Medizin & Wissenschaft

Knieüberlastung durch Sport: Pausen steigern Leistungsniveau

Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Die überproportionale Intensivierung von sportlicher Aktivität erhöht das Risiko für Überlastungssymptome am Knie – sofern man Adaptierungsprozesse nicht berücksichtigt. Erst die regenerativen Prozesse in Belastungspausen machen es möglich, das sportliche Leistungsniveau weiter zu steigern.

von Martin Schiller

Während sich Muskulatur und Herz-Kreislaufsystem bei Intensivierung oder Aufnahme sportlicher Betätigung rasch adaptieren können, benötigen Knochen, Knorpel, Sehen und Bänder bedeutend länger. „Diese Schere ist oft die Ursache für Überlastungsreaktionen, wenn Menschen sich für intensiven Sport entscheiden und die Adaptierungen nicht abwarten“, sagt Univ. Prof. Stefan Nehrer, Leiter des Zentrums für Regenerative Medizin an der Universität für Weiterbildung Krems. Er rät daher bei Umstellung auf intensiven Sport, sich einen Trainingsplan zu erstellen – auf der Basis einer bestimmten Zielsetzung. „Ist das Ziel, einen Marathon in vier Stunden zu laufen, benötigt der Bewegungsapparat dafür zwei bis drei Jahre Trainingszeit.“ Studien zeigten aber, dass auch gesunde normalgewichtige Menschen zu früh zu intensive Trainings absolvieren oder ungenügend vorbereitet bei sportlichen Bewerben antreten. Dies kann in schweren Erschöpfungszuständen, Überlastungen von Gelenken, Sehnen und Bändern sowie nachhaltigen Schmerzen resultieren. Die häufigsten sportbedingten akuten und chronischen Überlastungssymptome am Knie sind dabei Stressfrakturen, Sehnenentzündungen, Periost-Reizzustände, und aktivierte Arthrose sowie Meniskus- und Kreuzbandverletzungen.

„Die meisten sportlichen Patienten mit Überlastungssymptomen sind Läufer beziehungsweise Personen, die mit dem Laufen begonnen haben“, berichtet Univ. Prof. Stefan Marlovits, Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sporttraumatologie in Wien. Die Intensität müsse im Training langsamer gesteigert werden, als vielfach gedacht wird. Marlovits versucht daher, seinen Patienten zu vermitteln, ein Gefühl für den Körper zu entwickeln. „Gelenke teilen sich mit: durch Schmerz während oder nach der Aktivität, durch Schwellung und durch Überwärmung.“ Dies alles seien Zeichen für eine zu große Belastung. Reduziert man Dauer oder Intensität unter Berücksichtigung dieser möglichen Beschwerden, kann man sich an den idealen Trainingsbereich herantasten. Außerdem rät Marlovits seinen Patienten, sich regelmäßig fachkundig beobachten zu lassen, um sicherzugehen, dass Bewegungsabläufe auch langfristig technisch einwandfrei durchgeführt werden. Über Schmerzen sollten Hobbysportler keinesfalls hinweggehen, sind sich die beiden Experten einig. „Man kann durchaus an ein Leistungslimit gehen, um Trainingseffekte zu erzielen, muss aber eine langsame Adaptierung akzeptieren. Ein nachhaltiger Schmerz ist nicht sinnvoll“, betont Nehrer.

Limit: Sieben Stunden pro Woche

Sieben Stunden über die Woche aufgeteilt sind das Limit für Breitensportler – das zeigen Untersuchungen an Kollektiven von Läufern, die nicht an Arthrose leiden. „Mehr als eine Stunde pro Tag intensiver Sport belastet vor allem beim Beginnen den Bewegungsapparat“, sagt Nehrer dazu. Führt man die Betätigung dennoch in diesem Ausmaß durch, benötige man danach eine ausgiebige Regenerationszeit. Das Risiko für eine Überlastung des Knies steigt zudem unter bestimmten Voraussetzungen. Dazu zählen Übergewicht, höheres Alter und Achsenfehlstellungen der Beine (O-Beine, X-Beine). Mit steigendem Alter wird der Knorpel dünner, weshalb auch Schmerzen bei Beanspruchung früher einsetzen. Diese verminderte Belastbarkeit müsse laut Nehrer berücksichtigt werden, indem die Dauer der Belastung verkürzt oder die Intensität reduziert wird. Er nennt ein Beispiel aus der Praxis: „Bei ausreichender Fitness kann man schon noch einen Berg hinaufgehen, aber man könnte bergab mit der Gondel fahren.“ Auch die Verwendung von Bergstöcken bringt eine erhebliche Entlastung der Knie.

