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Posttraumatische Belastungsstörung: Die Konsequenzen entscheiden

Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Aufdringliche Erinnerungen an extrem bedrohliche Ereignisse, Hypervigilanz und ausgeprägte Vermeidungsstrategien sind wichtige Kennzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Einschränkungen in der Bewältigung des Alltags gehen häufig damit einher.

von Martin Schiller

„Eine posttraumatische Belastungsstörung bezieht sich immer auf etwas, das man erlebt hat“, sagt Univ. Prof. Johannes Wancata, Leiter der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie an der Medizinischen Universität Wien. Wenn die Betroffenen beispielsweise während der Pandemie Zukunfts- und Existenzängste entwickelt haben, sei dies zwar sehr belastend gewesen, aber kein Kriterium für eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). „Mit dem Begriff des Traumas muss daher sorgsam umgegangen werden“, betont der Experte.

Ein wesentliches Kriterium für die Diagnose „Posttraumatische Belastungsstörung“ (siehe Kasten) ist das Wiedererleben von extrem bedrohlichen oder fürchterlichen Ereignissen, das zu aufdringlichen Erinnerungen und Flashbacks führt. Kommt es bei bestimmten Erinnerungen oder bei Gesprächen darüber zu einem sehr belastenden Gefühl, sei es laut Wancata wichtig, nach weiteren Auffälligkeiten zu fragen: „Dazu zählen erhöhte Schreckhaftigkeit oder Überempfindlichkeit bei Reizen. Viele Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung zucken bei Kleinigkeiten und objektiv harmlosen Situationen zusammen.“

Univ. Prof. Barbara Sperner-Unterweger, Direktorin der Universitätsklinik für Psychiatrie II an der Medizinischen Universität Innsbruck, beschreibt ausgeprägte Vermeidungsstrategien als wichtiges Kennzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Es werde vermieden, sich an die auslösende Situation zu erinnern oder eine ähnliche Situation zu erleben. „Das äußert sich zum Beispiel bei ehemaligen COVID 19-Intensivpatienten darin, dass sie keine Krankenhausbesuche mehr absolvieren, um zu verhindern, dass Erinnerungen an die Zeit auf der Intensivstation zurückkommen“, erläutert die Expertin. Ebenso möglich sei eine emotionale Starre. Patienten sind nach außen hin emotional nicht erreichbar und reagieren auf emotionale Situationen affektiv kaum oder inadäquat. Ein weiteres Kriterium sind laut Sperner-Unterweger Erinnerungslücken, die entweder in Zusammenhang mit Trigger-Situationen stehen oder aber auch ohne Anlass auftreten können.

Bis sich eine eindeutige Trauma-Symptomatik herausbildet, dauert es einige Wochen bis Monate. Studien mit ehemaligen COVID 19-Patienten, bei denen die Erkrankung einen schweren Verlauf gezeigt hat, ergaben beispielsweise eine Zeitstrecke von drei Monaten von der Genesung bis zum Ausbrechen der PTBS-Symptome. Eine Belastungsreaktion hingegen tritt sofort oder einige Stunden bis Tage nach dem auslösenden Ereignis auf. Eine wesentliche Frage zur Abgrenzung lautet: Kommt es im Alltag zu einschneidenden Konsequenzen? Wancata dazu: „Eine posttraumatische Belastungsstörung kann dazu führen, dass sich der betroffene Patient nicht mehr traut, außer Haus zu gehen, sich von Freunden zurückzieht oder es ihm schwerfällt, zu arbeiten“. Wenn derjenige noch die Erinnerung an ein belastendes vergangenes Ereignis hat, den Alltag jedoch noch bewältigen könne, handle es sich nicht um eine posttraumatische Belastungsstörung, so der Experte.

Faktor COVID 19-Pandemie

Während der COVID 19-Pandemie ist es infolge von schweren Krankheitsverläufen gehäuft zum Auftreten von posttraumatischen Belastungsstörungen gekommen. „Betroffen waren vor allem Personen, die intensivmedizinisch betreut werden mussten. Die massive Beeinträchtigung der Atemfunktion gepaart mit der Angst, nicht mehr genügend Luft zu bekommen, ist ein begünstigender Faktor für die Entstehung eines Traumas“, erklärt Sperner-Unterweger. Es sei jedoch nicht nur die schwere SARS-CoV-2-Infektion selbst, die ein Trauma auslösen könne, auch die Reaktivierung von früheren Traumata war zu beobachten. „Das war beispielsweise bei Patienten der Fall, die bereits in der Vergangenheit intensivmedizinisch betreut werden mussten.“

