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Kinderorthopädie: Knick-Senkfuß ist Normvariante

Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Zwei orthopädische Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter sollten rasch abgeklärt werden: Schmerzen und Hinken. Da jedes zweite dreijährige Kind einen Knick-Senkfuß aufweist, handelt es sich den Aussagen von Experten zufolge nicht um eine Pathologie, sondern um eine Normvariante. Die beste Therapie: Sport. 

von Julia Fleiß

Geringfügige Deformitäten, die „meist keiner Therapie bedürfen“, stellen die häufigsten orthopädischen Auffälligkeiten dar, wieso Eltern mit ihren Kindern zu einem Facharzt gehen, berichtet Priv. Doz. Christof Radler von der Allgemeinen Kinderorthopädie am Orthopädischen Spital Speising in Wien. Zu diesen Deformitäten zählen Rotationsstörungen im Unter- und im Oberschenkel sowie der Knick-Senkfuß. Beide Pathologien seien jedoch nur in seltenen Fällen und „jedenfalls nicht“ vor dem sechsten Lebensjahr behandlungswürdig, so der Experte. 

 

Selbstkorrigierende Störung 
 

„Die Torsion des Unterschenkels korrigiert sich in der Regel bis zum fünften Lebensjahr von selbst“, versichert Radler. Hingegen kann sich die Drehung des Oberschenkels bis zu den letzten Wachstumsschüben um das 12. bis 14. Lebensjahr noch verbessern. Nur zwei Prozent der Patienten mit solchen Rotationsstörungen bedürften einer Operation, erklärt Radler. 

Ein Genu varum oder ein Genu valgum seien ab einem gewissen Ausmaß schon therapiebedürftig. „Je nach Schwere der Torsionsstörung kann ab dem zehnten Lebensjahr minimalinvasiv ein Plättchen in die Wachstumsfuge eingesetzt werden, wodurch sich die Beinstellung begradigt. Das Plättchen wird nach erfolgreichem Ergebnis wieder entfernt.“ Auf diese Weise können Umstellungsosteotomien im Erwachsenenalter vermieden werden. Radler gibt jedoch zu bedenken, dass diese Operation nur „bei genügend Restwachstum“ Sinn mache. Bei Mädchen wachsen Beine bis zum 14., bei Burschen bis zum 16. Lebensjahr. „Dabei zählt aber das Knochenalter, das individuell unterschiedlich ist“, erklärt Radler. Um dieses zu bestimmen, wird ein Röntgenbild der linken Hand angefertigt, da die dortigen Wachstumsfugen und Leistungszeichen das Knochenalter anzeigen. 

Laut Studien haben 54 Prozent der Dreijährigen und 24 Prozent der Sechsjährigen einen Knick-Senkfuß. „Da sich die Prävalenz des Knick-Senkfußes von drei bis sechs Jahren halbiert, hat man früher gedacht, dass Einlagen zum Erfolg führen. Dabei korrigiert sich die vermeintliche Pathologie in den meisten Fällen selbst“, schildert Radler. Das erklärt auch, wieso früher bei Schulkindern Einlagen nahezu routinemäßig verschrieben wurden. Auch später sei der Effekt von Schuheinlagen fragwürdig. Nach Ansicht von Priv. Doz. Rainer Biedermann vom Bereich Orthopädie Fuß- und Kinder-Team an der Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie in Innsbruck sind sogar „nahezu sämtliche Einlagentherapien unnötig.“ Positiv auf Knick-Senkfüße, die in den wenigsten Fällen Schmerzen auslösen, wirke sich laut Biedermann das Barfußgehen aus. „Eine Einlage ist sogar kontraproduktiv, weil damit die Fußmuskulatur noch weniger trainiert wird“, so der Experte. Als die „beste Therapie“ bei Knick-Senkfuß bezeichnen die Experten Sport. Und Radler gibt zu bedenken: „Wenn 54 Prozent einer Altersgruppe eine so genannte Pathologie aufweisen, muss man sich bewusst sein, dass es sich um eine Normvariante handelt.“ 

Vorsicht sei bei einem Knick-Senkfuß lediglich dann geboten, „wenn sich die Zehenspitzen nicht aufrichten. Dann sollten die Alarmglocken schrillen“, warnt Biedermann. „Differentialdiagnosen sind hier eine Coalitio, eine Achillessehnenverkürzung, eine milde Form einer zerebralen Bewegungsstörung oder wenn die Auffälligkeit neu und nicht angeboren ist, in sehr seltenen Fällen sogar eine maligne Ursache wie ein Tumor im Bereich der Wirbelsäule“, so der Experte. Dass ein unbehandelter Knick-Senkfuß im Erwachsenenalter Wirbelsäulenbeschwerden nach sich zieht, bezweifelt Radler. „Sowohl Hypermobilität als auch Adipositas können zu einem Knick-Senkfuß und Wirbelsäulenschmerz führen. Prädestinierte Patienten leiden an diesen Beschwerden aber aufgrund des unterentwickelten muskuloskelettalen Systems und nicht wegen einer Korrelation zueinander.“ 

