Medizin & Wissenschaft
Silent Inflammation: Still, unbemerkt und reversibel
Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung
Ausgehend vom viszeralen Fettgewebe spielt die Silent Inflammation bei zahlreichen Erkrankungen eine Rolle. Sie wird auch mit der Entstehung der Insulinresistenz in Verbindung gebracht. Zentral ist der Einfluss der Ernährung: Convenience Food und raffinierter Zucker befeuern das entzündliche Geschehen.
von Martin Schiller
Die Liste der Erkrankungen, an denen Silent Inflammation beteiligt ist, ist lang: Diabetes mellitus und dessen Spätkomplikationen wie Nephropathie, kardiovaskuläre Erkrankungen; Steatosis hepatis, NASH, entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, autoinflammatorische Erkrankungen und Asthma bronchiale. Besonders ausgeprägt ist die chronisch-schwelende Entzündung im viszeralen Fettgewebe. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die unterschiedliche Aktivierung von Fettgewebe-Makrophagen, wie Univ. Prof. Thomas Stulnig, Vorstand der 3. Medizinischen Abteilung für Stoffwechselerkrankungen und Nephrologie der Klinik Hietzing in Wien, erklärt. „Unter normalen physiologischen Bedingungen ist der reparierende M2-Phänotyp vorherrschend. Durch Expansion des Fettgewebes und der damit verbundenen Vergrößerung der Adipozyten wird allerdings vermehrt der M1-Phänotyp gebildet, der in Folge stark proinflammatorische Zytokine produziert.“ Die M1-Makrophagen seien somit das konkrete Anzeichen für das Vorliegen einer Silent Inflammation. Als wesentliche Auslöser werden Übergewicht und Adipositas eingestuft.
„Kalorienreduktion und Normalisierung des Körpergewichts senken nachweislich den Adipozyten-Stress und können auch die subklinische Inflammation wieder reduzieren“, berichtet Stulnig. Viszerales Fett sei metabolisch aktiver als subkutanes Fett; dieses neige tendentiell mehr zu inflammatorischen Vorgängen. Der Experte weiter: „Die Silent Inflammation geht oft mit einer Dysbiose einher. Dadurch kommt es zu einer Darmbarrierestörung, dem Leaky Gut Syndrom.“ In der Folge gelangen vermehrt Toxine von Darmbakterien in den Blutkreislauf und befeuern das entzündliche Geschehen im Organismus. Aufgrund dieser Zusammenhänge ergebe sich aber auch, dass man Personen im Auge behalten müsse, die zwar kein Übergewicht haben, aber zu viel Viszeralfett aufweisen. „Es gibt Evidenz dafür, dass diese Menschen trotz Normalgewicht eine Insulinresistenz aufweisen können. Das liegt daran, dass gerade die Entstehung einer Insulinresistenz stark mit Silent Inflammation in Zusammenhang gebracht wird und diese damit in der Entwicklung von Typ 2-Diabetes eine Rolle spielt“, erklärt Stulnig dazu.
Mediterrane Ernährung: antiinflammatorisch
Die mediterrane Kost erweist sich nicht nur im Hinblick auf die kardiovaskuläre Prognose als günstig, sondern gilt ganz generell als antiinflammatorische Ernährungsform. „Mit Ernährung kann man das entzündliche Geschehen im Körper maßgeblich beeinflussen“, sagt Judith Sautner, Leiterin der II. Medizinischen Abteilung am Landesklinikum Korneuburg-Stockerau. Vor allem die Art der zugeführten Fette sei entscheidend. „Es ist durch Studien abgesichert, dass ein hoher Anteil von Omega-3-Fettsäuren in der Nahrung zu einer Downregulation von Entzündungsmediatoren führt und auch die Funktion der Darmbarriere verbessert.“ Im Rahmen der westlichen Ernährung würden aber meist zu viele nicht gesättigte Fettsäuren und unter den ungesättigten vor allem Omega-6-Fettsäuren konsumiert, aus denen im Organismus proinflammatorische Botenstoffe gebildet werden. Der Quotient Omega-6 zu Omega-3 sollte optimalerweise maximal 4:1 betragen. Auch innerhalb der Gruppe der Omega-3-Fettsäuren müsse jedoch wieder differenziert werden, da die wesentlichen antiinflammatorischen Effekte von Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) ausgehen und der Einfluss der alpha-Linolensäure (ALA) diesbezüglich nicht sehr ausgeprägt sei. Die Expertin rät daher zu reichlich Fischkonsum und empfiehlt, bei Pflanzenölen Rapsöl, Leinöl und Olivenöl den Vorzug zu geben. Eingeschränkt werden sollte hingegen der Konsum von gesättigten Fettsäuren. Stulnig erklärt dazu, dass diese Fette die M1-Polarisierung der Makrophagen fördern, während Omega-3-Fettsäuren – vor allem EPA – die M2-Polarisierung und das Beenden der Entzündungen forcieren. Eine weitere Ernährungsmaßnahme stellt der vermehrte Konsum von Ballaststoffen dar. „Durch mehr faserstoffhältige Produkte und eine Reduktion von stärkereichen Lebensmitteln ergeben sich günstige Effekte auf die Darm-Mikrobiota, womit der angesprochenen Dysbiose entgegengewirkt werden kann.“ Sautner räumt auch dem Thema Bewegung einen hohen Stellenwert ein: „Regelmäßiges Ausdauertraining trägt ebenso zu einer Down-regulation der Silent Inflammation bei.“
Rheumatoide Arthritis: Risikofaktor Rauchen
Auch für die Entwicklung einer Rheumatoiden Arthritis ist Silent Inflammation ein wesentlicher Faktor – „einer von vielen“, wie Sautner betont. Besonders im Hinblick auf das entzündliche Geschehen gebe es aber Einflussmöglichkeiten über den Lebensstil. „In der Phase, in der sich bei entsprechender Prädisposition eine klinisch manifeste Erkrankung entwickelt, erweist sich Rauchen als starker modifizierbarer Risikofaktor.“ Bei der Ernährung sei die Einschränkung des Konsums von rotem Fleisch eine wetere Maßnahme. Sautner dazu: „Studien haben nämlich gezeigt, dass rotes Fleisch bei bestehendem Risiko für Rheumatoide Arthritis wie zum Beispiel bei ACPA-Positivität die Entwicklung zur klinisch manifesten Rheumatoiden Arthritis begünstigen kann“. Eingeschränkt werden sollte auch der Anteil von raffiniertem Zucker und Convenience Food in der täglichen Kost. „Gerade hoch verarbeiteten Produkten wird oft Glukose und High Fructose Corn Syrup zugesetzt, was erwiesenermaßen das entzündliche Geschehen befeuert“, warnt die Expertin.
