Medizin & Wissenschaft

Karpaltunnel-
syndrom Engpass mit Folgen

Lesezeit: 3 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Risikofaktoren für ein Karpaltunnelsyndrom sind Diabetes mellitus, Übergewicht, exzessiver Alkoholkonsum, Schwangerschaft und Dialysepflicht.  Die abnehmende Geschicklichkeit der Hände kann früh ein Hinweis sein. Auch wenn in 80 Prozent der Fälle beide Hände betroffen sind, besteht nicht für beide Seiten Behandlungsbedürftigkeit.

von Martin Schiller

„Eingeschlafene“ Hände in der Nacht und ein Kribbeln in der Hand, das mit Schmerzen verbunden sein kann: Das sind typische Symptome des Karpaltunnelsyndroms. „Es handelt sich um ein Engpass-Syndrom des Nervus medianus. Die Engstelle wird in der Nacht weniger bewegt, weshalb das Gewebe im Karpaltunnel anschwillt. Durch Bewegung und Ausschütteln der Hand werden die Beschwerden dann meist besser“, erklärt Univ. Prof. Thomas Kretschmer, Vorstand der Abteilung Neurochirurgie und Neurorestauration am Klinikum Klagenfurt. Menschen mit einer handwerklichen Tätigkeit – die sogenannten Blue Collar Workers – sind Studien zufolge drei- bis siebenmal häufiger als White Collar Workers betroffen. Die überwiegende Zahl der Patienten ist weiblich. „Handwerklich tätige Menschen bemerken die Beschwerden tendentiell früher. Aber Personen, die Büroarbeit verrichten, können genauso betroffen sein“, betont Kretschmer. Meta-Analysen hätten gezeigt, dass in 80 Prozent der Fälle beide Hände betroffen sind; nicht immer bestehe jedoch beidseitige Behandlungsbedürftigkeit. Univ. Prof. Christine Radtke von der Universitätsklinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie an der Medizinischen Universität Wien verweist auf Geschehnisse im Alltag, die frühe Hinweise auf ein Karpaltunnelsyndrom geben können: „Die Geschicklichkeit kann beispielsweise etwas abnehmen, es fallen öfter Dinge aus der Hand oder das Zumachen von Knöpfen fällt schwerer als früher.“

Aufschluss durch Provokationstests

Provokationstests kommen bei der Diagnosestellung zum Einsatz. So wird beim Phalen-Test Druck auf den Karpalkanal ausgeübt durch maximale Flexion des Handgelenks. „Beginnt nach einigen Sekunden ein Kribbeln in der Hand, ist das ein typisches Zeichen für das Vorliegen eines Karpaltunnelsyndroms“, sagt Radtke. Beim Hoffmann-Tinel-Zeichen werde „mit dem Finger auf den Kanal beziehungsweise auf die vermutete Engstelle geklopft. Verspürt der Patient ein elektrisierendes Gefühl, ist das ein wichtiger Hinweis auf eine Schädigung des Nervus medianus“, führt die Expertin weiter aus. In Leitlinien wird auch empfohlen, eine elektrophysiologische Diagnostik durchzuführen, indem die Nervenleitgeschwindigkeit motorisch oder sensibel getestet wird. Zugenommen hat in den vergangenen Jahren die Bedeutung der hochauflösenden Ultraschallsonografie. „Sie ermöglicht eine gute Darstellung des Nervs im Verhältnis zu anderen Strukturen im Karpalkanal und eine Betrachtung, wie sich der Nerv unter Bewegung verhält“, so Radtke zur Aussagekraft. Kretschmer ergänzt: „Die Ultraschall-Bildgebung ist laut aktuellen Leitlinien noch eine Kann-, aber keine Soll-Empfehlung. Man kann damit jedoch sehr genaue Diagnosen stellen und eine Schwellung oder Einengung des Nervus medianus sehr gut erkennen.“

Beim Oppositionstest wird die Funktion der kleinen Handmuskulatur überprüft, indem Daumen und kleiner Finger derselben Hand aneinandergepresst werden. Der Nervus medianus ist geschädigt, wenn sich die beiden Finger dabei nicht berühren. „Dieser Nerv ist der einzige Versorger des Musculus abductor pollicis brevis. Ist er geschädigt, baut der kleine Muskel isoliert ab, was sich gut an einer Delle erkennen lässt“, erklärt Kretschmer.

