Medizin & Wissenschaft
Therapieumstellung bei Depression: Pseudo-Therapieresistenz ausschließen
Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung
Bei Menschen, die an einer Depression leiden und eine schlechte Response zeigen, kann man mitunter von einer Pseudo-Therapieresistenz ausgehen. Um diese auszuschließen, raten Experten vor Beginn einer Kombinationstherapie oder einem Wechsel der Substanzklasse zu einem Therapeutic Drug Monitoring.
von Martin Schiller
Bis zu 60 Prozent der Menschen, die an einer Depression leiden, sprechen nicht oder nicht adäquat auf eine initiale medikamentöse Therapie an. Bei rund einem Drittel der Patienten liegt eine echte Therapieresistenz vor; daher wird bei allen Patienten mit einer schlechten Response zunächst eine Pseudo-Therapieresistenz ausgeschlossen. Die Gründe für dieses scheinbare Nichtansprechen sind vielfältig: Nebenwirkungen und damit verbundene mangelnde Therapieadhärenz kommen ebenso in Frage wie psychopharmakologische Aspekte und Komedikation. „Die möglichen Ursachen für eine nicht-adäquate Response sind somit bekannt. Wie man aber eine bessere Response erzielt, ist in vielen Fällen schwierig herauszufinden“, beschreibt Univ. Prof. Alex Hofer von der Universitätsklinik für Psychiatrie I an der Medizinischen Universität Innsbruck die Herausforderung. Besonders Menschen mit mehreren Krankheitsepisoden, die bereits in jungen Jahren erstmals erkrankt sind, Personen mit einer schweren Depression und Betroffene mit Komorbiditäten würden häufig nicht adäquat auf eine antidepressive Therapie ansprechen.
In manchen Fällen ist ein insuffizienter Wirkstoff-Plasmaspiegel der Grund für das Ausbleiben des Therapieerfolgs, wie Hofer ausführt: „Es ist möglich, dass diese Patienten Rapid Metabolizer sind, also den therapeutisch notwendigen Wirkstoffspiegel nicht aufbauen können. Die Bestimmung des Plasmaspiegels ist daher zur Abklärung ratsam.“ Der Plasmaspiegel eines Antidepressivums kann auch durch eine Komedikation in Form von CYP3A4-Induktoren wie Carbamazepin oder Glukokortikoide vermindert sein. Umgekehrt kann es durch Arzneimittelinteraktionen auch zur Hebung des Spiegels kommen. Hofer nennt als typische Beispiele die Einnahme von Antibiotika und Antimykotika. „Patienten berichten dann plötzlich von Nebenwirkungen. Dabei besteht die Gefahr, dass es zur Non-Adhärenz kommt, weil der Spiegel des Antidepressivums nun so hoch ist, dass es nicht mehr vertragen wird.“
Adhärenz fördern
Ein zu niedriger Plasmaspiegel des Wirkstoffs kann auch auf eine Non-Adhärenz des Patienten verweisen. Für die Förderung der Therapietreue spielt die Psychoedukation eine wesentliche Rolle, wie Priv. Doz. Thomas Vanicek von der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin in der Klinik Floridsdorf erklärt: „Im Gespräch mit dem Patienten ist es nach der Diagnose und Besprechung des Therapieplans wichtig, auf mögliche und übliche Nebenwirkungen zu verweisen. Man muss aber auch vermitteln, dass viele dieser unerwünschten Effekte nach einigen Tagen und Wochen wieder vergehen.“ Als weiteren Gesprächspunkt nennt er die Aufklärung darüber, wann eine Wirkung voraussichtlich eintritt und wie lange das Antidepressivum eingenommen werden muss. „Dieses kompakte Gespräch soll Patienten Unsicherheiten nehmen und auch vermitteln, dass die Medikation in der Regel Wirksamkeit zeigt“, sagt Vanicek. Er plädiert außerdem für das „Shared Decision Making“, mit dem auf die Bedürfnisse, Erwartungen und Wünsche der Patienten eingegangen wird. Manche Patienten nehmen etwa ein Antidepressivum nach wenigen Wochen nicht weiter ein oder beenden die Einnahme nach Aufbrauchen der ersten Packung wieder. „Ich betone daher stets, dass Antidepressiva bei guter Response jedenfalls sechs Monate eingenommen werden sollen. Diese Kontinuität sollte unbedingt vermittelt werden.“ Außerdem informiert Vanicek seine Patienten über die hohe Rückfallswahrscheinlichkeit, wenn der Betroffene zunächst auf das Medikament gut angesprochen hat, es aber nicht über einen ausreichend langen Zeitraum eingenommen wird. Denn eine Depression tritt in Episoden auf und kann mitunter eine chronische Erkrankung sein. „Aber ich gestalte das Gespräch positiv, prospektiv und vermittle, dass nach der Episode wieder Besserung eintritt, wenn die Therapie eingeleitet wird.“
Zwei bis vier Wochen entscheidend
Bevor eine medikamentöse Therapie bei einer Depression umgestellt wird, müsse laut Vanicek sichergestellt werden, dass täglich eine ausreichende Dosis des Arzneimittels eingenommen wurde, mit der üblicherweise eine Wirkung erzielt wird. Daher rät er nochmals zur Abklärung von Schlüsselfragen: Wurde das Arzneimittel wie besprochen kontinuierlich und auch zu den vereinbarten Tageszeiten eingenommen? Ist der notwendige Zeitpunkt der Evaluation bereits erreicht?
