Medizin & Wissenschaft
Arzneimittel-Exantheme:
Warnzeichen erkennen
Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung
Zu Reaktionen vom Spättyp kommt es gehäuft nach der Injektion von niedermolekularen Heparinen und auch nach bestimmten Röntgen-Kontrastmitteln. Aber auch NSAR führen häufig zu Exanthemen. Schwellungen im Kopf-Hals-Bereich nach der Einnahme von ACE-Hemmern sind durch Bradykinin bedingt.
von Martin Schiller
Einem 50-jährigen Patienten sollte ein Penicillin verschrieben werden, jedoch findet sich im Allergieausweis ein Hinweis auf eine entsprechende Allergie. In vielen Fällen ist die Vorgeschichte ein Ausschlag in der Kindheit und das Präparat, das der Auslöser gewesen sein könnte, nicht bekannt. „Dass man in solchen Fällen tatsächlich von einer Allergie ausgehen muss und der seinerzeitige Ausschlag ein Arzneimittelexanthem war, ist häufig zu hinterfragen“, sagt Univ. Prof. Wolfram Hötzenecker von der Klinik für Dermatologie und Venerologie am Kepler Universitätsklinikum Linz. Er rät zu einer allergologischen Abklärung, denn laut Literatur lasse sich die Allergie nur in 20 Prozent der Fälle tatsächlich nachweisen. „Zu 80 Prozent kann man Patienten jedoch von einer Penicillinallergie freisprechen. Der Ausschlag, der aus Kindheitstagen beschrieben wird, war in solchen Fällen dann ein viral geprägtes Exanthem und stammte nicht vom Penicillin. Es lag nur ein zeitlicher Zusammenfall vor.“ Univ. Prof. Werner Aberer von der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie in Graz ergänzt: „Wenn ein Kind einen Infekt hat, geht dieser häufig mit einem Exanthem einher. Dieses kann makulo-papulös, morbiliform, urtikariell, scarlatiniform, multiforme-artig aussehen. Eine Vielfalt ist möglich. Wird Penicillin verabreicht wegen des Verdachts auf Scharlach und es tritt nach drei bis vier Tagen ein Exanthem auf, vermutet man schnell eine Penicillin-Allergie. Bei der genauen Abklärung stellt man aber häufig fest, dass das Exanthem nicht aufgrund des Medikaments, sondern im Rahmen des Infekts entwickelt wurde.“ Er mahnt auch zur Zurückhaltung bei der Interpretation von IgE-Antikörpern gegen Penicillin auf dem Blutbefund. „Das kann der Beweis für eine Penicillin-Soforttyp-Allergie sein. Der Befund kann aber auch falsch-positiv, also irrelevant sein.“ Die Diagnose Allergie dürfe also keineswegs zu schnell erfolgen.
Das Prinzip von Aberer, um solche Erzählungen von vermeintlichen Penicillin-Allergien aus der Kindheit zu verifizieren, lautet: „Anamnese, Anamnese, Anamnese. Gut dokumentieren, was der Patient angibt, den zeitlichen Zusammenhang erfragen und auch nachfragen, ob es ein leichter Zwischenfall oder doch eine gefährliche Reaktion war.“ Besonders bei leichten Zwischenfällen in der Vergangenheit könne man ein Medikament im engmaschigen ärztlichen Setting durchaus wieder versuchen. „Das ist natürlich eine Gratwanderung“, räumt der Experte ein, „aber harmlose Zustandsbilder kann man mit Kortikosteroiden und Antihistaminika auch gut kontrollieren.“
Das klassische Arzneimittelexanthem ist laut Hötzenecker eher eine Spättypreaktion, die T-Zell-vermittelt ist. Spricht man von einer Allergie, ist meist die Reaktion vom Soforttyp gemeint, bei der die Urtikaria im Vordergrund steht. „Diese Reaktionen auf Arzneimittelgebrauch treten aber meist innerhalb von Minuten auf. Eine Abgrenzung ist somit schon aufgrund der Zeitspanne möglich.“ Aberer fügt hinzu: „Es kann auch sein, dass ein Patient im Rahmen der Einnahme sensibilisiert wird, und erst in der Folge ein Exanthem auftritt. Der zeitliche Zusammenhang kann also ein sehr flexibler sein.“
Heparine und NSAR als Auslöser
Zu einem Penicillin-bedingten Exanthem kommt es typischerweise zwischen dem achten und zwölften Tag nach Beginn der Einnahme. Hötzenecker nennt aber noch weitere klassische Auslöser eines Arzneimittelexanthems: „Relativ häufig sind Spättyp-Reaktionen auf niedermolekulare Heparine. Meist kommt es dabei zu roten Flecken im Bereich der Einstichstelle. Auch auf bestimmte Röntgenkontrastmittel reagieren viele Patienten ein bis zwei Tage nach der Untersuchung mit einem Ausschlag. Es handelt sich dabei nicht um eine Jodallergie, sondern um eine Reaktion auf das Kontrastmittel per se, das Histamin-liberierend wirkt.“ Mit einer entsprechenden Prämedikation könnten solche Reaktionen im Vorfeld aber gut abgefangen werden.