Skoliose eher bei Mädchen 

Von Skoliose sind im Kindes- und Jugendalter eher Mädchen als Burschen betroffen. „Diese C- oder Sförmige Seitverkrümmung der Wirbelsäule geht in der Regel mit einer Torsion der Wirbelkörper einher“, erklärt Biedermann. Die Skoliose kann bereits im Kleinkindalter auftreten; meist jedoch zu Beginn der Pubertät. Bei einem Cobb-Winkelwert von über 20 Grad rät der Orthopäde zur Verschreibung eines Mieders. In den meisten Fällen sei bei Skoliose Physiotherapie konsequent über einen längeren Zeitraum notwendig. Wird Kindern Physiotherapie bei anderen Krankheitsbildern verschrieben, gibt Radler zu bedenken: „Die Physiotherapie wird für sechs bis zehn Einheiten verschrieben. In den seltensten Fällen werden die Übungen fortgeführt, was aber erforderlich wäre.“ Wesentlich besser wäre es, das Kind für Sport zu begeistern, der dann regelmäßig ausgeübt wird. 

Zwei orthopädische Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter sollten laut den Experten „rasch“ abgeklärt werden: Schmerzen und Hinken. „Schmerz ist immer ein ‚Red flag‘ bei Kindern“, warnt Radler. Neben Wachstumsschmerzen, infektbedingten Gelenksschmerzen wie Coxitis fugax und Überlastungsschmerzen aufgrund von übermäßigem Sport gibt es auch ernstere Krankheiten, die als Ursache in Frage kommen. „Bei Morbus Perthes kommt es aufgrund der Durchblutungsstörung der Hüfte zum Absterben von Knochenzellen im Hüftkopf“, fasst Biedermann zusammen. Die Kinder humpeln und klagen über Schmerzen, die in den Kniebereich ausstrahlen. Bei der Untersuchung ist eine Bewegungseinschränkung der Hüfte festzustellen. Um einer Deformierung des Kugelgelenks entgegenzuwirken, ist eine Entlastung notwendig. „Bei einer schweren Ausprägung wird ab einem gewissen Alter die Überdachung des Hüftkopfes operativ verbessert, damit er rund bleibt“, erklärt Biedermann. Morbus Perthes kann in einer frühen Arthrose münden, die dann bereits mit 30 oder 40 Jahren der Grund für eine Totalhüftendoprothese sein kann. 

Ganz generell beobachten die Experten zwei Trends bei Kindern und Jugendlichen: Während die eine Gruppe aufgrund der exzessiven Nutzung von elektronischen Medien kaum sportlich aktiv ist und aufgrund einer oft vorhandenen Adipositas Gelenksbeschwerden entwickelt, kommt es in der anderen Gruppe wegen des exzessiven Sports oder sogar Leistungssports zu orthopädischen Problemen. Je nach Sportart kann es sogar zu Überlastungsschmerzen und frühen, teils irreversiblen Abnützungserscheinungen kommen. „Ein Überlastungssyndrom bei Läufern sind so genannte Shin splints, das Schienbeinkanten-Syndrom. Es entsteht durch Ansatzreizung der Muskulatur“, sagt Radler. „Wenn nur eine Sportart und diese extrem betrieben wird, steigt die Häufigkeit von Bone stress injuries.“ Als Folge von wiederholten Überstreckbewegungen – etwa beim Turnen – kann es zum Impingement der Hüfte kommen. „Leistungsturner werden über das Physiologische hinaus in den Spagat hineingedrückt. Schlägt der Hüftkopf immer wieder gegen den Pfannenrand an, wird dieser geschädigt – das wirkt sich oft erst im Erwachsenenalter aus“, erklärt Biedermann. Folgen des Impingements sind eine Wulstbildung am Schenkelhals oder ein Riss des Labrums. „Man beseitigt hier die Folgeerscheinungen: Eine operative Entfernung der Wulst oder das Nähen des Labrums sind dann indiziert“, erklärt Biedermann. 

Kritisch äußert sich Radler zu Trampolinen, die nicht nur eine hohe Unfallgefahr bergen, sondern auch Wirbelsäulenschmerzen bei Kindern verursachen können. „Unser Körper scheint nicht dafür gemacht zu sein“, resümiert der Experte. Ebenso kritisch sieht er die Tatsache, dass Kinder verstärkt Yoga praktizieren. „Nur wenige Kinder haben verkürzte Muskulatur. Im Gegenteil: Sie sind eher hypermobil, was durch Yoga noch verstärkt wird.“ Den Aussagen der beiden Orthopäden zufolge stellt Klettern die „beste Sportart“ für Kinder dar, da es „Kraft und Stabilität“ erzeugt. 


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 /10.02.2023
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