Medizin & Wissenschaft
Obstruktive Schlafapnoe: Unterschiedliche Manifestation
Lesezeit: 3 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung
Nicht bei jedem Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe ist die Tagesschläfrigkeit das dominierende Symptom: Oft sind es auch nächtlicher Harndrang oder Kopfschmerzen. Während bei Männern Aufplatzschnarchen das Kennzeichen ist, sind es bei Frauen häufig Konzentrationsschwierigkeiten, Reflux und lange nächtliche Wachzeiten.
von Martin Schiller
Die Prävalenz der obstruktiven Schlafapnoe (OSA) hat in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zugenommen. Risikofaktoren sind männliches Geschlecht, Übergewicht und Adipositas, abendlicher Alkoholkonsum und kardiovaskuläre Erkrankungen. Wenngleich Tagesschläfrigkeit oft als führendes Symptom der obstruktiven Schlafapnoe eingestuft ist, tritt sie bei einem beträchtlichen Teil der Patienten nicht auf. „Nur rund ein Drittel ist davon betroffen und auch das Gefühl eines nicht erholsamen Schlafs hat nicht jeder Patient“, sagt Priv. Doz. Michael Saletu von der Abteilung für Neurologie am LKH Graz II. Er nennt morgendliche Kopfschmerzen und häufigen nächtlichen Harndrang aufgrund einer verminderten Ausschüttung des antidiuretischen Hormons als häufige Symptome. Auf Atemaussetzer sei besonders durch Angehörige zu achten. „Eine wichtige Frage an den Patienten lautet: ‚Sind Ihren Haushaltsmitgliedern in der Nacht Atempausen und Aufplatzschnarchen aufgefallen?‘ Diese Angaben kann der Betroffene selbst in der Regel nicht machen.“
Priv. Doz. Stefan Seidel, Neurologe an der Klinik Pirawarth, hebt die unterschiedliche Manifestation der obstruktiven Schlafapnoe bei Frauen und Männern hervor: „Bei Männern sind es oft Stereotype wie lautes, heftiges Schnarchen unterbrochen von Atempausen sowie Tagesmüdigkeit mit dem Risiko für Sekundenschlaf.“ Dabei handle es sich oft um den klassischen Phänotyp mit Übergewicht oder Adipositas, arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus und Hyperlipidämie. Der Nachtschlaf werde vom Mann seltener als beeinträchtigt wahrgenommen. Das Symptombild bei Frauen weicht davon sehr häufig ab, wie Seidel erklärt: „Die Frequenz der Apnoen ist tendentiell geringer und das Schnarchen ist weniger im Vordergrund. Die Unterbrechungen des Schlafs sorgen aber meist für längere Wachzeiten beziehungsweise ausgeprägte Durchschlafstörungen. Außerdem sind Kopfschmerzen vor allem morgens stärker als bei Männern.“ Weitere typische Symptome der Frau seien Konzentrations- und Aufmerksamkeitsprobleme sowie Refluxbeschwerden. In der klinischen Praxis sei eine eindeutige Abgrenzung der Symptome von Frauen und Männern nicht möglich; endgültigen Aufschluss könnten nur das Anamnesegespräch und die körperliche Untersuchung geben. Goldstandard bei der kontinuierlichen Messung von körperlichen Funktionen während des Schlafes ist die stationär überwachte Polysomnographie. Saletu weist darauf hin, dass mobile Aufzeichnungsgeräte dem Patienten heute bereits stationäre Aufenthalte ersparen können.
Laut der International Classification of Sleep Disorders, dritte Auflage (ICSD-3), ist – nach dem Ausschluss von anderen Erkrankungen – die obstruktive Schlafapnoe definiert durch:
- Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI-Index) von mehr als 15 pro Stunde Schlafzeit (jeweils mindestens zehn Sekunden);
- AHI-Index von mindestens fünf pro Stunde in Kombination mit typischer klinischer Symptomatik oder relevanter Komorbidität.
