Medizin & Wissenschaft

Chronischer Rückenschmerz: Fehlende Ausgleichsbewegung

Lesezeit: 3 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Bei der Chronifizierung des unspezifischen Rückenschmerzes stellt vor allem die fehlende Abwechslung der Körperhaltung ein großes Problem dar. Mit der Gabe von Analgetika sollte man zurückhaltend sein, solange nicht geklärt ist, ob eine spezifische Ursache für den Rückenschmerz vorliegt.

von Martin Schiller


Fast zwei Millionen Menschen leiden in Österreich an Rückenschmerzen. In der Altersgruppe der unter 60-Jährigen ist jeder Fünfte betroffen, bei den über 60-Jährigen bereits jeder Dritte. Das Risikoprofil für das Auftreten des Rückenschmerzes und seine Chronifizierung (Schmerz seit mindestens zwölf Wochen) wird laut der Österreichischen Leitlinie Kreuzschmerz 2018 durch interindividuell unterschiedliche Ursachen bestimmt, die zum Teil „schwierig“ zu erfassen sind, wie es in der Leitlinie heißt.

Als allgemeine Risikofaktoren für die Entstehung eines unspezifischen chronischen Rückenschmerzes gelten Bewegungsmangel, Fehlbelastungen wie langes Sitzen, Fehlhaltung, Adipositas, arbeitsplatzbezogene Aspekte, Rauchen und psychosoziale Aspekte. „Der chronische Rückenschmerz ist schwierig zu behandeln, weshalb ein multimodales Therapiekonzept erforderlich ist“, sagt Univ. Prof. Josef Grohs von der Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie an der Medizinischen Universität Wien. Die Schmerzreduktion werde meist durch NSAR erreicht, im Einzelfall könne die Verabreichung von Co-Analgetika, Antidepressiva sowie von Opiaten erwogen werden. „Aber der Patient sollte gleichzeitig auch zur Bewegung und zu gezielten Übungen unter Anleitung ermuntert werden.“ Die ergonomische Verbesserung des Arbeitsplatzes und die Einhaltung von Pausen seien weitere wichtige Eckpfeiler. Außerdem sollte eine Verhaltenstherapie erfolgen. Psyche und Rückenschmerzen beeinflussen sich gegenseitig, wie Grohs erklärt: „Eine psychische

Alteration, etwa bedingt durch starke familiäre oder berufliche Belastung, kann Auslöser des Rückenschmerzes sein. Umgekehrt kann ein lang andauernder Rückenschmerz die psychische Verfassung beeinträchtigen und zu Depressionen führen.“ Die Anzahl von bisherigen Rückenschmerzepisoden sei ebenfalls zu berücksichtigen: „Je öfter eine Episode bei einem Patienten bereits aufgetreten ist, umso mehr neigt er dazu, einen chronischen Schmerz zu entwickeln und umso schwieriger ist die Behandlung.“ Das Schmerzgedächtnis lasse sich theoretisch zwar löschen, aber: „In der Praxis ist diese Umkehrung oft schwierig und bedarf Unterstützung durch Schmerzambulanzen. Eine Kooperation mit Schmerztherapeuten kann bei der Umpolung helfen“, erklärt Grohs.

Priv. Doz. Peter Ferlic von der Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie an der Medizinischen Universität Graz sieht den erstbetreuenden Arzt in einer Lotsenfunktion für die Koordination der nächsten diagnostischen und therapeutischen Schritte. „Damit werden Wiederholungen der Diagnostik vermieden und letztlich wird damit auch einer Chronifizierung vorgebeugt.“ Wichtig sei alledings die Beachtung von Red flags für organische Erkrankungen, die dem Rückenschmerz zugrunde liegen könnten (siehe Kasten) und eine Bildgebung sowie eine Blutuntersuchung notwendig machen können. „Solange nicht abgeklärt ist, ob eine spezifische Ursache für den Rückenschmerz vorliegt, welche eventuell sogar behoben werden könnte, sollte man die dauerhafte Gabe von Analgetika hinterfragen“, betont Ferlic.