Der Anteil der COVID 19-Patienten, die später eine Trauma-Symptomatik aufweisen, lasse sich nur schwer beziffern, wie die beiden Experten unisono betonen. Sperner-Unterwegersieht etwa bei Krankheitsverläufen ohne stationären Aufenthalt „keine Signifikanz“. Wancata wiederum mahnt bei der Interpretation der kolportierten Zahlen zur Zurückhaltung: „Die Diagnostik von psychischen Erkrankungen erfolgt im Normalfall durch ein klinisches Interview mit Statuserhebung und der Möglichkeit, die Patienten zu beobachten“. In der intensiven Phase der Pandemie setzte man bedingt durch Abstandsregelungen Fragebögen als Screeningmethode ein – was aber „tendentiell zu einer Überschätzung der Fallzahlen führt“, schränkt Wancata ein. Bei Intensivpatienten, die ums Überleben kämpften, seien massive psychiatrische Folgesymptome möglich – auch eine posttraumatische Belastungsstörung. „Auf jeden Fall muss eine präzise Abklärung im Hinblick auf andere mögliche Belastungsreaktionen erfolgen“, betont Wancata.

Traumafokussierte Interventionen

Bei der Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung kommen in Studien erprobte psychotherapeutische Interventionen zum Einsatz. „Am besten ist die Evidenz für Verfahren aus der Verhaltenstherapie“, sagt Wancata. Weiters stünden trauma-fokussierte Interventionen zur Verfügung. Ein Beispiel dafür ist Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR). Dabei wird versucht, mit dem Patienten eine Situation zu besprechen. Währenddessen folgt dieser den Fingern des Therapeuten, der eine abwechselnde Rechts-Links-Bewegung der Hand durchführt. „Belastende Erinnerungen werden dadurch weniger und verschwinden mit der Zeit langsam“, beschreibt Wancata den Effekt.

Sperner-Unterweger wiederum betont, wie wichtig es ist, einen sicheren Kontakt und Beziehungsaufbau bei Patienten, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, herzustellen. Das erleichtere es den Betroffenen, sich auf die Situation einzulassen. Sie nennt diesbezüglich wichtige Fragestellungen: „Welche Ressourcen stehen zur Verfügung? Was kann der Betroffene selbst tun? Welche Möglichkeiten der Unterstützung bietet das Umfeld? Welche Wünsche gibt es bezüglich Aktivität und Teilnahme am Leben?“

Für die medikamentöse Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung nennt Wancata mit Paroxetin, Sertralin und Venlafaxin drei Antidepressiva mit „guter Datenlage“, wie er betont. In manchen Fällen sei ein Trauma so schwerwiegend, dass die Therapie nicht ohne Verabreichung von Medikamenten durchgeführt werden könne. Manche Patienten bevorzugten außerdem eine ausschließliche Therapie mit Medikamenten. Zurückhaltend sollte seiner Einschätzung nach die Gabe von Benzodiazepinen erfolgen. „Kurzfristig kann es dadurch zu einer schnellen Entlastung kommen. Aber durch die Krankheitssymptomatik sind viele Patienten so belastet, dass ein Risiko für eine Selbstbehandlung besteht. Damit geraten sie aber schnell in eine Abhängigkeit.“ Außerdem komme es bei manchen Patienten durch die Benzodiazepin-Einnahme zu einem Kontrollverlust, wodurch sie Flashbacks noch mehr ausgeliefert seien.

Kriterien für PTBS

Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickelt sich laut ICD 11 nach einem extrem bedrohlichen oder entsetzlichen Ereignis oder nach einer Reihe von solchen Ereignissen.

  • Alle folgenden Punkte müssen für die Diagnose zutreffen:
  • Wiedererleben des Ereignisses in der Gegenwart in Form von lebhaften, sich aufdrängenden Erinnerungen, Flashbacks oder Albträumen.
  • Vermeidung von Gedanken und Erinnerungen an das Ereignis oder Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die an das Ereignis erinnern könnten.
  • Anhaltende Wahrnehmung einer erhöhten Bedrohung. Dies kann sich als verstärkte Schreckreaktion auf Reize äußern oder auch in Form einer Hypervigilanz.
  • Die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung halten mindestens mehrere Wochen an und verursachen erhebliche Beeinträchtigungen in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen und weiteren Funktionsbereichen.

Bildquellen & Copyright

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7_2024
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