Auch der allgemeine Trainingszustand vor intensiver sportlicher Betätigung spielt eine Rolle, wie Marlovits ausführt: „Die Muskulatur trägt zur Stabilität genauso viel bei wie das Band im Verhältnis 50 zu 50.“ Der rechtzeitige Muskelaufbau sei daher zum Beispiel vor einer Wintersportwoche dringend angeraten. Viele Menschen würden diese eher unvorbereitet antreten. „Klassisch sind Verletzungen am dritten Tag, wenn Müdigkeitsphasen und Erschöpfung eintreten, weil die Muskulatur nicht mehr die notwendige Stabilität aufweist“, sagt Marlovits. Nehrer nennt ein weiteres Beispiel für merkliche Überlastung, noch bevor eine Verletzung geschieht: „Ist bei einer Wanderung etwa nach drei Stunden ein etwas steifes Gefühl in den Knien zu bemerken, liegt ein Hinweis auf die geringer werdenden Gleit- und Dämpfungseigenschaften des Knorpels vor.“ Hintergrund: Der Schmiermechanismus im Gelenk wird durch zu hohe statische oder zu lange Belastungen beeinträchtigt.

RED-S: Höheres Risiko für Frauen

Frauen, die intensiv Sport ausüben, sind anfälliger für Verletzungen wie etwa für Stressfrakturen als Männer. Der Grund: das Relative Energy Deficiency Syndrom (RED-S). Es kann auftreten, wenn durch zu intensives Training oder eine zu schnelle Steigerung des Trainingsumfanges die Energiezufuhr nicht ausreicht, um physiologische Prozesse aufrechtzuhalten. Dies kann zu einer Symptom-Trias aus Amenorrhoe, gestörtem Essverhalten und Osteoporose führen. „Der Risikofaktor für die Frau ist die starke hormonelle Abhängigkeit des Knochenstoffwechsels. Durch Veränderungen im Hormonhaushalt wird dieser nicht mehr unterstützt“, erklärt Nehrer.

Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt es auch bei Kreuzbandverletzungen. Untersuchungen aus dem Fußball- und Handballsport zeigen, dass Frauen ein deutlich höheres Risiko aufweisen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Die Beinachse der Frau hat natürlicherweise öfter eine Valgusstellung. Bei Sprüngen und Rotationsbewegungen kommt es durch verstärkte Einknick-Bewegungen zu einer größeren Belastung des Kreuzbandes, das dadurch sogar ohne Sturz reißen kann. „Außerdem führen hormonelle Veränderungen zu einer Erweichung der Kollagenstruktur“, sagt Nehrer, woraus sich wiederum eine erhöhte Rupturneigung ergibt.

Trainingseffekt in Pausen

Erst regenerative Vorgänge in Belastungspausen ermöglichen eine Erhöhung des sportlichen Leistungsniveaus. „Es ist wichtig zu vermitteln, dass ohne entsprechende Erholungsphasen keine Aktivitätssteigerung erfolgen sollte“, betont Marlovits. In einem gewissen Belastungsbereich reagieren Zellen auf mechanische Reize noch adaptiv, wodurch es zu einer Verbesserung der Belastungsstruktur der Gewebe kommt. Es gibt aber eine kritische Phase, in der die Zellen durch mechanische Stimulation überlastet werden, wenn keine Pause eingelegt wird.

Nehrer streicht auch den Wert der Nachbereitung heraus. Ohne aktive Erholung kommt es zu kumulierten Belastungen auf den Zellapparat und das Gewebe, wodurch Überlastungssymptome gefördert werden. Er rät zu einer Art Ritual: „Warmes Wasser zur Lockerung, leichtes Massieren der Muskeln, Muskulatur ausstreifen – und ausgiebig Zeit dafür nehmen.“

Marlovits verweist auf Maßnahmen bei der Verletzungsprophylaxe: „Ordentliches Schuhwerk, guter ausgiebiger Schlaf und eine gesunde Ernährung haben große Bedeutung.“ Er rät darüber hinaus zu einem Blutbefund, um eventuelle Nährstoffdefizite zu ermitteln. Bei Bedarf könnten seiner Aussage zufolge sinnvoll sein: Calcium für die Knochen, Vitamin C für den Kollagenstoffwechsel und Umbauprozesse in der Kollagenstruktur; Chondroitin und Glucosamin könnten außerdem die Regeneration des Knorpels unterstützen.


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7_2024
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