Medizin & Wissenschaft

Kinderwunsch nach Krebs: „Reden wir über Fertilität“

Lesezeit: 3 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Frühestens ein Jahr nach Abschluss der Chemotherapie sollte ein vorhandener Kinderwunsch realisiert werden. Doch schon vor Beginn einer onkologischen Behandlung sollte über fertilitäts-protektive Maßnahmen inklusiver aller möglichen Vor- und Nachteile gesprochen werden.

von Martin Schiller

Nach der Diagnose „Krebs“ stellt die Erhaltung der Fertilität bei einem Kinderwunsch einen wichtigen Teil der ärztlichen Beratung und Aufklärung dar. Das Ausmaß der gonadalen Schädigung hängt von der Art der medikamentösen Therapie/Strahlentherapie, von der Dosis und der Dauer der Behandlung ab. „Es gibt Krebstherapien, die die Eierstöcke und Hoden kaum schädigen und damit auch die Fertilität nicht nachhaltig beeinträchtigen. Manche onkologischen Therapien weisen jedoch eine teilweise oder komplette Gonadotoxizität auf und können zu dauerhafter Infertilität führen“, sagt Priv. Doz. Bettina Böttcher von der Klinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der Medizinischen Universität Innsbruck. Bei Familienwunsch werde daher gemeinsam mit den betreuenden Onkologen überlegt, wie viel Zeit für fertilitätsprotektive Maßnahmen zur Verfügung steht. „Die Kryokonservierung von Spermien bei Männern ist deutlich einfacher und weniger aufwendig als die Fertilitätsprotektion bei der Frau“, sagt Böttcher. Die wichtigsten Fragen, die für Indikationsstellung und Durchführung einer fertilitätsprotektiven Therapie zusammen mit der Frau geklärt werden müssen: „Muss die Chemotherapie sofort beginnen oder gibt es ein gewisses Zeitfenster? Gibt es Gründe, die gegen eine Operation für den Fertilitätserhalt sprechen? Gibt es Kontraindikationen zur Hormongabe? Wie sehen die Lebensumstände der Frau aus: Besteht eine aufrechte Partnerschaft? Welches Alter hat die Patientin? Hat sie bereits Kinder und besteht prinzipiell ein Kinderwunsch?“

Zur Erhaltung der Fruchtbarkeit vor einer Eierstockschädigenden Therapie werden derzeit hauptsächlich drei Maßnahmen eingesetzt:

  • Hormonelle Stimulation der Ovarien mit anschließender Entnahme der Eizellen: „Entweder werden dann nur die Eizellen kryokonserviert oder sie werden befruchtet und die Embryonen werden eingefroren. Auch eine Kombination aus befruchteten und unbefruchteten Eizellen ist bei der Kryokonservierung möglich“, so Böttcher. Es handle sich um eine etablierte Methode, die an vielen Kinderwunschzentren durchgeführt wird. Allerdings unterliegt sie einer Einschränkung: „Für die Stimulation benötigt man zehn bis 14 Tage Zeit und diese haben wir bei manchen Tumorarten nicht.“
  • Das Eierstockgewebe wird mittels Bauchspiegelung entfernt und eingefroren. Besteht nach Abschluss der onkologischen Therapie ein Kinderwunsch, wird das Gewebe rückverpflanzt. „Für diese Methode ist ein wenig Planungsvorlauf notwendig, da sie einen operativen Eingriff in Vollnarkose darstellt. Sie wird aber tagesklinisch durchgeführt und es kann bereits am folgenden Tag mit einer Chemotherapie oder Strahlentherapie begonnen werden“, erklärt Böttcher. Sie nennt einen möglichen Nachteil der Methode: „Das eingelagerte Gewebe ist nicht der Krebstherapie ausgesetzt. Bei manchen Tumorarten besteht somit nach Transplantation des Gewebes das Risiko, dass Mikrometastasen zurückgegeben werden. Ein Beispiel dafür ist Leukämie.“ Ein Vorteil der Methode bestehe jedoch darin, dass die eigene Hormonproduktion wieder einsetzen könne.
  • Ruhigstellung der Ovarien mit einem GnRH-Agonisten während einer Chemotherapie: Mit einer einmal monatlich verabreichten Injektion wird die Frau künstlich in die Wechseljahre versetzt. „Damit sollen die Eierstöcke geschützt werden, sie kommen in eine Art Ruhezustand. Die Methode ist für die Patientin wenig belastend und kann sofort angewendet werden“, beschreibt Böttcher die Vorteile.

