Medizin & Wissenschaft

Gräserpollenallergie: Compliance oft ungenügend

Lesezeit: 5 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

75 Prozent der Patienten mit Gräserpollenallergie erfahren durch die spezifische Immuntherapie eine deutliche Linderung der Symptome. Die Mehrzahl der Betroffenen schließt die Therapie wegen der von der Applikationsroute unabhängigen langen Dauer von drei bis fünf Jahren nicht ab.

von Martin Schiller

Die spezifische Immuntherapie ist die einzige kausale Therapie für Patienten mit Gräserpollenallergie. Daten zur Wirksamkeit sind sehr gut, wie Univ. Prof. Erika Jensen-Jarolim von Institut für Pathophysiologie und Allergieforschung an der Medizinischen Universität Wien betont: „Etwa 75 Prozent der Patienten profitieren deutlich, es kommt zu einer Verringerung der Symptome und des Arzneimittelverbrauchs. Die Therapie kann nachweislich eine Ausweitung des Allergenspektrums und einen Etagenwechsel verhindern.“ Aus diesem Grund sei eine frühe Diagnose wichtig; aber auch nach Fortschreiten der Krankheit bei allergischem Asthma könnten Linderungserfolge erzielt werden. Die sublinguale Immuntherapie (SLIT) hat laut Jensen-Jarolim mittlerweile einen hohen Stellenwert und weise eine ähnliche Effektivität auf wie die subkutane Immuntherapie (SIT). Die Auswahl der Therapie erfolgt auf individueller Basis, wie die Expertin erläutert: „Es handelt sich um personalisierte Medizin. Bei Kindern, die Angst vor Injektionen haben, tendiert man zur sublingualen Therapie. Andere, Erwachsene wie auch Kinder, wiederum möchten nicht jeden Tag eine sublinguale Tablette oder Tropfen nehmen und ak-zeptieren Injektionen.“ Manchmal sind auch Sorgen zu Aluminiumhydroxid als Adjuvans in der subkutanen Immuntherapie in der Entscheidungsfindung beteiligt. Diesen Patienten kann man SIT-Präparate, die alternative biokompatible Adjuvantien beinhalten, anbieten. „Nach derzeitigem Wissensstand ist die Sorge jedoch unbegründet“, ergänzt Univ. Prof. Norbert Reider von der Universitätsklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Medizinischen Universität Innsbruck. Die tägliche Aufnahme von Aluminium über Nahrungsmittel sei ungleich höher.

Compliance sinkt nach einem Jahr

Studiendaten zeigen eine niedrige Therapietreue bei der spezifischen Immuntherapie. „Drei von vier Patienten beenden die drei- bis fünfjährige Therapie nicht“, sagt Jensen-Jarolim. Die meisten Patienten wür den ohne gute Beratung eine symptomorientierte Therapie mit Antihistaminika bevorzugen, dabei jedoch außer Acht lassen, dass sich die Erkrankung über einen Etagenwechsel verschlechtern könne. Die Hoffnung, dass sich die Complianceraten durch die Einführung der sublingualen Immuntherapie verbessern, hat sich nicht bewahrheitet, wie Reider ausführt: „Vor allem im zweiten und dritten Jahr sinken die Complianceraten stark.“ Um die Compliance zu verbessern, schlägt Reider vor, Patienten unter sublingualer Therapie zu im Vorhinein fixierten Kontrollterminen zu bestellen. Dies solle anfangs engmaschiger erfolgen, um etwaige Nebenwirkungen rascher besprechen zu können. Danach seien regelmäßige Arztkontakte in halbjährlichen Abständen sinnvoll. Auch bei der subkutanen Therapie werde versucht, die Patienten zum Fortführen oder zur Wiederaufnahme zu motivieren: „Patienten, die längere Zeit ihre Termine nicht wahrgenommen haben, werden systematisch erfasst und dann mit der Bitte um Meldung kontaktiert“, berichtet Reider aus der Praxis. Abhängig von der Länge der Unterbrechung müsse jedoch in einigen Fällen die Therapie neu begonnen werden.

