Medizin & Wissenschaft
Juvenile idiopathische Arthritis: Symptomdauer entscheidend
Lesezeit: 3 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung
Die juvenile idiopathische Arthritis sistiert bei jedem zweiten Kind in der Pubertät – die Gründe dafür sind nicht bekannt. Bei einer länger als sechs Wochen andauernden Bewegungseinschränkung, Schwellung und Überwärmung – typischerweise von mehreren Gelenken – sollte man an eine juvenile idiopathische Arthritis denken.
Bei rund 50 Prozent aller Kinder mit juveniler idiopathischer Arthritis sistiert die Erkrankung in der Pubertät – aus bisher ungeklärter Ursache, wie Univ. Prof. Jürgen Brunner vom Department für Kinder- und Jugendheilkunde der Medizinischen Universität Innsbruck erklärt. Und ganz grundsätzlich gelte: „Je älter die Kinder bei der Diagnose sind, umso eher persistiert die Krankheit bis ins Erwachsenenalter.“
Bei der juvenilen idiopathischen Arthritis handelt es sich vorwiegend um eine Ausschlussdiagnose. Wobei es umso schwieriger ist, die Symptome zu erfassen und einzuordnen, je jünger die Kinder sind. „Bei Kleinkindern sind Berichte der Eltern über ein verändertes Spielverhalten ganz typisch“, erklärt Brunner. Die Kinder nehmen eine Schonhaltung ein; nur manchmal fallen den Eltern auch geschwollene Gelenke auf. Das ist oft der Grund, wieso ein Orthopäde aufgesucht wird, der – wenn er nicht an kindliches Rheuma denkt – nicht selten einen Gips einsetzt, der „natürlich keine Wirkung zeigt“, wie Brunner betont. Zwischen dem zweiten und sechsten Lebensjahr beobachtet man am häufigsten die oligoartikuläre Verlaufsform. Dabei sind vier oder weniger größere Gelenke wie Sprunggelenk, Kniegelenk oder Handgelenk asymmetrisch betroffen. Ein typisches Beispiel: ein zweijähriges Mädchen mit Schwellungen und Bewegungseinschränkungen des rechten Knies sowie des linken Handgelenks. Die oligoartikuläre juvenile Arthritis geht bei bis zu 60 Prozent mit einer Uveitis einher. Sind bei Mädchen zwischen zwei und sieben Jahren symmetrisch mehr als fünf kleinere Gelenke an Fingern oder Fuß betroffen, handelt es sich um eine seronegative Polyarthritis.
Neben der klinischen Diagnose, die Rötung, Schwellung und Bewegungseinschränkung von Gelenken zeigt, sind Laborwerte bei bestimmten Subtypen hinweisend, selten beweisend – so auch positive antinukleäre Autoantikörper (ANA) bei der Oligoarthritis im frühen Kindesalter. „Bei Erwachsenen sind antinukleäre Antikörper eher ein Marker für Lupus erythematodes“, gibt Jörg Jahnel, Vorstand der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am Klinikum Klagenfurt, zu bedenken.
Der einzige Subtyp, bei dem der Rheumafaktor im Kindesalter eine Rolle spielt, ist die seropositive Polyarthritis, die üblicherweise bei Mädchen ab 14 Jahren vorkommt und der Diagnose der rheumatoiden Arthritis im Erwachsenenalter entspricht. Typisch für Burschen im jugendlichen Alter ist die Enthesitis-assoziierte Arthritis (Morbus Bechterew); sie können HLA-B27 positiv sein. Häufig ist das Sakroiliakalgelenk betroffen; Enthesitiden – Entzündungen der Sehnenansätze – entstehen typischerweise an der Achilles-Sehne am Fersenbein.
Psoriasis-Arthritis selten
Selten und nicht immer eindeutig tritt die Psoriasis-Arthritis bei Kindern auf. Brunner dazu: „Bei dieser Form ist die familiäre Häufung von Autoimmunerkrankungen am deutlichsten.“ Bei einer genetischen Prädisposition müsse bei kindlichen Gelenksentzündungen immer an Rheuma gedacht werden. „Die Hautproblematik und die Gelenksentzündung müssen nicht zwingend gleichzeitig auftreten“, stellt der Experte klar.
