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Postoperative Schmerztherapie: Schmerztherapie optimal steuern

Lesezeit: 3 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Nur wenn die Basis- und Bedarfsanalgesie nach einer numerisch bezifferten Schmerzstärke genau festgelegt wird, ist ein adäquates Schmerzmanagement gewährleistet. Eine Chronifizierung kann nur so verhindert werden. Voraussetzung für eine erfolgversprechende Schmerztherapie ist die optimale Information und Instruktion des Patienten. 


Die postoperative Schmerzmedizin basiert seit 40 Jahren auf einem sehr effektiven Konzept“, versichert Univ. Prof. Burkhard Gustorff von der Abteilung für Anästhesie, Intensiv- und Schmerzmedizin an der Klinik Ottakring in Wien. Und weiter: „Der Schlüssel zur optimalen Schmerztherapie liegt nicht in der Entwicklung neuer OP-Techniken oder neuer Präparate, sondern es ist die Organisation.“ Dazu gehört seiner Ansicht nach die präoperative Verschreibung von Analgetika, um Zeitverzögerungen vorzubeugen sowie die optimale Information und Instruktion der Patienten. „Sie sollen genau darüber informiert werden, welche Bedarfsmedikation sie ab einem bestimmten Schmerzwert einnehmen dürfen“, erläutert Gustorff. Mehr als eine Million Operationen – exakt 1.162.787 – wurden laut Statistik Austria im Jahr 2021 in Österreich durchgeführt.

Das Schmerzempfinden selbst ist einerseits sehr individuell; andererseits lässt die Art des Eingriffs auf die Stärke des postoperativen Schmerzes schließen. „Obwohl das Hüftgelenk vergleichsweise groß ist, sind Eingriffe hier weniger schmerzhaft als etwa am Schultergelenk. Noch schmerzhafter sind in der orthopädischen Chirurgie Eingriffe am Kniegelenk“, beschreibt Univ. Prof. Andreas Schlager von der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin der Medizinischen Universität Innsbruck. Weiter sagt er: „Weichteil-Operationen dauern in der Regel kürzer und sind weniger schmerzhaft.“ Darüber hinaus gebe es besondere Risikofaktoren für die Entwicklung von postoperativem Schmerz: Dazu zählen präoperativ bestehende chronische Schmerzen, jüngeres Alter, weibliches Geschlecht und psychische Komorbiditäten. Postoperativ begünstigen Wundinfektionen und starker Akutschmerz die Entwicklung von Schmerzen.

Die Intensität des Schmerzes kann mit Hilfe von verschiedenen Methoden ermittelt werden: Verbale Rating Skala, visuelle Analogskala oder Faces Pain Scale stehen ebenso zur Verfügung wie die numerische Rating-Skala von 0 – kein Schmerz – bis 10 – stärkster Schmerz.

Basis- und Bedarfsanalgesie festlegen

Eine konsequente Basis-Analgesie hängt ab von der erwarteten Schmerzstärke und bildet die Grundlage im perioperativen Setting. Schlager dazu: „Denn es besteht immer die Gefahr der Chronifizierung, wenn das postoperative Schmerzmanagement unzureichend ist“. Der akute postoperative Schmerz wirkt sich außerdem negativ auf Blutdruck und Schlaf der Patienten aus und kann mit der Entstehung von deliranten Zustandsbildern einhergehen. Darüber hinaus kann sich die postoperative Mobilisierung verzögern und somit die Rehabilitationsdauer verlängern.

Als Prinzip bei der postoperativen Schmerztherapie nennt Gustorff: „Akutschmerz wird immer nach Bedarf behandelt.“ Eine suffiziente Bedarfsanalgesie („rescue medication“) muss jedem Patienten zur Verfügung gestellt werden. Noch immer beobachtet der Experte, dass die Betroffenen Analgetika zurückhaltend einnehmen. „Man sollte den Patienten jedoch dringend raten, Schmerzen rasch zu bekämpfen und nicht zu warten, bis sie auf einer Schmerzskala bei sechs oder sieben liegen.“ Je nach Eingriff kommen Nicht-Opioide in Mono- oder Kombinationstherapie zum Einsatz: NSAR und Coxibe. Schlager dazu: „NSAR sind besonders bei knochenchirurgischen Eingriffen die erste Wahl für eine optimale Entzündungshemmung“. Bei Personen, die an Einschränkung der Nierenfunktion, gastrointestinalen Entzündungen, Hypertonie oder einer manifesten Herz-/Kreislauf-Erkrankung leiden, dürfen diese Präparate laut dem Experten „nicht eingesetzt werden.“ Alternativen sind Paracetamol und Metamizol. Auch hier bestehen große Wirkungsunterschiede, wie Gustorff betont: „Aufgrund des über 50-prozentigen First-Pass-Effekts von Paracetamol gelangen von einem Gramm oral eingenommenem Paracetamol nur 500 Milligramm tatsächlich ins Nervensystem.“ Im Gegensatz dazu ist der First-Pass-Effekt von Paracetamol bei iv-Gabe null. Ganz generell sollte eine Dosis von vier Gramm Paracetamol täglich nicht überschritten werden.