Eine vierte Möglichkeit besteht in der operativen Verlagerung der Eierstöcke aus dem Strahlengebiet (Transposition). Böttcher verweist darauf, dass diese Methode nur angewendet wird, wenn eine Bestrahlung im kleinen Becken erfolgt und „auch hier nur dann, wenn die Gebärmutter erhalten bleibt. Das sind jedoch ganz wenige Fälle.“

Für die Patientin stehen auch mehrere Wege der Fertilitätsprotektion offen, wie Böttcher erklärt: „Frauen, die ein hohes Sicherheitsbedürfnis haben oder bei denen eine aggressive Chemotherapie durchgeführt werden muss, können sich auch für alle drei Methoden entscheiden. In diesem Fall würde zuerst das Eierstockgewebe entfernt, dann die Stimulation der Eierstöcke durchgeführt und schließlich die Injektion zur Ruhigstellung der Eierstöcke verabreicht.“

Als wesentlicher Fortschritt kann laut Böttcher die Möglichkeit der kurzfristigen Unterbrechung und Wiederaufnahme der Anti-Hormontherapie beim Mammakarzinom eingestuft werden. „Gerade bei Patientinnen mit einem Mammakarzinom muss häufig eine Anti-Hormon-Therapie für mehrere Jahre durchgeführt werden. Der Zeitraum für das reproduktionsfähige Alter ist dann vielleicht schon überschritten. Es ist daher sehr positiv, dass nach derzeitigem Kenntnisstand die antihormonelle Therapie für zwei Jahre unterbrochen werden kann, um den Kinderwunsch zu verwirklichen.“

Bei männlichen Jugendlichen und Erwachsenen ist die Kryokonservierung von Spermien die einzige derzeit etablierte Methode der Fertilitätsprotektion. „Experimentell hat man eine Hormontherapie mit GnRH-Analoga oder Testosteron untersucht. Sie konnte sich aber nicht etablieren. Gleiches gilt für Xenotransplantation und In-vitro Spermienmaturation“, erklärt Univ. Doz. Eugen Plas von der Abteilung für Urologie am Hanusch-Krankenhaus in Wien. Die Gewinnung des Ejakulats erfolgt durch Masturbation des Patienten, wobei in sehr seltenen Fällen auch Vibrostimulation und Elektro-Ejakulation mittels spezieller Stimulationselektroden eingesetzt werden können. Ist keine Gewinnung von ante- oder retrogradem Ejakulat möglich, können mit der Onko-TESE (testikuläre Spermienextraktion) operativ Samen extrahiert werden.

Die Aufbewahrung des Kryokonservats darf bis zum Lebensende erfolgen“, sagt Plas. Er nennt aber auch einen Nachteil der Methode: „Sie funktioniert nur in Kombination mit einer künstlichen Befruchtung. Damit ergibt sich ein doppelter Kostenfaktor für die Betroffenen.“

Kryokonservierung von Spermien

In Leitlinien wird empfohlen, die Kryokonservierung von Spermien allen Adoleszenten und Erwachsenen vor einer potentiell gonadotoxischen Therapie oder einem chirurgischen Eingriff, der die Fertilität beeinträchtigen kann, anzubieten. „Vor allem Lymphom-Therapien und eine Stammzelltransplantation verursachen häufig eine deutliche Beeinträchtigung der Spermatogenese“, sagt Plas. Für Patienten mit einem Hodentumor bestehe jedoch die hohe Chance, dass die Zeugungsfähgkeit trotz erforderlicher Chemotherapie erhalten bleibt: „Große skandinavische Untersuchungen haben gezeigt, dass Standardtherapien beim Hodentumor nicht dauerhaft zum Verlust der Fertilität führen. Transient kommt es zur Beeinträchtigung, doch die Spermatogenese erholt sich in vielen Fällen wieder. In manchen Fällen ist es aber beruhigend für Patienten, zur Sicherheit eine Kryokonservierung durchführen zu lassen.“ Bei hochaggressiven Zusatztherapien des Hodentumors hingegen könne es nachhaltig zu Infertilität kommen. „Das Ausmaß hängt dabei von der Gesamtdosis der applizierten Chemotherapeutika ab“. Laut internationalen Empfehlungen sollte nach Abschluss einer Chemotherapie stets zumindest ein Jahr mit der Wiederaufnahme des Kinderwunsches gewartet werden. „Diese Zeitspanne ist notwendig, damit der Hoden gewisse Erholungszyklen durchlaufen kann und therapiebedingte DNA-Schäden wieder ausgeglichen sind“, erklärt Plas dazu.

