Medizin & Wissenschaft

Peripartale Depression: Schlafmangel macht affektiv instabil

Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Dass sich in der Schwangerschaft Depressionen manifestieren, ist nicht ungewöhnlich. Extrem hohe Ansprüche, Zweifel und Zusatzbelastungen können zu einer krankhaften Angstspirale führen. Wobei dem Schlaf entscheidende Bedeutung zukommt. 

von Julia Fleiß

 

„Peripartale psychische Erkrankungen stellen die häufigsten schwangerschaftsassoziierten Komplikationen in westlichen Industrienationen dar“, sagt Priv. Doz. Christine Hörtnagl von der Abteilung für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Medizinischen Universität Innsbruck über den Stellenwert der Erkrankung. Obwohl das erste Trimenon einer Schwangerschaft psychisch und somatisch eine schwierige Phase sei, entwickelten die meisten Betroffenen im zweiten Trimenon eine peripartale Depression. Die depressive Phase kann aufgrund einer genetischen Vorbelastung oder wegen zusätzlicher Stressfaktoren im Verlauf der Schwangerschaft entstehen. „Normal ist, dass gewisse Ängste kurz vor der Geburt stärker werden. Krankhaft ist es, wenn Patientinnen aus der Angst-Gedankenschleife nicht mehr aussteigen können“, ergänzt Claudia Reiner-Lawugger von der Spezialambulanz für peripartale Psychiatrie in der Klinik Ottakring in Wien. 

 

Ungewöhnlich ist das Auftreten einer Depression in der Schwangerschaft laut Reiner-Lawugger keineswegs: „In der Gestalttherapie spricht man von fünf Säulen der Identität. Werden zwei oder drei dieser Säulen destabilisiert, kann es zu psychischen Erkrankungen kommen. Eine Schwangerschaft bringt eigentlich alles durcheinander.“ Aber 80 Prozent der betroffenen Schwangeren hätten eine psychiatrische Vorgeschichte, wie die Expertin betont, da sie schon „mindestens einmal“ in ihrem Leben eine manifeste psychische Krise erlebt haben. Risikofaktoren für peri- und postpartale Krisen können etwa ein schwieriges familiäres Umfeld, finanzielle Sorgen, eine Familienanamnese für Depression, ein traumatisches Geburtserlebnis oder ein chronisch krankes Kind sein. So kann es durchaus auch vorkommen, dass manche Frauen erst beim zweiten Kind eine Depression entwickeln, auch wenn es durch das erste Kind zu einer wesentlich größeren Lebensumstellung kommt. Die Schwere der Erkrankung kann im Rahmen einer ausführlichen Anamnese oder mit einem Screening-Test erfasst werden wie etwa mit der Edinburgh postnatal depression scale EPDS oder dem PHQ9 Patient Health Questionnaire (siehe Kasten). Die Früherkennung ist laut den Expertinnen wichtig für den Behandlungserfolg. Für die Diagnose gibt Reiner-Lawugger zu bedenken: „Schlafmangel ist eines der Kardinalsymptome. Ist der Schlaf über einen längeren Zeitraum gestört, wird die Situation affektiv instabil“. Und weiter: „Wir sprechen üblicherweise von einer peripartalen Depression, weil sie oft von der Schwangerschaft in die Postpartalzeit switcht“. Dabei muss die postpartale Erstmanifestation einer Depression klar vom Babyblues abgegrenzt werden. 