Um festzustellen, ob Patienten eine gute Response zeigen, ist ein Einnahmezeitraum von zwei bis vier Wochen notwendig. „Kommt es in dieser Zeit zu einer Besserung der Symptome, wird die Gabe fortgesetzt und beobachtet, ob eine Remission auftritt“, sagt Hofer dazu. Im Fall einer partiellen Response – einer Besserung der Symptomatik um 25 bis 50 Prozent – kann die Dosis gesteigert werden. Hofer nennt aber eine Einschränkung: „Ist der Plasmaspiegel bei SSRI-Einnahme bereits im therapeutischen Bereich, kann man von einer Dosiserhöhung nicht mehr profitieren, selbst wenn der Spiegel durch eine höhere Dosierung noch weiter steigt.“ Vanicek nennt eine Dosissteigerung über den therapeutischen Bereich hinaus (Therapie-Eskalation) als mögliche Option. Zu berücksichtigen sei aber das erhöhte Potential an Nebenwirkungen oder aber, dass diese stärker ausgeprägt sein können.
Ist die Response nach diesen Maßnahmen weiterhin ungenügend, wird mit einem zweiten Antidepressivum kombiniert. Klassische Kombinationen sind SSRI mit Mirtazapin, Mianserin oder Bupropion. Laut Hofer kann auch eine Augmentation mit Antipsychotika der neuen Generation versucht werden. „Wird nach diesen Maßnahmen keine Besserung der Psychopathologie um 50 Prozent erreicht, sollte eine Umstellung auf eine andere Substanzklasse wie SNRI erfolgen“, sagt der Experte. Bei milder oder moderater Schwere der Depression beziehungsweise bei einer nicht-melancholischen Depression sei eine Umstellung des Antidepressivums auch innerhalb der Substanzklasse möglich. Eine Umstellung auf eine andere Substanzklasse hingegen erfolgt bei einer melancholischen Depression und bei einem hohen Schweregrad der Krankheit.
Ein Wechsel innerhalb der Substanzklasse kann auch bei Nebenwirkungen erfolgen, wie Hofer erklärt: „Spricht ein Patient gut auf die Medikation an, klagt aber zum Beispiel über heftige Mundtrockenheit, könnte man ein anderes Medikament aus der gleichen Substanzklasse in Erwägung ziehen.“ Handelt es sich allerdings beispielsweise um sexuelle Funktionsstörungen als Nebenwirkung, sei ein derartiger Wechsel nicht sinnvoll.
Optionen bei Therapieresistenz
Bei Therapieresistenz haben die Betroffenen auf zumindest zwei Antidepressiva bei ausreichender Dosierung und Dauer der Einnahme nicht adäquat angesprochen. In solchen Fällen könne laut Hofer der Esketamin-Nasenspray eine Option darstellen. Der Spray wird in Kombination mit einem SSRI oder SNRI angewendet. Eine weitere Möglichkeit stellt die Elektrokonvulsions-Therapie dar. „Sie führt in über 80 Prozent der Fälle von Therapieresistenz zu einer Response“, sagt Hofer.
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