Aberer macht auf eine weitere Arzneimittelgruppe aufmerksam, die Exantheme auslösen kann: nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR). „Gerade Entzündungshemmer und Schmerzmittel wie Aspirin und Ibuprofen führen häufig zu Exanthemen.“ Gar nicht so selten komme es durch die Einnahme von ACE-Hemmern zu Schwellungen im Kopf-Hals-Bereich. Aberer dazu: „Das Gewebshormon Bradykinin wird in solchen Fällen schlecht abgebaut. Die Schwellung beruht also auf einem nicht-immunologischen Mechanismus. Wir haben aber keine Testmethode, mit der man die Unverträglichkeit beweisen kann. Die Umstellung auf Alternativen ist ratsam.“
Zu 98 Prozent gutartig
„98 Prozent der Arzneimittelexantheme verlaufen glücklicherweise gutartig und zwei Prozent nehmen einen schweren Verlauf, der mitunter lebensbedrohlich sein kann“, berichtet Hötzenecker. Genau diese Fälle müsse man rechtzeitig erkennen. „Klinische Warnzeichen sind Blasenbildung auf der Haut, das Vorliegen von Hauterosionen, die Mitbeteiligung der Schleimhäute – wenn beispielsweise die Mundschleimhaut erosiv imponiert –, Probleme beim Essen und beim Schlucken, die Mitbeteiligung der Konjunktiven sowie die Schmerzempfindlichkeit der Haut bei Berührung.“ In der Labordiagnostik kommt als Warnzeichen eine hohe Anzahl von eosinophilen Granulozyten hinzu.Welche Möglichkeiten für die weitere Vorgehensweise gibt es, sofern keine klinischen Warnzeichen bestehen? Hötzenecker: „Man kann das auslösende Medikament sofort absetzen. Oder man versucht bei strenger Indikation, durchzutherapieren, wenn zum Beispiel bei einer Pneumonie spezifisch dieses eine Antibiotikum benötigt wird. Häufig tritt bei Weiterbehandlung mit dem Medikament auch nach drei oder vier Tagen eine Besserung des Exanthems ein, weil eine Toleranzinduktion einsetzt.“ Um die Abheilung zu beschleunigen, könne man auch topisch Kortikosteroide einsetzen. „Zielt man auf eine noch schnellere Abheilung des Exanthems ab, können sie auch systemisch verabreicht werden“, sagt Hötzenecker. Er verweist außerdem auf orale Antihistaminika, um allfälligen Juckreiz zu lindern.
Risikogruppen beachten
Menschen mit HIV sowie jene mit Erkrankungen des Mastzellsystems reagieren laut Hötzenecker stärker auf Arzneimittel – auch im Bereich der Haut. Einen Unterschied zwischen den Altersgruppen ganz generell gebe es hingegen nicht. „Ältere Menschen neigen zwar zu Reaktionen vom Spät-Typ. Das liegt aber nur daran, dass sie oft mehrere Medikamente einnehmen und die Polypharmazie ein Risikofaktor für Hautausschläge ist.“
Aberer macht auf mögliche Wechselwirkungen von Medikamenten aufmerksam, rät aber dazu, Angaben aus Interaktionsdatenbanken nicht als absolut zu sehen. „Diese Datenbanken haben einen hohen Wert. Sie sind jedoch auch sehr eng gefasst. Dementsprechend hätte fast jeder ältere Patient mit Polypragmasie Neben- oder Wechselwirkungen.“ Für Ärzte sei es wichtig, die möglichen Interaktionen zu kennen. Aberer weiter: „Die Datenbank soll zum Nachdenken anregen. Aber nicht alles davon ist in der täglichen Praxis relevant.“
Arzneimittelexantheme stellten auch ein Problem für die Compliance dar, wie Hötzenecker berichtet. „Studien zeigen, dass Rötungen, Juckreiz und auch ein allergischer Ausschlag der Haut nach Antibiotika-Einnahme häufig dazu führen, dass Patienten die Medikation eigenmächtig absetzen.“ Mit Aufklärung über mögliche Hautreaktionen könne im Vorfeld ein „gewisser Beitrag“ (Hötzenecker) zur Förderung der Compliance geleistet werden. Dennoch: „Das Thema Therapietreue bleibt aber in solchen Fällen trotzdem schwierig“, räumt der Experte ein.
Zwei Drittel der Patienten geben eine Allergie gegen ein Medikament an, berichtet Hötzenecker. Bei genauerer Betrachtung sei der Unterschied zwischen Selbstangabe und einer tatsächlich vorliegenden Multiple-drug-hypersensivity aber groß. „Nach der Abklärung bleiben nur noch ein bis drei Prozent übrig, die Medikamente aus mehreren Gruppen nicht vertragen.“ Meist würden die Betroffenen Nebenwirkungen als Allergie interpretieren. Der Mechanismus sei trotz Überschneidungen bei Beschwerden jedoch ein anderer. „Auch die Wahrscheinlichkeit für eine Kreuzreaktion, die man bei Allergien hat, besteht bei Unverträglichkeiten nicht.“
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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 /25.03.2023
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