Medizin & Wissenschaft

Funktionelle Dyspepsie: Auf der Suche nach der Ursache

Lesezeit: 2 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Meist kann das bio-psycho-soziale Krankheitsmodell einen Hinweis auf die Ursache der funktionellen Dyspepsie geben. Auch NSAR, Aspirin und Psychopharmaka verursachen häufig Magenbeschwerden. Nahrungsmittel-Intoleranzen und Arzneimittelnebenwirkungen sollten routinemäßig ausgeschlossen werden.

von Manuela‑C. Warscher

Jeder 20. Erwachsene in Mitteleuropa leidet an einer funktionellen Dyspepsie (Reizmagen); Frauen sind davon etwas häufiger betroffen. Zu den häufigsten Symptomen zählen epigastrische Schmerzen, Druck- und Völlegefühl, Übelkeit und frühzeitiges Sättigungsgefühl. Diese Beschwerden präsentieren sich Studien zufolge nach zwei bis drei Jahren Krankheitsdauer bei 60 bis 90 Prozent der Betroffenen ähnlich. Allerdings ist nur bei einem Viertel der Patienten eine organische Ursache zu finden. „Meist kann das bio-psycho-soziale Krankheitsmodell einen Hinweis auf die zugrundeliegende Ursache bringen. Denn die funktionelle Dyspepsie kann sowohl biologische als auch psychologische oder soziale Gründe haben“, betont Univ. Prof. Rainer Schöfl von der Abteilung für Innere Medizin des Ordensklinikums Linz. Die Beschwerden klingen daher auch meist nach Beseitigung der herausfordernden Lebensumstände wie beispielsweise einer Scheidung oder dem Verlust des Arbeitsplatzes völlig ab.

Die funktionelle Dyspepsie tritt in zwei Formen auf, wobei diese häufig überlappen. Beim postprandialen Distress-Syndrom dominieren Völle- und rasches Sättigungsgefühl. Epigastrische Schmerzen und Brennen – unabhängig von der Nahrungsaufnahme – kennzeichnen das epigastrische Schmerzsyndrom. „Aufgrund des Triggers beim postprandialen Distress-Syndrom vermeiden viele Betroffene das Essen“, konkretisiert Univ. Doz. Christine Kapral von der Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie des Ordensklinikums Linz. In der Folge kommt es zum Gewichtsverlust.

Grundsätzlich könne die Diagnose „funktionelle Erkrankung“ nicht nach zwei Wochen, sondern erst „nach einigen Wochen und Monaten“ gestellt werden, betont Schöfl. In Ermangelung von klaren diagnostischen Untersuchungen beruht die Diagnose primär auf der klinischen Symptomatik beziehungsweise stellt eine Ausschlussdiagnose dar. Im Gegensatz zur funktionellen Dyspepsie treten die „Ausschluss-Symptome“ durchaus auch in der Nacht auf. „Die Beschwerdefreiheit in der Nacht während der Nahrungskarenz ist somit auch ein eindeutiger Indikator für eine funktionelle Dyspepsie“, erklärt Schöfl. Klagt der Patient über Schmerzen etwa zwei Stunden nach der Nahrungsaufnahme, liegt kein Reizmagen, sondern eine Erkrankung des Pankreas (Schmerzen, die gürtelförmig ausstrahlen), der Galle oder des Dünndarms vor. „20 Minuten nach dem Essen bedeutet zwar nicht automatisch eine funktionelle Dyspepsie, aber zumindest eine Erkrankung des Magens.“

Weitere Abklärung ist erforderlich bei Sodbrennen, Rülpsen und Thoraxschmerz, die die Refluxerkrankung begleiten, oder bei Verdacht auf ein Magenkarzinom, das häufiger beim älteren Menschen auftritt. Daher wird bei über 50-Jährigen, die an Oberbauchschmerzen leiden, eine Endoskopie empfohlen. „Erbrechen kommt bei funktioneller Dyspepsie eher selten vor und sollte entsprechend von Regurgitation und Rumination abgegrenzt werden“, so Kapral. Außerdem sollten routinemäßig Nahrungsmittel-Intoleranzen und Arzneimittelneben-wirkungen ausgeschlossen werden. Denn „NSAR, Aspirin oder Psychopharmaka gehen häufig mit Magenbeschwerden einher“, gibt Schöfl zu bedenken.

Nicht die Symptomfreiheit, sondern der bessere Umgang mit den Symptomen steht im Zentrum der Therapie. „Eine Probetherapie kann dabei nicht nur aus therapeutischer Hinsicht, sondern auch beim Ausschluss von anderen Diagnosen helfen“, betont Schöfl. Die Symptom-orientierte Therapie umfasst säuresuppressive Therapie in der Standarddosis über einen Zeitraum von zwei Wochen (PPI, H2-Blocker), Helicobacter-pylori-Eradikationstherapie, trizyklische Antidepressiva, Prokinetikum (wenn Völlegefühl oder rasche Sättigung vorherrschend), Phytotherapeutika (Kümmel, Anis, Wermut, Tausendguldenkraut, Ingwer oder Kamille) und Bauchhypnose. Schöfl dazu: „Manchmal hilft auch einfach ein Glas Milch anstelle von PPIs.“ Bei einigen Betroffenen hätte außerdem Akupunktur positive Ergebnisse gezeigt.

„Ein Großteil der Betroffenen leidet unter starken Schmerzen und das macht Angst. Außerdem weisen etwa zwei Drittel der Patienten mit einer funktionellen Dyspepsie eine Angststörung auf, was die Symptomatik wiederum verstärkt“, erklärt Kapral. Das unterstreiche ihrer Ansicht nach die Sinnhaftigkeit des Einsatzes von Psychopharmaka beziehungsweise psychotherapeutischen Interventionen wie magenzentrierter Hypnotherapie und kognitiver Verhaltenstherapie. Bei etwa einem Drittel der Betroffenen zeige sich darüber hinaus eine Überlappung des Reizmagens mit dem Reizdarmsyndrom. „Hier können viele gängige Hausmittel helfen“, betont Schöfl. Versagen alle Therapieoptionen, sollte an Stoffwechsel oder Suchterkrankungen gedacht werden. „Bei Heroin und Kokain entwickeln die Konsumenten Schmerzen im Duodenumbereich.“

Auf einen Blick

1) Zwei Formen der funktionellen Dyspepsie: postprandiales Distress-Syndrom (Völlegefühl, rasche Sättigung) und epigastrisches Schmerzsyndrom (Schmerzen unabhängig von der Nahrungsaufnahme).

2) Der Zeitpunkt der Schmerzen ist entscheidend. Bis 20 Minuten nach dem Essen: Erkrankung des Magens. Zwei Stunden nach dem Essen: Pankreas, Galle oder Dünndarm.

3) Die fünf Linien der Therapie umfassen: Säureblocker, Prokinetika (wenn Völlegefühl prävalent), Phytotherapeutika (Kümmel, Anis, Kamille), Akupunktur und Psychotherapie (Magenzentrierte Hypnotherapie, kognitive Verhaltenstherapie)

4) Schlägt die Therapie nicht an, sollte an eine Stoffwechsel- oder Suchterkrankung gedacht werden. Heroin- und Kokainkonsum verursachen Schmerzen im Duodenum.


Bildquellen & Copyright

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1–2 /25.01.2023
Unsplash #pMQgDg_8z88 Urheber: Jannes Jacobs


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