liegt der Harnsäurewert über 10 mg/dl, kommt es laut Lunzer bei 50 Prozent der Betroffenen in den kommenden drei bis fünf Jahren zu einem Gichtanfall. „Daher ist die medikamentöse Senkung der Harnsäure in diesem Stadium eine ernsthafte Überlegung.“ Bei einer (gesicherten) Gichtattacke empfiehlt Lunzer folgende Vorgangsweise: „Erstlinientherapie ist die sofortige Gabe von 1 mg Colchicin. Nach einer Stunde wird eine weitere Tablette eingenommen. Eine spätere Einnahme hat keine Relevanz, weil das Colchicin nur in der ersten Stunde wirkt.“ Auch NSAR können in der Akutphase genommen werden, allerdings müsse der Einsatz gegen das Risiko, dass bestehende Nierenerkrankungen und eine Hypertonie sich dadurch in dieser Phase der Entzündung verschlechtern können, abgewogen werden. Als bessere Option sieht Lunzer die Verabreichung von Kortison: „Ich empfehle drei Tage lang 25 mg oral oder intramuskuläre Injektionen. Wenn das nicht ausreicht, ist die Lokaltherapie des betroffenen Gelenks Goldstandard. Dabei wird einerseits Flüssigkeit aus dem betroffenen Gelenk punktiert, andererseits Kortison ins Gelenk injiziert.“ In besonderen Fällen – etwa bei Karzinompatienten, St. p. Myokardinfarkt oder auch schwerem Diabetes mellitus – setzt Lunzer Interleukin1-Inhibitoren ein. „Sie setzen genau am Entzündungsmechanismus der Gicht an und innerhalb von 24 Stunden sind die Patienten beschwerdefrei.“

Nach einem Gichtanfall sollte die Harnsäure geschlechtsunabhängig auf einen Zielwert von 6,5 mg/dl gesenkt werden. Als Therapie der ersten Wahl steht hierzu Allopurinol zu Verfügung. „Die Einnahme sollte aber stets in Kombination mit Ernährungsmaßnahmen erfolgen“, sagt Lunzer. „Man kann mit Allopurinol sofort beginnen. Eine frühere These, wonach bei sofortiger Gabe die Harnsäuredepots ausgewaschen werden und sich die Attacke dadurch verlängert, wurde in einer US-Studie eindeutig falsifiziert.“ Als untersten Wert für die Senkung nennt er 3 mg/dl. Weiter senken sollte man nicht, denn die Harnsäure habe auch eine Schutzfunktion. „Sie ist ein Radikalfänger, bietet Oxidationsschutz und weist auch neurologische Schutzfunktionen auf. Letzteres wurde aus Studien abgeleitet, in denen man festgestellt hat, dass Demenz-Patienten und Personen mit Multipler Sklerose oft nur Werte von rund 2 mg/dl haben.“

Auch wenn die Harnsäure medikamentös zügig gesenkt wird, müssen die Betroffenen mit weiteren Anfällen rechnen. „Mit 88-prozentiger Wahrscheinlichkeit tritt in den folgenden zwölf Monaten wieder eine Attacke auf, mit 76-prozentiger Wahrscheinlichkeit im zweiten Jahr danach“, sagt Lunzer. Man gehe davon aus, dass die Harnsäuredepots erst nach fünf Jahren leergewaschen sind, „sofern die Lebensstilvorgaben konsequent umgesetzt werden.“

Leidet ein Patient seit Monaten unter wiederkehrenden Gichtanfällen, besteht laut Lunzer auch die Möglichkeit, Colchicin für drei bis sechs Monate prophylaktisch zu geben, um weitere Anfälle zu verhindern. „Dies ist auch aus kardiologischen Gründen sinnvoll, weil Colchicin entzündungshemmend wirkt.“ Wichtig sei dabei aber, dass es sich um einen complianten Patienten handle.

Risiko für Myokardinfarkt und Insult

Menschen, die an Gicht leiden, haben ein deutlich erhöhtes Risiko, einen Myokardinfarkt oder einen Insult zu erleiden. Lunzer dazu: „Dieses Risiko beträgt innerhalb von drei Jahren zwischen zehn und 20 Prozent.“ Das liegt nicht so sehr am erhöhten Harnsäurewert, sondern vielmehr an der Gefäßentzündung, die durch Gicht ausgelöst wird. Gichttophi lagern sich in allen Gefäßen ab. „Außerdem ist Gicht nahezu immer mit Hypertonie, Diabetes mellitus, Hyperlipidämie oder Übergewicht assoziiert, woraus sich eine zusätzliche Belastung des Gefäßsystems ergibt“, betont der Experte.

Diagnostik mit CT

Schwillt ein Großzehengrundgelenk über Nacht stark an, muss laut Raimund Lunzer nicht verifiziert werden, dass es sich um einen Gichtanfall handelt. Für die Darstellung von Harnsäuredepots und Ablagerungen der Kristalle in den Gelenken – auch in der Wirbelsäule – steht mit Dual-SPECT-CT eine Computertomografietechnik zur Verfügung. Wobei lediglich zwei Einschränkungen bestehen, wie Lunzer erklärt: „Nach der ersten Gichtattacke sind die Gichtkristalle noch nicht ausgefallen, daher ist die Aussage der Untersuchung nicht zuverlässig. Sie ist außerdem nicht für Personen mit einem Körpergewicht von über 120 Kilogramm geeignet.“

Aus Sicht von Puchner sind die Komorbiditäten eine Indikation für die Optimierung der Ernährung. „Beherzigt man die Grundregeln von gesunden Kostformen, erreicht man eine Senkung des Harnsäurespiegels und leistet einen guten Beitrag zur Gewichtsreduktion, für die Normalisierung des Blutdrucks und für die Gefäßgesundheit im Allgemeinen.“ Gleiches gelte für Ausdauerbewegung und kardiometabolisches Training: „Sie sind wichtig, um das Risiko für Komorbiditäten zu senken und die Gewichtskontrolle zu unterstützen.“ „Sport hat auch einen senkenden Effekt auf den Harnsäurespiegel, da im Rahmen der angestoßenen Stoffwechselprozesse ein vermehrter Abbau erfolgt“, resümiert Lunzer

* Sautner J, Eichbauer-Sturm, Gruber J, Lunzer R, Puchner RJ: 2022 update of the Austrian Society of Rheumatology and Rehabilitation nutrition and lifestyle recommendations for patients with gout and hyperuricemia. Wien Klin Wochenschr (2022) 134;546-554


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 /25.03.2023
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