Wie sehr Silent Inflammation eine Rolle bei der Entwicklung der präklinischen Rheumatoiden Arthritis spielt, zeige laut Sautner auch das Thema Zahn- und Zahnfleischgesundheit: „In Studien und auch in ganz rezenten Daten wurde ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Parodontitis, Adipositas mit der Bestimmung von Leptin- und Adipsin-Spiegeln und Rheumatoider Arthritis gezeigt.“ Außerdem dürften bestimmte Bakterien wie etwa Porphyromonas gingivalis, der Zahnfleischentzündungen auslöst, „hier eine Schlüsselrolle spielen“, wie Sautner betont. Adipositas und Porphyromonas gingivalis wirkten bei Rheumatoider Arthritis als Krankheitsaktivitäts-steigernd.
Auch bei Psoriasis-Arthritis zeigt sich ein Einfluss von Silent Inflammation. „Die Entwicklung von einer Psoriasis zur Psoriasis-Arthritis wird durch starkes Übergewicht begünstigt“, sagt Sautner. Auch bei der Therapie der Krankheit gebe es deshalb Probleme: „Medikamente gegen Psoriasis-Arthritis wirken gewichtsadaptiert. Es ist erwiesen, dass ihre Wirkung bei Übergewicht eingeschränkt ist, was im Sinne des Einflusses von Silent Inflammation im Zuge von Übergewicht und Adipositas interpretiert werden kann.“
Interpretation von CRP
Der klassische Parameter für Silent Inflammation im Blutbefund ist laut Stulnig das C-reaktive Protein (CRP), da es von Zytokinen stark exprimiert wird. Personen mit Silent Inflammation haben einen Wert nahe dem Grenzwert von 5 mg/l oder leicht darüber. In Studien wurde bisher ein Wert von 2–3 mg/l für den Einschluss herangezogen. Saunter ergänzt, dass auch marginale CRP-Erhöhungen „jedenfalls endokrinologische Aktivität von Adipozyten anzeigen können“.
Wie können diese Aspekte nun in der täglichen Praxis berücksichtigt werden? Stulnig dazu: „Die kardiovaskuläre Prognose von Patienten mit einem Metabolischen Syndrom ist bei einem CRP über 3 mg/l ungünstiger ist.“ Bei Menschen mit viszeraler Adipositas könne man insgesamt von einer höheren inflammatorischen Aktivität ausgehen. „Es wäre wichtig, dass solche Überlegungen Eingang in die klinische Routine finden“, betont Stulnig.
Risikofaktor biologisches Alter: iAge
Als Risikofaktor für Silent Inflammation gilt auch das biologische Alter. Forscher der Stanford University in den USA haben anhand von inflammatorischen Markern eine Entzündungsuhr des Alters („inflammatory clock of aging“, kurz iAge) erstellt. Sie basiert auf der Theorie, dass der alternde Organismus systematische Entzündungsprozesse aufweist. Die Wissenschafter ermittelten nach der Analyse von Blutproben von 1.001 Personen über 65 Jahren das Chemokin CXCL9 als stärksten Faktor für iAge. Vermutlich erweise sich iAge als stärkerer Prädiktor der Gesundheit als das chronologische Alter, so die Schlussfolgerung der Autoren.
Nature Aging, 2021
SIRT1 als Forschungsansatz
Von großem Interesse für die Forschung ist laut Sautner das Silent Inflammation Regulator Sirtuin-1 (SIRT1). „Sowohl In vitro-Daten als auch In vivo-Daten zeigen, dass dieses Protein durch akute Inflammation downreguliert wird. Der aktuelle Ansatz ist, Arzneimittel und sogenannte Upstream-Moleküle zu definieren, mit denen SIRT1 wieder gesteigert werden kann, um dadurch eine antiinflammatorische Wirkung zu erzielen.“ In einer Proof of Concept Study konnten der Zuckerstoffwechsel und die kardiovaskuläre Prognose durch rein antinflammatorische Maßnahmen durch Gabe eines Salicylsäurederivats oder eines TNF-Blockers verbessert werden. Auch Interleukin 1-Rezeptorantagonisten und Colchicin schnitten in einer großen Studie gut ab. Außerdem ist es laut Stulnig durch Statine möglich, das CRP zu senken. Man nimmt an, dass diese Medikamente der lokalen Entzündung in der Gefäßwand entgegenwirken. „In Studien konnte gezeigt werden, dass die Verbesserung der kardiovaskulären Prognose durch CRP-Reduktion genauso wirksam ist wie eine LDL-Reduktion“, so der Experte.
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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 /10.05.2023
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