Opioide verlangen kontrollierte Bedingungen

Reichen Nicht-Opioide für die Analgesie nicht aus, kommen zunächst schwache Opioide wie Tramadol zum Einsatz; in der Folge dann stark wirksame Opioide wie zum Beispiel Hydromorphon. Alternativen sind Morphintabletten oder Morphintropfen. Was Schlager im Zusammenhang mit der Verordnung von Opioiden besonders betont: „Opioide verlangen immer kontrollierte Bedingungen. Nach Möglichkeit sollten sie in fallender Dosierung unter regelmäßiger Anpassung nach spätestens 14 Tagen wieder abgesetzt werden.“

Im Unterschied zu Opioiden müssen bei der Gabe von NSAR regelmäßig die Nieren-Parameter kontrolliert werden. Schlager empfiehlt außerdem bei der Verordnung von Metamizol eine regelmäßige Blutbildkontrolle inklusive Differentialblutbild. „Sehr selten kann Metamizol zur Agranulozytose führen“. Gustorff dazu: „Alle Analgetika dieser Gruppen können das auslösen, nicht spezifisch Metamizol.“ Während Schlager dafür plädiert, dass beim Auftreten einer Agranulozytose die sofortige Absetzung des Medikaments und eine hämatologische Behandlung erforderlich sind, meint Gustorff, dass eine Blutbild-Kontrolle bei der Verwendung von NSAR wegen des Nachweises von Blutungen und dem Hb-Abfall viel „vernünftiger“ sei als zum Ausschluss der extrem seltenen Agranulozytose.

Im Zuge der Verlaufskontrollen muss auch beobachtet werden, ob „die Schmerzen und der Bedarf an Schmerzmitteln in typischer Weise abklingen“, betont Gustorff. Demnach können nach großen chirurgischen Eingriffen zwischen sieben und zehn Tage lang Schmerzen auftreten, jedoch sollte „die Hauptsymptomatik innerhalb von drei Tage zurückgehen“, berichtet Gustorff aus der Praxis. Auch gehe es darum, abzuwägen, ob der Patient eventuell plötzlich massive Schmerzen hat, weil er mehr Bewegung macht oder ob es zu einer Wundinfektion gekommen ist. Schlager dazu: „Im Zweifel ist immer eine Überweisung in die Schmerzambulanz angeraten.“

Bei der Schmerztherapie von Tumoren werde nicht nach Bedarf gehandelt – das sei der große Unterschied zur Therapie von akuten Schmerzen, konstatiert Gustorff. Bei chronischen Tumor-Schmerzen kommt das Stufen-Schema der WHO zum Tragen. „Für Tumorschmerzen gibt es ein fixes Zeitschema und eine fixe Dosierung. Davon erwartet man sich, dass die Intensität des Schmerzes nicht zunimmt.“ Gustorff begründet dies mit der aktuell gültigen Empfehlung der WHO, schon bei mittleren bis starken Tumorschmerzen Nicht-Opioide oder falls notwendig Opioide einzusetzen. (JF)

Stufen-Schema der WHO bei Tumorschmerzen:

Schwacher Schmerz/Stufe I: Nicht-Opioide

  • Nicht-steroidale Antirheumatika (Ibuprofen, Diclofenac)
  • Antipyretika (Paracetamol, Metamizol)

± Co-Analgetika

Mittelstarker Schmerz/Stufe II: schwache Opioide

  • Tramadol, Codein

± Stufe I: Nicht-Opioide
± Co-Analgetika

Starker Schmerz/Stufe III: starke Opioide

  • Morphium, Hydromorphon, Fentanyl

± Stufe I: Nicht-Opioide ± Co-Analgetika

± Co-Analgetika


Bildquellen & Copyright

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 /25.09.2023
Unsplash #ePv9Dxg7U Urheber: Anthony Tran


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