Medizin & Wissenschaft

pAVK: Screening bei Risikoprofil

Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Bei über 55-Jährigen steigt das Risiko für eine pAVK exponentiell an; ganz besonders davon betroffen sind Menschen mit juvenilem Diabetes mellitus. Bei Personen mit einem Risikoprofil – Hypertonie, Hyperlipidämie, Rauchen und positiver Familienanamnese – wird ein entsprechendes Screening empfohlen.

von Martin Schiller

Bereits ab einem Alter von 55 Jahren steigt das Risiko für die Entwicklung einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) exponentiell an. „Bei bestehenden Risikofaktoren kann man von einer weiteren exponentiellen Risikoerhöhung ausgehen“, sagt Univ. Prof. Marianne Brodmann von der Klinischen Abteilung für Angiologie der Medizinischen Universität Graz. Besonders Menschen mit Diabetes mellitus hätten ein erhöhtes Risiko, weshalb Brodmann zumindest einmal pro Jahr eine Messung des Knöchel-Arm-Index (ancle-brachial-Index, ABI) bei dieser Patientengruppe empfiehlt. Das gelte speziell bei juvenilem Diabetes: „Diese Patienten sind äußerst gefährdet, chronische Durchblutungsstörungen der Beine zu entwickeln.

Daher sollte eine Untersuchung auf das Vorliegen einer pAVK schon ab dem 40. bis 45. Lebensjahr erfolgen.“ Weitere Risikofaktoren für die Entstehung einer pAVK sind Hypertonie, Hyperlipidämie, Rauchen und eine positive Familienanamnese für pAVK. Brodmann rät zum Screening bei jenen Patienten, bei denen ein entsprechendes Risikoprofil im Rahmen von Gesundenuntersuchungen wiederholt festgestellt wird. „Man verhindert damit vielleicht nicht mehr, dass Stenosen symptomatisch werden, aber man kann das Risikoprofil besser kontrollieren. Kommt nämlich zu kardiovaskulären Risikofaktoren noch eine pAVK hinzu, steigen kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität extrem an.“ Neben der Messung des ABI – eine leichte pAVK liegt bei einem Index von 0,75 bis 0,9 vor – zählt auch die Palpation der Fußpulse zur primären Diagnostik. „Die Durchführung eines CT oder MRT ist in den meisten Fällen nicht notwendig“, sagt Assoc. Prof. Priv. Doz. Oliver Schlager von der Klinischen Abteilung für Angiologie der Medizinischen Universität Wien. In großen Studien hätte sich gezeigt, dass gut tastbare Fußpulse eine schwere pAVK ausschließen.

Reduktion von Risikofaktoren
Bei asymptomatischen Patienten gibt es keine klare Empfehlung für eine antithrombotische Therapie. „Ausgenommen sind nur Personen, die asymptomatisch sind, weil sie zuvor einen revaskularisierenden Eingriff hatten“, sagt Schlager. Bei allen anderen asymptomatischen Patienten sei ausschließlich eine Reduktion der Risikofaktoren angezeigt. Diese beinhaltet Gewichtsreduktion bei Übergewicht, Nikotinkarenz bei Rauchern sowie die Behandlung von Hypertonie, Hyperlipidämie und des Diabetes mellitus. Hinsichtlich des Rauchstopps sei es wichtig, aktiv auf Entwöhnungsprogramme hinzuweisen oder die Betroffenen rasch in solche Programme zu integrieren.

Alltagseinschränkungen erfragen
Zwischen 30 und 50 Prozent der Patienten mit einer asymptomatischen pAVK entwickeln im Lauf der Zeit eine symptomatische pAVK. Im Stadium der Claudicatio intermittens („Schaufensterkrankheit“) kommt es beim Gehen von längeren Strecken zu belastungsabhängigen Schmerzen in der Beinmuskulatur, meist zu Krämpfen oder Ziehen in der Wade. Schlager rät dazu, gezielt nachzufragen, ob die Schmerzen zum Stehenbleiben zwingen. Die genaue Angabe der Gehstrecke in Metern hingegen sei für die klinische Praxis irrevelant. „In Lehrbüchern wird das Stadium IIa der pAVK mit einer Gehstrecke von mehr als 200 Metern vom Stadium IIb mit einer Strecke von unter 200 Metern, abgegrenzt. Patienten messen aber ihre Gehstrecken nicht genau ab. Viel wichtiger ist die Unterscheidung, ob man sich subjektiv eingeschränkt fühlt. Im Stadium IIa besteht keine starke Einschränkung. Die Betroffenen spüren zwar Schmerzen beim Gehen, diese stören aber im Alltag nicht besonders. Bei IIb bestehen hingegen Schmerzen, die sich sehr einschränkend auswirken.“ Brodmann macht auch auf einen langen Weg aufmerksam, den manche Patienten bis zur Diagnose hinter sich haben: „Es präsentieren sich manchmal Patienten, die bereits an der Schaufensterkrankheit leiden, aber zuvor Therapien gegen Wirbelsäulenerkrankungen erhalten haben. Schmerzen in der Wade werden manchmal als Folge von degenerativen Wirbelsäulen- und Skelettveränderungen eingestuft, besonders wenn die Person körperlich hart gearbeitet hat. Diese Miss-Interpretation führt sogar in manchen Fällen zu nicht notwendigen Operationen.“