Ein wesentlicher Faktor für den Verlauf von Atemwegsallergien sind Umweltbelastungen. Ozon, Stickoxide oder Rußpartikel aus Dieselmotoremissionen führen zu einer erhöhten Durchlässigkeit der Schleimhaut für Allergene. Reider weist noch auf einen weiteren Aspekt hin: „Umweltbelastungen bedeuten für Pflanzen Stress, worauf sie mit einer Veränderung der Pollen reagieren. Diese Form der pflanzlichen Abwehrreaktion führt dazu, dass Pollen insgesamt mehr Stressproteine enthalten.“

Klimatisch bedingte verlängerte Blühzeiten verschärfen die Problematik für Allergiepatienten. Reider betont aber, dass vor allem Personen mit Baumpollenallergien betroffen sind: „Bei einer Temperatur von unter fünfzehn Grad Celsius ist der Pollenflug stark eingeschränkt. Ein milder Winter oder ein warmer Frühjahrsbeginn können die Belastung daher verstärken.“ In der Blühzeit der Gräser sei dieser Aspekt nicht mehr so ausgeprägt, weil Temperaturschwankungen in dieser Jahreszeit auf höherem Niveau stattfinden und den Pollenflug nicht mehr so maßgeblich beeinflussen. Jensen-Jarolim macht allerdings darauf aufmerksam, dass Gräserpollen dieses Jahr früher in der Luft nachgewiesen wurden und sich die üblicherweise im Mai beginnende Hauptblütezeit durch klimatische Veränderungen etwas nach vorne verlagert habe. Als zusätzliche (irritative) Belastung für die Atemwege habe sich heuer außerdem die wiederholte Zirkulation von Saharastaub in der Luft erwiesen.

Einer hohen Gefährdung sind Personen mit allergischem Asthma bei Gewittern ausgesetzt. Dies spielt vor allem bei Gräserpollenallergie eine große Rolle, wie Jensen-Jarolim erklärt: „Starke Gewitter führen zu einer Absaugung von Pollen in die Wolken. Dort kommt es zu einer osmotisch bedingten Fragmentierung. Mit kalten Abwinden gelangen die dadurch erzeugten Nano- und Mikropartikel in Bodennähe und werden bis in die Bronchiolen und teilweise sogar in die Alveolen eingeatmet.“ Die Problematik betreffe nicht nur Patienten mit bestehendem allergischem Asthma. Auch Personen mit saisonaler allergischer Rhinitis könnten auf diese Weise eine erstmalige Asthma-Attacke erleiden. „Daher arbeitet der Österreichische Polleninformationsdienst daran, neben der Information zu Pollen-Counts und Umweltschadstoffen auch meteorologische Vorhersagen bereit zu stellen“, so Jensen-Jarolim abschließend.

Schema für Wirkungsnachweise „lange ungenügend“

Univ. Prof. Norbert Reider spricht im Interview mit der ÖÄZ von einer „Marktbereinigung im Bereich der Präparate zur spezifischen Immuntherapie von Pollenallergien“ in den vergangenen Jahren. „Lange Zeit waren die meisten Präparate keine Arzneimittelspezialitäten im gesetzlichen Sinne. Daher gab es für diese Immuntherapiepräparate keinen amtlich attestierten Zulassungsablauf mit Phase I- bis III-Studien. Das führte in der Vergangenheit dazu, dass manche Präparate gut dokumentiert und durch Studien gestützt waren, andere aber hingegen kaum.“ Deutschland zog aus dieser Situation mit der Therapieallergene-Verordnung (TAV) 2008 Konsequenzen. Die Verordnung hat zum Ziel, allergenspezifische Immuntherapeutika, die als Individualrezepturen in Vertrieb waren, in geprüfte Produkte überzuführen. „Insgesamt gibt es dadurch heute einen wesentlich höheren Qualitäts- und Wirkungsnachweis, wenngleich die Verordnung immer noch nicht vollständig umgesetzt ist“, betont Reider. Der Schluss, wonach ein Präparat, dass keine Arzneimittelspezialität ist, per se qualitativ ungenügend ist, sei nicht zulässig; aber Präparate, die das Verfahren laut Therapieallergene-Verordnung durchlaufen haben, seien jedenfalls verlässlicher. Reider verweist diesbezüglich auf die Website der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), auf der die Liste mit TAV-konformen Präparaten halbjährlich aktualisiert zur Verfügung steht. „Es werden die aufgrund der TAV in Deutschland bereits vom Markt genommenen Präparate teilweise in Österreich aber weiter – und ganz legal – vertrieben“, betont Reider.


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10_2024
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