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Erysipel: Kleine Exkoriation reicht aus

Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Eine Exkoriation durch Reibung oder Kratzen – etwa durch Haustiere oder Insektenstiche – reicht in vielen Fällen als mögliche Eintrittspforte für den Erreger des Erysipels aus. Ebenso bestehen wechselseitige Assoziationen zwischen einem Erysipel und einem Lymphödem.

von Martin Schiller

Immunsuppression, Diabetes mellitus, Adipositas, Störungen der Hautbarriere und lokale Faktoren wie Störungen des Lymphabflusses erhöhen das Risiko für ein Erysipel deutlich. Das gilt auch für chirurgische Eingriffe an der unteren Extremität wie etwa bei der Hüft-Totalendoprothetik, die zu Stauungen des Lymphabflusses führen können. Ein bereits erlittenes Erysipel spielt ebenso eine bedeutende Rolle, wie Robert Feldmann von der Abteilung für Dermatologie in der Klinik Hietzing in Wien erklärt: „Bei jedem vorangegangenen Erysipel wurden Lymphgefäße geschädigt. Diese Gefäßschäden erhöhen das Rezidivrisiko, weil sie in Ödemen resultierenkönnen.“ Assoziationen zwischen Lymphödem und Erysi-pel bestehen somit wechselseitig: Das Erysipel ist eine mögliche Komplikation des Lymphödems – laut Literatur in 20 bis 30 Prozent der Fälle. Umgekehrt affiziert das Erysipel die Lymphgefäße und kann dadurch ein Ödem erst auslösen beziehungsweise „verstärken im Sinne eines Circulus vitiosus“, betont Feldmann. Von einem Ulkus an den Beinen geht ein Erysipel hingegen nur selten aus. „Ulzera weisen oft eine bakterielle Mischflora auf und offenbar halten sich die Keime gewissermaßen gegenseitig in Schach, sodass sie nicht die Lymphgefäße infizieren“, erläutert Feldmann.

Die Zahlen zur Häufigkeit des Rotlaufs variieren. Je nach Publikation werden Inzidenzen von 113 bis 240 pro 100.000 Einwohner mit besonderer Häufung bei Personen zwischen 60 und 80 Jahren angegeben. Frauen sind etwas häufiger betroffen als Männer. Einigen Studien zufolge macht das Erysipel an den unteren Gliedmaßen bis zu 80 Prozent der Fälle aus, gefolgt von Rotlauf im Gesicht, an den Armen und an anderen Körperstellen. „Eine Risikogruppe für ein Erysipel am Arm sind Frauen nach einer Mastektomie, wenn die Lymphknoten in der Achselhöhle entfernt wurden und daher ein Lymphödem besteht“, sagt Feldmann.

Kleinste Eintrittspforten möglich

Das Erysipel wird meist durch Beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A ausgelöst. Seltener sind Staphylokokken (Staphylococcus aureus, Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus), Klebsiellen oder Hämophilus die Ursache. Klassische Eintrittspforte für die Erreger sind Wunden, wobei auch kleinste Wunden als Pforte dienen können, wie Univ. Prof. Ichiro Okamoto von der Universitätsklinik für Dermatologie der Medizinischen Universität Wien ausführt: „Eine Erosion durch Reibung oder Kratzen reicht in vielen Fällen für eine Infektion aus. Daher kommen Haustiere und Insektenstiche als Quelle in Frage. Die Infektion kann auch bei Alltagstätigkeiten wie bei der Gartenarbeit erfolgen, also immer dort, wo leicht Abrasionen an exponierten Stellen auftreten können.“ Häufig nehmen die Betroffenen kleine Verletzungen wie etwa leichtes Anschlagen des Beins nicht wahr; rund ein Drittel gibt an, die Ursache für die blauen Flecken nicht zu kennen. „Mögliche Eintrittspforten werden daher anfangs von den Betroffenen übersehen. Bei Risikopersonen sind deshalb Barfußgehen und das Tragen von offenen Schuhen als zusätzliche Risikofaktoren anzusehen“, sagt Okamoto.

Klinisch präsentiert sich der Patient mit einem scharf-begrenzten und flammenartig auslaufenden Erythem, Schwellung und Überwärmung der betroffenen Stelle. Die Haut schmerzt bei Palpation. Dazu kommen Symptome wie Abgeschlagenheit, Fieber und zum Teil Schüttelfrost.

Differentialdiagnostisch abzugrenzen sind laut Feldmann hauptsächlich:

  • einseitige Stauungsdermatitis beispielsweise bei einer kardialen oder einer chronisch-venösen Insuffizienz: Sie ist ebenfalls durch Schwellung und Rötung gekennzeichnet, allerdings ist die betroffene Stelle nicht überwärmt, das Erythem weniger glänzend und oft schuppig oder krustös belegt. Es kommt weder zu Fieber noch zur Erhöhung der Entzündungswerte im Blut.
  • Beinvenenthrombose: Das Bein ist geschwollen, manchmal livide verfärbt, jedoch nicht überwärmt. Außerdem besteht kein Fieber.
  • Pseudoerysipel (Erysipelas carcinomatosa) bei Mammakarzinom: „Die Metastasierung in den Lymphgefäßen der Haut führt zu einem klinischen Erscheinungsbild, das jenem des Erysipels gleicht. Allerdings haben die Patientinnen kein Fieber und der Verlauf unterscheidet sich, da sich das Pseudoerysipel nur langsam über Wochen ausbreitet“, erklärt Feldmann.