 

Wichtig ist die Vorbereitung und Aufklärung über den Babyblues, denn „50 Prozent aller Frauen erleben postpartal den Babyblues“, konstatiert Hörtnagl. Klingt dieses Stimmungstief nicht nach wenigen Tagen ab und treten mehrere depressive Symptome zusammen auf, spricht man von einer postpartalen Depression. Diese kann oft auch erst Wochen nach der Geburt auftreten. Dazu Reiner-Lawugger: „Viele Mütter sind aufgrund ihrer extrem hohen Ansprüche und ihres Perfektionismus in so einer Anspannungsspirale, dass sie depressiv werden.“ 

 

Bei Depressionen in der Schwangerschaft sollte je nach Ausprägung jedenfalls früh eine medikamentöse Therapie oder Gesprächstherapie als Add-on eingeleitet werden. Unbehandelte Depressionen von Schwangeren können niedrigeres Gewicht des Neugeborenen, Frühgeburten und Komplikationen bei der Geburt zur Folge haben. Über die Auswirkungen eines erhöhten Kortisol-Spiegels der Mutter auf den Fetus gibt es zahlreiche Forschungen – mit unterschiedlichen Ergebnissen, wie Reiner-Lawugger betont. Teilweise zeigt sich, dass die Amygdala verändert wird und in späterer Folge Angsterkrankungen bei den Kindern begünstigt werden. In Tierversuchen wurde nachgewiesen, dass diese Kinder durch zu viel Stress im Mutterleib entweder schwächer oder resilienter werden. Laut Reiner-Lawugger hängen die Auswirkungen „wahrscheinlich von der Grundgenetik des Embryos ab“. 

 

Tabelle „Screening-Test” 

Antidepressiva werden in der Schwangerschaft durchaus verschrieben, da sie laut den beiden Expertinnen zu den am besten untersuchten Substanzen zählen. Reiner-Lawugger betont: „Um die betroffenen Frauen schnell zu stabilisieren, muss in Kombination mit der Psychotherapie pharmakologisch eingegriffen werden.“ Sie versichert, dass „die Einnahme von Antidepressiva während der Schwangerschaft unbedenklich ist“. Natürlich gäbe es Unterschiede zwischen den verschiedenen Präparaten, wie sie einräumt: Firstline-Antidepressivum für die Schwangerschaft ist international Sertralin. Hörtnagl nennt auch Citalopram als bevorzugt verschriebenen SSRI in der Schwangerschaft, rät jedoch ab von Paroxetin oder Fluoxetin, „da bei diesen Präparaten die Anpassungsstörungen bei den Neugeborenen stärker ausgeprägt sind und bei letzterem die Möglichkeit der Kumulation gegeben ist.“ Die Dosierung von Medikamenten in der Schwangerschaft erfolgt mittels Spiegelbestimmung. „Die Menge, die im Blut vorhanden ist, ist jene, die im Gehirn therapeutisch wirksam werden kann“, erklärt Reiner-Lawugger. Zwar gibt es Normen, welche Wirkung ein Medikament hat, trotzdem erfolge die Verstoffwechslung über das Zytochrom-System „individuell“. 

 

Die Wirkung von Antidepressiva beeinflusst – im besten Fall – auch den Schlaf der Patientinnen positiv. Wenn nötig, werden für den Anfang auch Antihistaminika oder Antidepressiva mit einer ausgeprägten starken Antihistamin-Wirkung verschrieben. „Bei schlechtem Schlaf haben die Frauen erhöhte Stressbelastung. Das ist unbedingt zu vermeiden“, erklärt Reiner-Lawugger. 

 

Rasche Erfolge bei der Behandlung von depressiven Schwangeren stellen sich dann ein, wenn die Betroffenen frühzeitig Hilfe suchen und annehmen. Nach sechs bis zwölf Monaten Betreuung kann der überwiegende Teil der Frauen – sofern es sich nicht um eine chronische Grunderkrankung handelt – die Medikamente wieder absetzen. Wichtig sei, so Reiner-Lawugger, auf die Kinder nicht zu vergessen. „Kinder von chronisch psychisch Kranken sind sehr belastet und müssen betreut werden.“ Daher seien Verlaufskontrollen von Frauen, die in der Schwangerschaft an einer Depression gelitten haben, wichtig. Hörtnagl wünscht sich dafür auch eine intensive Vernetzung zwischen Gynäkologen, Pädiatern, Hausärzten und Psychiatern. 


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 /10.02.2023
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