Medizin & Wissenschaft
Meibom-Drüsen: Dysfunktion wegen fehlender Abdichtung
Lesezeit: 3 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung
Zweit Drittel der Menschen, die an einem trockenen Auge leiden, weisen eine Dysfunktion der Meibom-Drüsen auf: Die Fett-Abdichtung des Tränenfilms ist nur unzureichend. Risikofaktoren dafür sind höheres Alter, Menopause und das Tragen von – vor allem weichen – Kontaktlinsen.
von Martin Schiller
Die Dysfunktion der Meibom-Drüse ist der häufigste Risikofaktor für die Entstehung des trockenen Auges. Die 30 bis 40 Drüsen verlaufen senkrecht zum oberen und unteren Lidrand und liefern dort Talg ab, der eine Versiegelung des Tränenfilms darstellt. Staut sich Sekret in den Ausführungsgängen oder sind diese vernarbt, gelangt das Fett nicht auf die Augenoberfläche und es kann zur Blepharitis kommen, die durch einen roten und verkrusteten Lidrand gekennzeichnet ist. „Zwei Drittel der Menschen mit einem trockenen Auge beziehungsweise mit Beschwerden an der Augenoberfläche haben eine Meibom-Drüsen-Dysfunktion. Nur ein Drittel produziert zu wenig Tränenflüssigkeit“, sagt Priv. Doz. Ingrid Boldin von der Universitäts-Augenklinik der Medizinischen Universität Graz. Ist die Fett-Abdichtung des Tränenfilms ungenügend, setzt ein Circulus vitiosus ein, wie Univ. Prof. Veronika Vécsei-Marlovits, Leiterin der Abteilung für Augenheilkunde an der Klinik Hietzing in Wien, erklärt: „Es kommt zu einer starken Evaporation der Augenoberfläche. Als Kompensationsmechanismus wird die flüssige Phase des Tränenfilms schneller nachproduziert und verstärkter Tränenfluss setzt ein. Für viele Patienten mit einem trockenen Auge ist das paradox.“
Man unterscheidet zwischen der hyposekretorischen und der hypersekretorischen Form der Meibom-Drüsen-Dysfunktion, wie Boldin ausführt. „Üblicherweise gibt die Drüse beim Andrücken ein klares, dünnflüssiges Sekret ab. Bei der hyposekretorischen Form wird aufgrund der Atrophie der Drüsen kein Sekret abgesetzt. Bei der hypersekretorischen Form wird zwar viel Sekret abgegeben, aber die Zusammensetzung des Sekrets ist nicht mehr richtig.“
Wesentliche Risikofaktoren für eine Dysfunktion der Meibom-Drüsen sind höheres Alter, hormonelle Veränderungen bei Frauen in der Menopause und das Tragen von Kontaktlinsen. „Kontaktlinsen sind wie ein Fremdkörper und führen zu einer erhöhten Reibung. Die Drüsen altern dadurch schneller als bei Brillenträgern“, so Boldin. Beide Expertinnen stufen das Risiko durch weiche Kontaktlinsen höher ein als jenes durch harte. Vécsei-Marlovits dazu: „Die Träger von weichen Kontaktlinsen nehmen das Trockenheitsproblem weniger wahr. Damit erhöht sich auch das Infektionsrisiko unter der Linse.“ Bei harten Linsen sei das Problem weniger ausgeprägt, da sie eher als Fremdkörperreiz wahrgenommen werden. „Die Betroffenen setzen die harte Linse nicht ein, wenn sie bemerken, dass sich Beschwerden dadurch verschlimmern“, so die Expertin aus der Praxis. Boldin verweist auf bestimmte Therapien, die eine Dysfunktion der Meibom-Drüsen auslösen können: „Dazu zählen die Retinoidtherapie bei Akne, Hormontherapien und auch Chemotherapien.“
Reinigung und Massage des Lidrandes
Wird die Dysfunktion der Meibom-Drüsen nicht adäquat behandelt, sind Hornhauterosionen, Infektionen der Hornhaut, Schleiersehen und trockene Stellen an der Bindehaut, die beim Lidschlag Reibung erzeugen, die Folge. Ein wesentlicher Teil der Therapie sind die Lidrandreinigung sowie die Lidrandmassage. „Sie sollte anfänglich zweimal täglich erfolgen und erfordert Schulung des Patienten, damit dieser die Pflege in Eigenverantwortung durchführen kann“, sagt Vécsei-Marlovits. Vor der Lidrandreinigung erfolgt eine Erwärmung der Lidränder, um das gestaute Sekret in den Drüsengängen zu verflüssigen.
Folgende Optionen stehen zur Verfügung:
- Infrarotlampen
- Augenmasken zur Liderwärmung
- Wärmebrillen/Wärmegelbrillen
- Traubenkernkissen, die in der Mikrowelle angewärmt werden und auf die Augen aufgelegt werden.