„Ein AHI über 15 pro Stunde ist behandlungswürdig, ein AHI über 30 pro Stunde wird als schwere Apnoe und damit behandlungspflichtig eingestuft. Bei einer leichten obstruktiven Schlafapnoe zwischen fünf und 15 muss abgewogen werden“, sagt Saletu. Für die Entscheidung zur Therapie sei neben dem Leidensdruck nicht nur der Apnoe-Hypopnoe-Index maßgeblich, sondern auch die Zeitdauer, in der die Patienten eine Sauerstoffsättigung unter 90 Prozent haben (Sauerstoffmangelzeit) und der Grad der Schlaffragmentierung.
Differentialdiagnose: zentrale Apnoe
Eine Differentialdiagnose zur obstruktiven Schlafapnoe ist die zentrale Apnoe, die durch eine Störung des Atemantriebs im Gehirn ausgelöst wird. „Ursache kann eine neurologische Erkrankung wie Multiple Sklerose oder ein Schlaganfall sein“, sagt Seidel. Als Auslöser für die zentrale Apnoe kommen auch nächtliche Atemprobleme in Frage, die mit Hypoventilation in Zusammenhang stehen wie etwa das Adipositas-Hypoventilationssyndrom.
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Gehirn altert vorzeitig
Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen einer langjährigen obstruktiven Schlafapnoe und kardiovaskulären Erkrankungen. „Langfristig kommt es unbehandelt zu einer leichten, im Hintergrund schwelenden Entzündung, die sich auch an den Gefäßen manifestiert. Dies kann zu Ablagerungen und Verletzungen an den Gefäßwänden führen. Das Risiko für Atherosklerose, Schlaganfall und Nierenversagen erhöht sich“, erklärt Seidel. Schwere Apnoe könne außerdem zu Herzrhythmusstörungen – vor allem zu Vorhofflimmern – führen. Jedoch sind auch Auswirkungen auf die Kognition dokumentiert. „Bildgebende Daten zeigen, dass durch langjährige häufige Atemaussetzer das Gehirn vorzeitig altert, da es zu einer Atrophie des präfrontalen Cortex kommt. Diese Hirnregion ist für die Steuerung von Handlungen und Entscheidungen verantwortlich.“ Unbehandelt könne die Schlafapnoe im schlechtesten Fall auch eine dementielle Entwicklung fördern. „Wenn man sich vor Augen hält, dass 20 Prozent der Frauen und 40 Prozent der Männer im höheren Alter unter einer obstruktiven Schlafapnoe leiden, dann verdeutlicht das die Relevanz der Thematik“, sagt Seidel.
Die obstruktive Schlafapnoe tritt vor allem in REM-Schlaf-Phasen auf, die eine hohe Bedeutung für die emotionale Erholung hat. „Wenn dieses Schlafstadium durch Atemaussetzer gestört wird, kommt es zu Problemen mit der emotionalen Verarbeitung und Konsolidierung“, warnt Seidel. Eine wichtige Frage an den Patienten laute daher: „Haben Sie sich in der letzten Zeit verändert oder hat Ihr Umfeld Veränderungen registriert?“
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Goldstandard bei der Therapie der obstruktiven Schlafapnoe ist die nächtliche Überdruckatmung („positive airway pressure“, PAP) in Form eines kontinuierlichen Modus (CPAP). Dabei können automatische Verfahren (APAP) zum Einsatz kommen. „Die Überdruckbeatmungstherapie wird typischerweise bei einem AHI über 30 eingesetzt“, sagt Saletu. Seidel empfiehlt eine Mindesttragezeit der Maske von vier Stunden. Rund 30 Prozent der Patienten zeigen diesbezüglich eine sehr gute Adhärenz.