Ferlic weist darauf hin, dass vor allem die fehlende Abwechslung der Körperhaltung ein großes Problem für die Chronifizierung des unspezifischen Rückenschmerzes darstellt. Er rät bei Büroarbeit dazu, zwischendurch immer wieder aufzustehen, die Haltung häufig zu wechseln, die Arme hoch zu heben und auch zu dehnen. Empfohlen werden auch höhenverstellbare Schreibtische und – wenn möglich – manche Tätigkeiten im Stehen zu verrichten. Gutes Training der Rückenmuskulatur sei dennoch unumgänglich: „Ein gut trainierter Rücken hält ungesunde Haltungen besser aus. Ist die Muskulatur nicht ausreichend trainiert, kommt es in einer ungünstigen Position eher zu Schmerzen.“ Die Empfehlung, sich regelmäßig zu bewegen, sei daher essentiell und abwechslungsreiche Bewegungsformen zur Mobilisierung verschiedener Körperregionen empfehlenswert. „Ausdauertraining kann einer Chronifizierung vorbeugen. Das gilt auch für ältere Patienten“, sagt Ferlic.

Nicht alle Bewegungen sind jedoch ideal, betont Grohs: „Ungünstig für den Rückenschmerzpatienten sind Sprungbewegungen, wie sie beim Trampolinspringen und Seilspringen durchgeführt werden.“ Er rät dazu, im Alltag kombinierte Dreh-Beuge-Bewegungen möglichst zu vermeiden. „Man sollte es beispielsweise vermeiden, sich nach unten zu beugen, um den Geschirrspüler auszuräumen, um etwas aus dem unteren Regal im Supermarkt zu nehmen oder um schwere Gepäckstücke aus dem Kofferraum zu heben.“ Zur Vorsicht mahnt Grohs auch im Hinblick auf die unzähligen Angebote abseits von medizinischen Therapien. „Viele Angebote sind nur mangelhaft evidenzbasiert. Prinzipiell gilt: Je kontrollierter die Bewegungen und umso mehr dies unter fachkundiger Kontrolle geschieht, desto besser für den Rückenschmerzpatienten.“

Häufig wird ein Einfluss der Faszien auf die Entwicklung eines Rückenschmerzes postuliert. Ferlic sagt, es sei unbestritten, dass die Faszien eine wichtige Stütz- und Aufbaufunktion für den Bewegungsapparat haben, schränkt aber ein: „Man sollte aber zurückhaltend sein, die Faszien als alleinige Ursache des unspezifischen Rückenschmerzes zu sehen.“ Der Körper werde mit zunehmendem Alter unflexibler und dabei würden Faszien eine Rolle spielen. Jedoch könne man diesem Prozess mit Dehnungsübungen und gezielter Gymnastik entgegenwirken und damit auch den Bewegungsumfang der Gelenke möglichst gut erhalten.

Spezifische Ursachen für Rückenschmerzen: Red flags

  • Frakturen: Traumata durch Stürze oder Unfälle, Osteoporose, Bagatelltraumen bei älteren oder potentiellen Osteoporosepatienten, systemische Steroidtherapie
  • Infektion: allgemeine Symptome eines Infekts, Immunsuppression, Autoimmunerkrankung in der Anamnese, durchgemachte bakterielle Infektion, kürzlich erfolgte Infiltrationsbehandlung der Wirbelsäule
  • Radikulopathien und Neuropathien: Schmerzen, die in eines oder beide Beine ausstrahlen; Parästhesien und Taubheitsgefühle
  • Tumor: Risikofaktor höheres Alter, Tumorleiden in der Vorgeschichte, zunehmender Schmerz in Rückenlage, starke nächtliche Schmerzen

Quelle: Univ. Prof. Peter Ferlic; Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 /10.09.2023
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