Ein Subtyp, der laut Brunner „eigentlich zu den Autoinflammationsstörungen zählt, die nicht mit einer spezifischen T- und B-Zellproduktion einhergehen, sondern mit einer unprovozierten unspezifischen Entzündung“, ist Morbus Still. Die systemische Form tritt vor allem im Kleinkindalter auf und geht mit Fieberepisoden, Exanthemen und einer systemischen Entzündung einher, bei der es zu Flüssigkeitsansammlungen in Körperhöhlen kommen kann und nicht zwingend eine Arthritis vorliegen muss. Hervorzuheben ist die gute Prognose von M. Still, wie Jahnel ausführt. „Bei der Hälfte der Patienten kommt es zu einer vollständigen Remission.“
Bei Symptomen wie Bewegungsarmut und Schonverhalten müssen immer maligne Erkrankungen ausgeschlossen werden; ebenso auch Infektionen und angeborene Stoffwechselerkrankungen. Die Senkung oder CRP sind bei kindlichem Rheuma nur manchmal erhöht. Eindeutigere Hinweise liefert die bildgebende Diagnostik. Brunner erklärt: „Im Ultraschall erkennt man den Gelenkserguss und sieht die Synovitis durch vermehrte Durchblutung an der betroffenen Stelle.“ Ein Röntgen bringt im Frühstadium wenig zusätzliche Informationen und ein MRT muss bei einem Kleinkind in Narkose erfolgen. „Hier muss man den Nutzen jedenfalls genau abwägen“, betont Brunner.
„Früher hat man Betroffene der juvenilen idiopathischen Arthritis kaum therapiert, da man angenommen hat, dass sich das kindliche Rheuma ausbrennt“, weiß Jahnel. Die Folge waren Funktionseinschränkungen der betroffenen Gelenke. Eine entzündete Extremität wächst schneller, wodurch Längendifferenzen entstehen. Die moderne Rheumatherapie verfolgt einen Stufenplan, der die vollständige Remission zum Ziel hat. Vor der Gabe von Medikamenten sollten die betroffenen Gelenke gekühlt werden sowie Physio- und Ergotherapie zum Einsatz kommen. Bei der „Step-up-Therapie“ der medikamentösen Behandlung werden routinemäßig nichtsteroidale Antirheumatika wie Naproxen oder Ibuprofen verordnet; letzteres kann ab dem sechsten Lebensmonat eingesetzt werden. Als zweite Stufe werden Glukokortikoide kurzfristig als Akuttherapie verabreicht. Neben der systemischen Kortisontherapie besteht bei einzelnen Gelenken die Möglichkeit der intraartikulären Punktion von kristallinem Kortison.
Biologika immer früher eingesetzt
Immunsuppressiva stellen die dritte Stufe der Behandlung dar; Methotrexat etwa wird einmal pro Woche verabreicht. Brunner dazu: „Es unterdrückt den Folsäure-Stoffwechsel im Zellkern und somit auch die Entzündung“. Biologika – die vierte Stufe bei der Behandlung – sind seit 23 Jahren im Einsatz und werden tendentiell immer früher verwendet, auch wenn Langzeiterfahrungen immer noch fehlen. Laut Jahnel sind die präferierten Präparate der TNF-α-Blocker Etanercept, Adalinumab und Infliximab. Sie werden mindestens für ein halbes Jahr, im Durchschnitt bis zu zwei Jah ren verordnet. „Nach dem Ausschleichen der Therapie sollte die Entzündung nicht zurückkehren“, sagt Jahnel. Das Tückische an der Erkrankung sei, dass man Schübe nicht voraussehen könne, berichten die Experten unisono. Jedoch konnten durch den Einsatz von Biologika Bewegungseinschränkungen der Patienten stark reduziert werden, was es ihnen ermögliche, ihr Leben genauso zu führen wie andere junge Menschen. Verbote für einzelne Sportarten gibt es nicht, wie Brunner ausführt. „Teilweise regulieren sich die Betroffenen selbst, da sie nur Bewegungen machen, die keine Schmerzen verursachen.“ (JF)
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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 /10.09.2023
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