Bei einem AHI unter 30 kann laut Saletu eine Unterkiefer-Vorverlagerungsschiene zur Erweiterung der Atemwege angewendet werden. Auch der Einsatz von Uvulopalatopharyngoplastik (UPPP) ist eine Option. International sei jedoch mit HNO-Ärzten akkordiert, bei Patienten mit einem AHI über 30 und einem BMI über 30 keine Eingriffe durchzuführen, so Saletu.
Als Alternative steht Neurostimulation in Form eines Zungenschrittmachers zur Verfügung: „Der Nervus hypoglossus wird dabei in der Nacht atemsynchron stimuliert, um die Atemwege freizuhalten. Damit können Patienten behandelt werden, die die Überdrucktherapie oder die Schiene nicht vertragen“, erklärt Saletu. Kriterien für den Einsatz des Zungenschrittmachers sind ein AHI über 15 bis maximal 65. Der Body-Mass-Index darf außerdem nicht über 35 liegen. Seidel sieht in der Nervus-hypoglossus-Stimulation ebenfalls eine gute Option, schränkt aber ein: „Das Verfahren ist nicht so effektiv wie CPAP. Außerdem muss der Patient erst tolerieren, dass der Zungenmuskel stimuliert wird. Manche Patienten möchten den Schrittmacher nach einiger Zeit nicht mehr.“
Beide Experten sprechen sich für eine konservative Therapie aus. Sie besteht aus der Reduktion des Körpergewichts, Alkohol- und Nikotinkarenz sowie dem Vermeiden von Rückenlage beim Schlafen. „Es ist in einigen Fällen möglich, die Schlafapnoe durch eine Umstellung des Lebensstils zu beseitigen, sofern keine Komorbiditäten bestehen“, sagt Seidel. Und Saletu ergänzt: „Die obstruktive Schlafapnoe ist vielschichtig. Daher müssen für jeden Patienten individuelle Therapiekonzepte entwickelt werden.“
Auch medikamentöse Therapien können bei obstruktiver Schlafapnoe Anwendung finden. Zum Einsatz kommen Anti-Arousal-Drugs wie Trazodon, Mirtazapin und Eszopiclon. „Patienten mit einem Low-Arousal-Threshold haben Apnoen eher am Schlaf-/Wach-Übergang im Leichtschlaf. Dabei handelt es sich oftmals um eher schlanke Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe, bei denen es bereits bei einer niedrigen Weckschwelle zu einer Atemwegskollabilität kommt. In diesen Fällen können Anti-Arousal-Drugs eine positive Wirkung erzielen und die Atemwege stabilisieren“, erklärt Saletu. Auch Seidel sieht den Einsatz der genannten Wirkstoffe beim Patienten mit leichter Apnoe, der „nur wenige gravierende Entsättigungen hat“, als gerechtfertigt an. Seiner Erfahrung nach zeige sich auch eine gute überbrückende Wirkung von Anti-Arousal-Drugs, bis sich die Apnoen nachhaltig durch geeignete Lebensstilmaßnahmen reduzieren.
Ein Ansatz für künftige Therapien könnte nach Einschätzung von Seidel Oxytocin sein. „Die Aktivität der Zungenmuskulatur wurde in Tierexperimenten im Schlaf erhöht. Damit erschlafft die Zunge nicht.“ Die Zukunft werde zeigen, ob sich diese Ergebnisse in ein klinisches Setting übertragen lassen.
Schlaf-Apps können laut Seidel nur Surrogatparameter wie Bewegungen, Geräusche und Aktivitäten am Handgelenk erfassen. „Ein Abschätzen der Schlafdauer und von Unterbrechungen des Schlafs ist damit durchaus möglich“, so der Experte. Er rät dazu, dass Anwender fortlaufend Aufzeichnungen führen und diese zum ärztlichen Gespräch mitnehmen, um dann eine genauere Analyse durchzuführen. „Ein Schlaflabor kann aber keinesfalls damit ersetzt werden.“
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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24_2023
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