Medizin & Wissenschaft
Gerinnungsstörung-en im Alter: Risiko mit steigender Tendenz
Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung
Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko für Störungen der Hämostase. Zu den Risikofaktoren für eine verstärkte Gerinnung und thromboembolische Komplikationen zählen Übergewicht, Bewegungsmangel und Varizen. Das Risiko für tiefe Venenthrombosen steigt ab dem 60. Lebensjahr mit jedem weiteren Lebensjahr.
von Manuela C. Warscher
Aufgrund der veränderten Gerinnung im Alter kann es entweder zu einer verstärkten Blutungsneigung oder zu Thrombosen kommen“, sagt Univ. Prof. Ingrid Pabinger-Fasching von der Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie der Medizinischen Universität Wien. Einerseits sind Gerinnungsstörungen mit blutungsbedingten Komplikationen entweder auf eine körpereigene Funktionsstörung wie onkologische Erkrankungen oder Erkrankungen des Immunsystems zurückzuführen oder sie treten als Nebenwirkung von Arzneimitteln wie Marcoumar, Aspirin oder direkten Antikoagulantien, aber auch nach der Einnahme von nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) oder Antidepressiva (SSRI) auf. Immunologisch-getriggerte erworbene Gerinnungsstörungen kommen so selten vor, dass man sie meist übersieht, gibt Assoz. Prof. Clemens Feistritzer von der Universitätsklinik für Innere Medizin V in Innsbruck zu bedenken. Ausschlaggebend sind einerseits das Ausmaß und andererseits die Lokalisation der Blutungen. Charakteristisch für thrombozytäre Defekte sind beispielsweise petechiale Blutungen, für plasmatische Defekte flächenhafte Blutungen. „Für das seltene erworbene Willebrand-Syndrom sind Blutungen nach Operationen oder in Weichteile, auch Hämatome typisch“, so Pabinger-Fasching. Eine erworbene Hämophilie A tritt „klassischerweise“ verstärkt bei Männern ab 60 Jahren auf. „Autoimmunbedingte Gerinnungsstörungen treten im Alter nicht selten neu auf und sind in dieser Altersgruppe wesentlich kritischer als bei Jungen“, betont Pabinger-Fasching.
Andererseits tragen bestimmte Risikofaktoren zur verstärkten Gerinnung des Blutes und zu thromboembolischen Komplikationen bei. Dazu zählen neben Übergewicht auch Varizen. Ab dem 60. Lebensjahr nimmt die Zahl der tiefen Venenthrombosen zu und dann steigt laut Pabinger-Fasching das Risiko „mit jedem Lebensjahr“. Bei der Diagnose selbst helfen die „typischen Symptome“ (beispielsweise Schmerzen in einem Bein, Schwellung oder bei einer Pulmonalembolie Atemnot und Schmerzen beim Atmen), Labor (DDimer Bestimmung) und bildgebende Verfahren, Ultraschall bei der Beinvenenthormbose oder Spiral-CT bei Lungenembolie.
Disseminierte intravasale Gerinnung selten
Alterstypisch, aber „extrem selten“ ist die disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) bei malignen Tumoren wie beispielsweise beim Mucin-sezernierenden Adenokarzinom des Pankreas, der Prostata oder die akute Promyelozyten-Leukämie. Dabei exprimieren Tumorzellen Gewebsthromboplastin. Entwickelt sich eine DIC kurzfristig wie bei der Promyelozytenleukämie, zieht sie Blutungen nach sich. Bei einer chronischen disseminierten intravasalen Gerinnung bei Karzinomen kann es auch zu venösen thrombotischen oder embolischen Ereignissen kommen. „Typisch ist, dass ein Patient mit metastasiertem Prostatakarzinom plötzlich eine Blutungsneigung mit Hämatomen aufweist“, berichtet Pabinger-Fasching. Bei der autoimmunologisch bedingten Immun-Thrombozytopenie gibt es neben einem Erkrankungsgipfel im Kindes- und Jugendalter einen weiteren im höheren Lebensalter mit einem „wesentlich höheren Blutungsrisiko“, wie die Expertin betont. Auch ist der Verlauf der Erkrankung im Erwachsenenalter häufiger chronisch. So liege die Mortalität bei schwerer Thrombozytopenie bei Personen über 60 Jahren bei über zehn Prozent. Pabinger-Fasching rät zur Vorsicht bei der Gabe von Kortison bei Patienten, die an Diabetes mellitus leiden und gibt auch das erhöhte Osteoporoserisiko zu bedenken: „Auch Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten wirken nicht bei allen Patienten.“ Die Behandlung der Erkrankung bleibe daher beim geriatrischen Patienten eine „Herausforderung“ und bei Verdacht auf ITO ist eine grundsätzliche hämatologische Abklärung angezeigt, so die beiden Experten.