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Samenextraktion bei Prostatakarzinom

Bei der Behandlung des Prostatakarzinoms besteht sowohl nach radikaler Prostektomie als auch nach einer Strahlentherapie grundsätzlich Zeugungsunfähigkeit. „Die Zeit, in der man diesen Patienten sagen musste, dass eine Fortpflanzung nicht mehr möglich ist, ist aber glücklicherweise vorbei“, sagt Eugen Plas. Mit Hilfe der testikulären Samenextraktion (TESE) könnten bei einem operativen Eingriff Samenzellen des Patienten entnommen werden. „Bei der Strahlentherapie muss Streustrahlung dabei zwar als mögliches Problem berücksichtigt werden. Aber prinzipiell können testikuläre Samenzellen für eine spätere künstliche Befruchtung gewonnen werden.“

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Strahlentherapie: Dosis und Bereich entscheiden

Bei einer Strahlentherapie sind Dosis und bestrahlter Bereich entscheidend, ob die Fertilität des Mannes erhalten bleibt. „Wird die Beckenregion bestrahlt, kommt es zu einer stärkeren Belastung des Hodens durch Streustrahlung und hier kann die Spermatogenese beeinträchtigt werden. Wird der Thorax bestrahlt, ist das Risiko deutlich geringer“, so Plas. Eine Strahlendosis von über 16 Gray beeinträchtige die Spermiogenese langfristig.

Im Falle einer Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter appelliert Plas, die Patientenbriefe aufzubewahren. „Es ist wichtig, dass junge Männer wissen, welche onkologischen Therapien mit welchen Schemata in frühen Jahren durchgeführt worden sind. Eine Therapie, die nach der Pubertät durchgeführt wird, kann erhebliche Auswirkungen auf die Samenzellbildung haben.“ Vor der Pubertät sei der Einfluss auf die spätere Spermatogenese meist gering, da sich die Hodenfunktion erst später entwickelt. Eine Ausnahme stelle aber eine Strahlenbehandlung eines Sarkoms im Kindesalter dar: „Sie führt zu einer deutlichen Schädigung der Hoden.“

Böttcher unterstreicht die Bedeutung der Aufklärung von Frauen und Männern. „Die Besprechung der Fertilitätsprotektion inklusive Vor- und Nachteile der einzelnen Methoden sollte Standard sein. Aber nicht mit der Konsequenz, dass eine Protektion durchgeführt werden muss. Wichtig ist, dass eine informierte authentische Entscheidung getroffen werden kann, die zum Lebenskonzept passt.“ Das Wissen darum, dass man vorgesorgt hat, sei außerdem vor allem im Hinblick auf die Psyche nicht zu vernachlässigen. „Dem Prinzip Hoffnung kommt hier eine große Bedeutung zu.“ Bei der Beratung sei auch darauf zu achten, dass das Thema Fertilität eine Herausforderung und manchmal auch eine Überforderung für Betroffene sein kann: „Der Fokus muss daher insgesamt auf dem Therapiekonzept für die Tumorerkrankung liegen.“

Beide Experten betonen abschließend, dass neuere Therapieansätze und Immuntherapien hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Fertilität nicht ausreichend beurteilt werden können und Einschätzungen zu Langzeiteffekten aufgrund von mangelnden Daten noch nicht möglich sind.


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24_2023
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