Medizin & Wissenschaft
Varikosis: Weniger ist mehr
Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung
Bei schweren Ausprägungen der chronisch venösen Insuffizienz zeigt sich in den vergangenen Jahren ein Rückgang. Während Besenreiser ein rein kosmetisches Problem sind, stellt die Stammvarikosis eine krankhafte Veränderung dar. Bei der Therapie von über 60-Jährigen gilt ganz grundsätzlich: weniger ist mehr.
von Manuela-C. Warscher
Jeder sechste Mann und jede fünfte Frau leidet an einer chronisch venösen Insuffizienz (CVI), wobei sich laut Studien allerdings ein Rückgang der schweren Ausprägungen in den letzten Jahren beobachten lässt. Darunter liegt eine fortgeschrittene chronisch venöse Insuffizienz bei 3,8 Prozent der Männer und 3,4 Prozent der Frauen vor. „Risikofaktoren einer Varikose sind fortgeschrittenes Alter, weibliches Geschlecht, Schwangerschaften und eine positive Familienanamnese“, erklärt Univ. Prof. Erich Minar von der Wiener Privatklinik. Eine primäre Varikose kann bereits in der Kindheit auftreten – mit steigender Prävalenz und zunehmender Progression mit fortschreitendem Alter.
Kommt es durch verschiedene Faktoren zur primären Varikosis, ist eine Venenthrombose mit resultierender Abflussstörung, erhöhtem Venendruck und Venenklappeninsuffizienz die Ursache für die sekundäre Varikosis. „Der Zustand der Venenklappen sollte am besten mittels Ultraschall beurteilt werden“, so Minar. Varizen – sie sind vorwiegend an der unteren Extremität lokalisiert – können sich in unterschiedlicher Ausprägung und Schweregrad entwickeln. Kaliber, Anatomie und Ursprung der betroffenen Venen definieren, ob es sich um eine Stammvarize, Seitenastvarize, Perforansvarize, pelvine Varize, retikuläre Varize oder Besenreiservarize handelt. „Besenreiser sind rein kosmetischer Natur, während die Stammvarikosis häufig eine krankhafte Veränderung darstellt“, erklärt Minar. Außerdem kann es bei prädisponierten Personen nach der Behandlung zum neuerlichen Auftreten von Varizen kommen.
Thrombose ist Rarität
Eine Varikose kann entweder symptomatisch mit Juckreiz, Ziehen, Schwere- oder Druckgefühl oder asymptomatisch mit Ödem und/oder Hautveränderungen bis hin zu Ulcus cruris venosum verlaufen. Bei rund drei bis sechs Prozent der Patienten mit Varizen bildet sich im Lauf der Erkrankung ein venöses Ulcus aus. „Eine Thrombose ist aber eine Rarität. Aus diesem Grund sollte der Allgemeinmediziner dem Patienten auch primär die Angst davor oder vor einem Ulcus nehmen“, schränkt Minar ein. Jedenfalls kann eine „medizinisch bedeutsame Varikose“ wie Stammvenen- oder Perforansinsuffizienz mit einem Ulcus cruris venosum oder Varikophlebitis einhergehen. Daher kommt der Diagnose und Klassifizierung auch ein zentraler Stellenwert zu. Neben der Klinik ist die farbcodierte Duplex-sonographie Mittel der Wahl. Sie kann Auskunft über die Hämodynamik und den Zustand der tiefen Venen geben. Außerdem können Venenfunktionsmessungen durchgeführt werden. Nicht mehr State of the Art hingegen sei die Diagnostik basierend auf Kontrastmitteln, erklärt Minar. Auszuschließen sind vor allem arterielle Durchblutungsstörungen und im Fall von Beinschwellungen eine kardiale Insuffizienz.
Bei der Therapie müsse in erster Linie der Patientenwunsch berücksichtigt werden, zudem könne jegliche Therapieentscheidung bei über 60-Jährigen – vor allem bei invasiven Methoden – nur unter Abwägung des Allgemeinzustandes getroffen werden. „Umso älter, umso weniger sollte gemacht werden“, betont Minar. Um die venöse Hämodynamik zu verbessern, Stauungsbeschwerden und Ödeme zu eliminieren, venöse Ulzera abzuheilen und Komplikationen weitgehend zu vermeiden, stehen nicht-invasive Therapien wie Kompression, venoaktive Arzneimittel, physikalische Therapie und Gewichtsreduktion sowie invasive Therapien wie etwa die Sklerotherapie oder andere chirurgische Eingriffe zur Verfügung.
Symptome
- Schwellung der Beine, die sich im Laufe des Tages verschlimmert
- Schmerzen
- Gefühl der Schwere und Enge
- Juckreiz
- Sichtbare Varizen
- Ulcus cruris
Klassifikation des Schweregrades*
Klinisch
- C0: Keine Anzeichen
- C1: Besenreiser, retikuläre Varizen
- C2: Varizen
- C3: Ödem, durch venöse Insuffizienz bedingt
- C4: Hautveränderungen, bedingt durch venöse Insuffizienz (Dermatoliposklerose, Atrophie blanche, Pigmentation, Stauungsekzeme) bedingt
- C4a: Varikose mit Pigmentierung oder Ekzem
- C4b: Varikose mit Dermatoliposklerose beziehungsweise Atrophie blanche
- C5: Abgeheiltes venöses Ulcus
- C6: Florides Ulcus
*nach CEAP (Clinical condition; Etiology, Anatomic location, Pathophysiology)
Eine Kombination dieser Verfahren sei „in den meisten Fällen“ sinnvoll, wie der Experte betont. Bewegung, wenig Stehen und Sitzen sowie das Hochlagern der Beine bei existierender Schwellung der Beine unterstützen diese Maßnahmen. Minar dazu: „Schwimmen ist das Beste für diese Patienten.“ Bei Schwellungsneigung bildet die Kompressionstherapie die Basis für Patienten mit einer fortgeschrittenen chronisch venösen Insuffizienz und venösen Ulzera oder symptomatischer Varikose. Sind chirurgische Verfahren indiziert, wird in erster Linie auf Stripping und Crosssektomie zurückgegriffen: „Vor allem bei jungen Patienten mit Stammvarikose ist das Stripping State of the Art“, bestätigt Minar. Wenn auch Schaumsklerosierung die am geringsten invasive Methode von allen endovenösen Ablationstechniken wie Laser oder Radiofrequenz ist und auch beliebig oft wiederholt werden kann, verzeichnet sie „im Vergleich zu den anderen Techniken die höchste Rezidivrate“. Persistiert ein offenes Bein trotz fachgerechter Therapie beziehungsweise ist nach drei Monaten nicht abgeheilt, muss ein Spezialist zu Rate gezogen werden. Wichtig ist, dass „venoaktive Arzneimittel zwar nicht zur Rückbildung der Varizen führen, aber die Symptome lindern können“, so Minar abschließend.
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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 /10.04.2023
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