Okamoto bezeichnet die Stauungsdermatitis nicht nur als Differentialdiagnose des Erysipels, sondern auch als Ursache oder Folge: „Selbst wenn bei einem Bein-Erysipel die Entzündung abgeklungen und der Infekt ausbehandelt ist, kann durch den schwellungsbedingten hydrostatischen Druck die komplette Abheilung unterbleiben. Das betroffene Bein ist dadurch dicker. Diese Stauungsdermatitis wiederum ist Risikofaktor für ein Rezidiv.“

Beta-Lactam-Antibiotika und Kompression

Ein Erysipel kann ohne adäquate Therapie zu Komplikationen wie Endokarditis, Sepsis, akutem Nierenversagen und nekrotisierender Fasziitis führen. In der Annahme, dass meist Streptokokken Auslöser der Erkrankung sind, wird eine systemische Therapie mit Beta-Lactam-Antibiotika durchgeführt. Feldmann dazu: „Man beginnt in der Regel peroral oder in schweren Fällen parenteral mit Amoxicillin und Clavulansäure. Auch Cephalosporine kommen zum Einsatz. Im Fall einer Penicillin-Allergie wird Clindamycin angewendet.“ Vom Einsatz von topischen Steroiden rät er ab, da diese die klinischen Symptome des Erysipels maskieren können.

Für Okamoto gibt die Ausprägung des Erysipels den Ausschlag für die Wahl des Antibiotikums: „Ist es circa hand-flächengroß und verursacht sonst keine weiteren Symptome wie hohes Fieber über mehrere Tage, erfolgt der orale Einsatz von Phenoxymethylpenicillin. Ist die Ausprägung stärker, sollten Amoxicillin und Clavulansäure angewendet werden. In schweren Fällen, bei Rezidiven und bei Personen mit Risikofaktoren ist eine i.v. Therapie angezeigt.“ In diesen Fällen dürfe man keinesfalls zu kurz oder zu niedrig-dosiert behandeln, da sonst der Grundstein für ein chronisches Erysipel gelegt werde.

Die Wirkung von Antibiotika setzt in der Regel nach zwei bis drei Tagen ein. Kommt es nach diesem Zeitraum nicht zur Besserung des Erythems und zur Reduktion der Entzündungswerte, kann ein Wechsel des Antibiotikums erwogen werden. „In solchen Fällen ist zum Beispiel Linezolid eine gute Alternative“, sagt Feldmann und nennt die positiven Eigenschaften des Wirkstoffs: „Er ist sehr gut gewebegängig und bei oraler Gabe beinahe ebenso wirksam wie bei parenteraler Verabreichung. Außerdem ist eine Adaptierung an die Nierenfunktion nicht notwendig.“ In manchen Fällen könne eine Erweiterung der Antibiose mit Präparaten, die im gram-negativen Bereich wirksamen sind, erforderlich sein.

Neben der systemischen Therapie sollte die Eintrittspforte behandelt werden. Neben Bagatelltraumen ist diese oft eine Interdigitalmykose oder eine Onychomykose an den Füßen. Wichtige Maßnahmen stellen – im Fall eines Erysipels an den unteren Gliedmaßen – auch die Kompression und das Hochlagern des betroffenen Beins dar. „Die Kompression ist wichtig, um den Lymphstau zu lindern. Sie ist lediglich bei schweren Fällen von pAVK kontraindiziert“, sagt Feldmann. Okamoto ergänzt: „Die dadurch ausgelöste Reduktion der Schwellung ist wichtig für die Heilungstendenz. Geht die Schwellung nämlich nicht zurück, ist eine längere Antibiotikatherapie erforderlich und es erhöht sich das Risiko für eine Chronifizierung.“

Für chronisch-rezidive Verläufe fehlt laut Okamoto eine klare Definition: „Manche Patienten hatten jahrelang kein Erysipel, ehe sie dann doch wieder eine Infektion erleiden. Andere Patienten haben drei- bis viermal pro Jahr ein Erysipel. Im Prinzip kann man in beiden Fällen von einer Chronifizierung sprechen.“ Maßgeblich sei aber, wann eine Antibiotika-Prophylaxe indiziert ist. „Wenn ein Patient beispielsweise drei- oder viermal im abgelaufenen Jahr ein Erysipel hatte, ist eine medikamentöse Prophylaxe indiziert.“ Diese erfolgt oral mit einem Cephalosporin oder parenteral mit Penicillin. Laut Feldmann wird Benzathin-Penicillin als intramuskuläres Depot von 2,4 Millionen IE einmal pro Monat für mindestens sechs Monate angewendet. Der Experte gibt aber zu bedenken, dass die Schutzwirkung nach dem Absetzen entfällt und es dann auch wieder zu einem Erysipel kommen kann.

Die Behandlung des Lymphödems in Form von regelmäßiger Lymphdrainage und Kompression stellt eine präventive Maßnahme gegen Rotlauf beziehungsweise gegen ein Rezidiv des Rotlaufs dar, betont Okamoto. Für die allgemeine Prophylaxe nennt er Lebensstilfaktoren wie gesunde Ernährung, gegebenenfalls Rauchstopp und Gewichtsreduktion. Außerdem sei reichlich Bewegung wichtig: „Neben der gewichtsdämpfenden Wirkung kommt dabei vor allem die anregende Wirkung auf die Blutzirkulation in den Beinen zum Tragen, die Stauungen entgegenwirkt und somit das Erkrankungsrisiko reduziert.“


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 /10.06.2023
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