Für die Erwärmung wird ein Zeitraum von zehn Minuten empfohlen. Im Anschluss daran werden etwaige Krusten vom Lidrand entfernt; danach folgt die Massage der Augenlider, um einige Drüsen wieder freilegen zu können. Eine weitere Möglichkeit der Wärmekompression stellt ein zuvor in abgekochtes Wasser getauchtes Tuch oder Papiertaschentuch dar. Vécsei-Marlovits weiter: „Das Tuch liegt circa eine Minute auf und wird dabei zweimal leicht angedrückt. Damit erreicht man, dass circa 20 Drüsen gereinigt werden.“ Ein wichtiger Hinweis für die Patientenschulung sei, stets zum Lidrand hin zu massieren und nicht entlang des Lidrands zu wischen. Boldin ergänzt, dass ein Andrücken der Drüsen auch mit Wattestäbchen erfolgen kann. Sieht ein Patient nicht ausreichend gut oder traut sich die Massage nicht zu, könne mit einem Wattepad das gesamte Auge von oben nach unten und von unten nach oben massiert werden. „Oder es erfolgt nur die Erwärmung und danach werden die Augen fest zugekniffen. Durch die Anspannung der Muskeln rund um die Drüsen werden diese dabei auch ein wenig ausgedrückt“, erklärt Boldin.
Bildschirmarbeit halbiert Lidschlagfrequenz
„Die Blepharitis kann man nicht von der Entität ‚trockenes Auge‘ trennen“, sagt Univ. Prof. Veronika Vécsei-Marlovits. Daher gelten Risikofaktoren wie Klimaanlagen in Autos, Zügen und Bussen und auch die Heizperiode mit trockener Innenraumluft als begünstigende Faktoren für ein trockenes Auge. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist Bildschirmarbeit. Laut Studien führt die um 50 Prozent niedrigere Lidschlagfrequenz dazu, dass die wässrige Komponente des Tränenfilms verdunstet. „Dadurch kommt es zu einer leichten Entzündung an der Augenoberfläche. Bei einer dauerhaften Belastung wird diese chronisch und führt zum trockenen Auge“, erklärt Boldin. Ihren Aussagen zufolge müsse man auch bei der Verwendung von Smartphones – ähnlich wie beim Lesen ganz allgemein – von einer niedrigeren Lidschlagfrequenz ausgehen.
Die Lidrandpflege sollte auch dann fortgesetzt werden, wenn sich die Beschwerden bessern, betonen Boldin und Vécsei-Marlovits unisono. Die Dysfunktion der Meibom-Drüsen sei grundsätzlich nicht heilbar. Vielmehr gehe es darum, dass der Betroffene lernt, damit gut umzugehen. Boldin empfiehlt präventiv die regelmäßige Reinigung der Wimpern mit Lidreinigungsölen. „Idealerweise wird dies in den Alltag integriert wiebeispielsweise das Haarewaschen. Dabei können Auffälligkeiten wie ein roter Lidrand früh entdeckt werden, die Wimpern werden von Krusten befreit und auch Milben können damit entfernt werden. Je mehr Milben sich in den Wimpern befinden, desto größer das Risiko für eine Dysfunktion der Meibom-Drüsen.“
Tränenersatzmittel individuell auswählen
Der Wahl der passenden Augentropfen oder des passenden Sprays sollte eine ausführliche Untersuchung vorausgehen. „Zunächst wird ermittelt, ob der Patient ausreichend Tränenflüssigkeit hat. Besonders im Alter nimmt die Tränensekretion ab. Danach wird die Dicke des Fettfilms ermittelt. Liegt sie unter 60 µm, ist der Fettfilm ungenügend. Im Anschluss daran wird der Zustand der Meibom-Drüsen geprüft und die Konsistenz des Sekrets untersucht“, erklärt Boldin die Vorgangsweise. Bei zu geringer Tränensekretion rät sie zu Tränenersatzmitteln, die zur Befeuchtung auch Hyaluronsäure enthalten. Bei Beeinträchtigung der Fettphase des Tränenfilms werden lipidhältige Augentropfen oder Lipidsprays empfohlen. Alle eingesetzten Produkte sollten frei von Konservierungsmitteln sein, um weitere Reizungen des Auges zu vermeiden; die Anwendung sollte mehrmals täglich erfolgen. „Man kann lipidhaltige Tränenersatzmittel nur zu wenig nehmen und nicht oft genug. Wendet man sie zum Beispiel nur morgens und abends an, ist das deutlich zu wenig“ betont Vécsei-Marlovits. Bei der Anwendung von Teebaumöl ist die Expertin zurückhaltend: „Es ist eventuell einen Versuch wert, wenn andere Strategien noch nicht im gewünschten Maß hilfreich waren. Besser ist jedoch, die eigene Physiologie wiederherzustellen.“
Aus Sicht von Boldin ist zusätzlich zur Lidrandpflege, lipidhältigen Tropfen oder Sprays die reichliche Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren „einen Versuch wert“: „Studien zeigen eine Besserung der Lidrandentzündung und des Trockenen Auges. Vermutlich sind die antiinflammatorischen Wirkungen dieser Fettsäuren dafür verantwortlich. Es sind allerdings auch Augentropfen mit Omega-3-Fettsäuren eine gute Option.“
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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 /10.10.2023
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