Im Gegensatz zur Immunthrombozytopenie und anderen Gerinnungsstörungen tritt die Purpura senilis bei älteren Menschen sehr häufig auf. Die Purpura senilis ist keine Gerinnungsstörung und gekennzeichnet durch Petechien sowie kleine und größere Hämatome am Hand- beziehungsweise Fußrücken sowie an Vorderarmen und Beinen. „Die Purpura senilis ist nicht nur ästhetisch störend, sondern benötig auch lange Zeit, bis sie heilt. Außerdem bleibt über einen längeren Zeitraum ein dunkler Fleck“, so Pabinger-Fasching. Der Grund für den lange dauernden Heilungsprozess liegt in der altersbedingten Beschaffenheit der Haut sowie deren fehlender oder abnehmender Elastizität. Worauf die Expertin ganz besonders aufmerksam macht: „Wichtig ist, dass kein Leukoplast für den Verband verwendet, sondern eine zarte Kompresse verordnet wird“. Die Pflege der Haut mit entsprechenden Cremen oder Salben sei auch besonders wichtig.
Mittel der Wahl: Antikoagulation
Bei Vorhofflimmern oder Klappenprothetik ist dauerhafte Antikoagulation das Mittel der Wahl – auch bei älteren Menschen. „Dennoch müssen in dieser Patientengruppe ein mögliches Blutungsrisiko und bestehende Komorbiditäten berücksichtigt werden“, betont Pabinger-Fasching. Außerdem sei die Nierenfunktion durch Bestimmung des Kreatinins ein notwendiger Entscheidungsparameter. „Bei rheumatischen Herzfehlern sind Vitamin KAntagonisten Rivaroxaban vorzuziehen. Das hat eine rezente Studie ergeben. Möglicherweise ist dies auch durch Vorteile aufgrund regelmäßiger Kontrollen bei den Vitamin-K-Antagonisten im Vergleich zu den DOAKs bedingt“, führt die Expertin aus. Nach Ansicht von Feistritzer stellt die Polypharmazie einen der Hauptgründe für anhaltende Gerinnungsstörungen beim alten Menschen dar. Daher sollte routinemäßig die laufende Medikation überprüft werden – besonders im Hinblick darauf, ob derjenige Aspirin oder eine andere Primärprophylaxe wirklich benötigt. Feistritzer weiter: „Bei vorliegender Indikation soll die Antikoagulation oder Plättchenaggregationshemmung unter Berücksichtigung des Blutungsrisikos verordnet werden und die Dosis entsprechend der Begleiterkrankungen und der jeweiligen Zulassung anpasst werden“.
Auf einen Blick
1) Die veränderte Gerinnung im Alter führt vermehrt zu Störungen der Hämostase mit blutungsbedingten oder thromboembolischen Komplikationen. 2) Onkologische Erkrankungen, Erkrankungen des Immunsystems oder Arzneimittelnebenwirkungen stellen Ursachen für blutungsbedingte Ereignisse dar. 3) Das Risiko für thromboembolische Erkrankungen nimmt mit dem Alter deutlich zu und wird durch Übergewicht verstärkt. 4) Die Diagnose erfolgt aufgrund der typischen Symptome sowie mit Hilfe von Gerinnungstests und bildgebenden Verfahren. 5) Bei einem alten Menschen mit Vorhofflimmern, Klappenprothetik, tiefen Venenthrombosen oder Lungenembolie ist eine Antikoagulation notwendig.
Bildquellen & Copyright
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 /10.02.2023
Freepik #14001673 Urheber: Freepik
Ganzen Artikel lesen