Supervidiertes Gehtraining
Als absolute Indikation für einen Eingriff mit Revaskularisation sieht Schlager die Schaufensterkrankheit nicht. „Ein Eingriff zur Verbesserung der Durchblutung ändert nämlich das kardiovaskuläre Gesamtrisiko nicht und ist außerdem mit einem hohen Rezidivrisiko für Gefäßengstellen verbunden.“ Eine starke Empfehlung sprechen Brodmann und Schlager hingegen für supervidiertes Gehtraining aus. „Empfehlenswert sind zwei bis drei Einheiten pro Woche mit jeweils einer Dauer von 30 bis 45 Minuten. Es wird dabei flott gegangen, um einen Muskelschmerz auszulösen. Nach einer Pause geht man weiter, bis wieder ein Schmerz ausgelöst wird“, erklärt Schlager. Dieses intermittierende Gehen habe in Studien zu einer deutlichen Verbesserung der Symptome nach sechs Monaten geführt. Brodmann betont den Wert von Rehabilitationsaufenthalten: „Patienten lernen dort, sich richtig zu bewegen. Strukturiertes Gehen – auch Nordic Walken zählt dazu – ist sehr gut dazu geeignet, das Fortschreiten der Krankheit zu verhindern.“

Bei einer symptomatischen pAVK reduziert die antithrombotische Therapie mit täglich 100 mg Acetylsalicylsäure oder 75 mg Clopidogrel das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse. Andere Thrombozytenaggregationshemmer wie Prasugrel und Ticragelor, die bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung eingesetzt werden, werden bei pAVK routinemäßig üblicherweise nicht gegeben. Eine neue Therapieempfehlung ist die Kombination von ASS mit dem DOAK Rivaroxaban. Schlager verweist auf eine entsprechende Empfehlung der Arbeitsgruppe für Gefäßerkrankungen der European Society of Cardiology (ESC) aus dem Jahr 2021. Sie basiert auf Daten aus der COMPASS-Studie, in der 100 mg ASS einmal täglich mit 2,5 mg Rivaroxaban zweimal täglich die Inzidenzrate für den primären Studienendpunkt (kardiovaskulär bedingter Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall) stärker senkte als die alleinige Gabe von ASS. „Das war eine Landmark-Studie“, sagt Brodmann. „Bis dahin hat es nur wenige Studien mit ausschließlich pAVK-Patienten gegeben. Diese Patientengruppe war oft nur ein Subkollektiv bei KHK-Patienten. Diese Erkrankungen kann man aber nicht miteinander vergleichen.“ Auch die Ergebnisse aus der VOYAGER-Studie wurden in der Empfehlung der ESC-Arbeitsgruppe umgesetzt. Hier kam es nach drei Jahren im Rivaroxaban/ASS-Arm zu einer signifikant niedrigeren Rate an pAVK-bezogenen oder kardiovaskulären Ereignissen als im Placebo/ASS-Arm. „Die zusätzliche Gabe von Rivaroxaban erhöht zwar das Blutungsrisiko, demgegenüber steht jedoch das reduzierte arterielle-thrombotische Ereignisrisiko, erklärt Schlager.

Indikation für Revaskularisation
Im fortgeschrittenen Stadium einer pAVK liegt eine chronisch, das Bein bedrohende beziehungsweise kritische Ischämie vor. Schlager beschreibt die möglichen Beschwerdebilder: „Patienten haben im Bereich des Vorfußes Schmerzen, die häufig nachts auftreten. Es kann in diesem Stadium auch zu schlecht heilenden Ulzerationen oder Nekrosen im Vorfußbereich kommen.“ Es gebe eine beträchtliche Zahl an Patienten, die sich erst in diesem kritischen Stadium präsentieren, weil sie sich vorher körperlich wenig belastet haben und die Symptome der Schaufensterkrankheit nicht bemerkt wurden. „Es handelt sich dabei meist um ältere Menschen, die nicht viel zu Fuß gehen und zum Beispiel eine Wunde auf einer Zehe haben. Bei genauerer Untersuchung stellt sich dann heraus, dass sie an einer bis dahin nicht diagnostizierten pAVK leiden.“ Bei einer kritischen Ischämie stelle die Revaskularisation einen unumgänglichen Schritt dar, wie Schlager betont. „Es sollte schnell zu einer Bildgebung kommen, damit der Eingriff zeitnah erfolgen kann.“


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1–2 /25.01.2023
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