Die Prävalenz des Karpaltunnelsyndroms ist bei Arthrose und Rheumatoider Arthritis erhöht. Risikofaktoren ganz generell sind aber Diabetes mellitus, Übergewicht, exzessiver Alkoholkonsum, Schwangerschaft (Druck auf die Nerven durch vermehrte Wassereinlagerungen) und Dialyse. „Fast ein Drittel der Dialysepatienten hat ein Karpaltunnelsyndrom. Meistens ist der Shunt-Arm betroffen“, sagt Kretschmer.

Beim Vorliegen von Kribbelparästhesien und Taubheitsgefühlen in der Hand müssen laut Radtke Polyneuropathie und von der Wirbelsäule stammende Auslöser als mögliche Differentialdiagnosen in Betracht gezogen werden. Gleichzeitig schränkt die Expertin aber ein: „Eine Schädigung des Nervus medianus zeigt ein sehr charakteristisches Bild. Das Kribbeln betrifft die ersten drei Finger und die radiale Seite des Ringfingers. In diesem Fall liegt die Diagnose Karpaltunnelsyndrom nahe.“

Im frühen Stadium der Krankheit – wenn Reizsymptome wie nächtliche Parästhesien vorliegen – wird zunächst eine konservative Therapie in Form einer Nachtschiene empfohlen. Damit wird ein Abknicken der Hand verhindert und vermieden, dass auf die Engstelle Druck ausgeübt wird. Auch Infiltrationen können in Kombination mit einer Schiene zum Einsatz kommen, wie Kretschmer ausführt: „Studien deuten darauf hin, dass die anfängliche Symptomatik und auch Schmerzen mit einer kristalloiden Kortison-Injektion in den Karpaltunnel in den Griff zu bekommen sind. Dauerhaft sollte jedoch nicht infiltriert werden, da sonst das Risiko für Nervenverletzung und Infektion steigt. Zu Beginn sollte man die Therapie nur mit einer Schienung durchführen.“ Radtke weist auf die kontroversiellen Diskussionen im Hinblick auf den Einsatz von Kortison-Injektionen hin: „Sie können erfolgreich sein. Aber es gibt keine Garantie und auch die Ursache wird nicht behoben. Gleichzeitig kann es zu Spontanrupturen kommen.“

Zuwarten verschlechtert Prognose

Kommt es trotz kontinuierlichen Tragens der Schiene nicht zur Besserung der Beschwerden oder treten diese nach dem Abnehmen der Schiene schnell wieder auf, sollte laut Radtke und Kretschmer eine operative Sanierung erfolgen; ebenso auch dann, wenn eine Funktionsminderung der Fingermuskulatur festgestellt wird. Ziel des Eingriffs ist die Dekompression des Nervus medianus durch vollständige Spaltung des Karpaltunneldachs (Retinaculum flexorum). Radtke empfiehlt, mit einer Operation nicht zu lange zuzuwarten: „Bestand bereits eine längere Komprimierung, ist eine Regenerierung mit konservativen Maßnahmen oft schwierig. Ein rechtzeitiger Eingriff verhindert langfristigen Schaden des Nervs und kompletten Funktionsverlust.“ Aus Sicht von Kretschmer können Sorgen des Patienten hinsichtlich der Operation genommen werden: „Relativ gesehen ist es ein einfacher Eingriff mit einer Erfolgsrate von 95 Prozent. Die Eingriffsdauer ist unabhängig von der Methode sehr kurz.“

Für die Zeit nach der Operation ist es laut Kretschmer wichtig, die Finger sofort wieder zu mobilisieren: „Es besteht keine Notwendigkeit für eine völlige Ruhigstellung – etwa in Form einer Schienung. Die Sehnen müssen bewegt werden. 14 Tage lang sollte aber extremes Beugen vermieden werden. Handwerklich tätige Menschen legen idealerweise eine drei- bis sechswöchige Arbeitspause ein, Sport-treibende Personen sollten greifende Tätigkeiten definitiv meiden, können aber zum Beispiel Joggen gehen.“ Radtke nennt für die Zeit nach der Wundheilung auch Physiotherapie zur Mobilisierung der Hand als Option. Unterstützend könne auch eine physikalische Therapie zum Einsatz kommen, um die Bildung von Narben zu verhindern, „die dann eventuell wieder zu Adhäsion führen können“, so die Expertin abschließend.


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 /10.10.2023
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