Medizin & Wissenschaft

Trigeminusneuralgie: Nicht immer typisch

Lesezeit: 3 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Die Schmerzen bei einer Trigeminusneuralgie treten üblicherweise paroxysmal auf. Aber auch wenn sie zwischen Attacken andauernd vorhanden sind, kann eine Trigeminusneuralgie vorliegen. Bei rund einem Drittel der Betroffenen handelt es sich um eine einmalige Episode.

von Martin Schiller


Für die Diagnose Trigeminusneuralgie ist auch das Vorhandensein einer refraktären Phase maßgeblich. Eine Ruhephase von mehreren Minuten nach einer Attacke ist typisch für die Trigeminusneuralgie“, erklärt Priv. Doz. Nenad Mitrovic, Leiter der Abteilung für Neurologie am Salzkammergutklinikum Vöcklabruck. Die wiederkehrenden stechenden oder scharfen Gesichtsschmerzattacken im Versorgungsbereich des fünften Hirnnervs schießen stromstoßartig ein, sind von starker Intensität und dauern von einem Sekundenbruchteil bis zu zwei Minuten. Manche Patienten berichten von einem dumpfen Schmerz zwischen den Attacken. Die Schmerzen selbst treten meist paroxysmal auf. Aber auch, wenn die Schmerzen nahezu andauernd vorhanden sind, kann eine Trigeminusneuralgie vorliegen.

Die Prävalenz der Trigeminusneuralgie liegt bei 0,1 Prozent, wobei sich die Wahrscheinlichkeit mit zunehmendem Alter erhöht. Die Inzidenz liegt zwischen vier und 13 pro 100.000 Menschen pro Jahr. Bei rund einem Drittel der Patienten bleibt es bei einer Episode während des gesamten Lebens. Kurz vor Ausbruch der Neuralgie kann es laut Mitrovic zu unspezifischen Kieferschmerzen kommen, die oft als Zahnschmerzen fehlinterpretiert werden. Die Folge können unnötige Zahnbehandlungen sein. Wochen später treten dann die typischen Schmerzattacken auf. Einer Attacke gehen harmlose Reize im betroffenen Versorgungsbereich voraus, wie Univ. Prof. Wilhelm Eisner von der Universitätsklinik für Neurochirurgie in Innsbruck berichtet: „Zähneputzen, Kauen von Lebensmitteln, Rasieren, Klimaanlagen oder Zugluft sind typische Auslöser. Oft reicht auch bereits eine leichte Berührung aus, um die Attacke auszulösen.“

Eine Differentialdiagnose zur Trigeminusneuralgie ist die Trigeminusneuropathie. „Die Neuropathie entsteht durch eine Verletzung des Trigeminusnervs wie zum Beispiel durch Verkehrsunfälle, Stürze oder den Tritt eines Pferdes. Weiters können Zahnextraktionen, Wurzelbehandlungen, Wurzelspitzenresektionen und Kieferfrakturen der Auslöser sein“, erklärt Eisner. Der Schmerz trete aber nicht so blitzartig wie bei der Trigeminusneuralgie auf. Vielmehr handle es sich um einen brennenden Dauerschmerz in einem gefühlsgestörten Gesichtsbereich. Durch Luftzug oder Berührung kommt es zur Verschlechterung des Zustands.

Chirurgische Verfahren: Überblick

Bei fehlendem Ansprechen auf die medikamentöse Therapie wird der Zeitpunkt für einen operativen Eingriff individuell festgelegt. „Eine Operation ist dann indiziert, wenn die Schmerzempfindung laut visueller Analogskala mindestens fünf bis sechs beträgt, eher über sechs. Das Ziel des chirurgischen Eingriffs ist es, den Schmerz weitestgehend zu reduzieren. Gelangt man damit unter drei auf der VA-Skala, ist das ein guter Behandlungserfolg“, erläutert Wilhelm Eisner die Grundprinzipien. Eine Schmerzreduktion um etwa 30 Prozent könne hingegen nicht als Erfolg gewertet werden, denn „der Patient hat innerhalb von wenigen Wochen vergessen, wie der Schmerz ursprünglich war und spürt immer noch einen unerträglichen Schmerz“. Um Gefäße und Nerven zu trennen, kommen vor allem folgende Verfahren zum Einsatz:

  • Mikrovaskuläre Dekompression nach Jannetta: An der Eintrittszone des Trigeminusnervs in den Hirnstamm kommt es häufig zum Gefäß-Nerv-Kontakt. Dieser wird durch Einlegen eines alloplastischen Interponats (Teflonschwämmchen) unterbrochen. Die am häufigsten eingesetzte Methode weist eine 86- bis 98-prozentige Erfolgsquote (Schmerzfreiheit und Schmerzlinderung) auf.
  • Radiochirurgie: Mittels Gamma-Knife oder Linearbeschleuniger wird der Trigeminusnerv zwischen Felsenbeinkante und Hirnstamm einmalig mit einer Dosis von 70 bis 90 Gray bestrahlt.
  • Perkutane Verfahren (Thermokoagulation, Ballonkompression, Glyzerin-Rhizotomie) führen zu einer passageren Schädigung des Nervs, da die dicken myelinisierten Fasern zuerst ausfallen (dann sensorische Fasern, Schmerzfasern, motorische Fasern). Nebenwirkungen sind Gefühlsstörungen; eine schwerwiegende Komplikation ist die Anaesthesia dolorosa. Eisner warnt davor, im Fall einer bereits eingetretenen Nervenverletzung eine weitere Verletzung durch Verödung oder Hitze herbeizuführen, denn das führe zu „zusätzlichen unerträglichen Dauerschmerzen einer Trigeminusneuropathie oder gar einer Analgesia dolorosa“.

Trigeminusneuralgie: die Formen

  • Klassische Trigeminusneuralgie: Sie ist durch Kompression des N. trigeminus durch ein benachbartes Gefäß bedingt und macht bis zu 80 Prozent der Fälle aus. „Dabei wird die Isolierung des Nervs beschädigt“, sagt Nenad Mitrovic und führt weiter aus: „Die Reaktion ähnelt einem Kurzschluss: Sensible Fasern für Berührung geraten in Kontakt mit Schmerzfasern und es kommt also zu einer Fehlleitung. Anstelle eines Berührungssignals erlebt der Patient ein Schmerzsignal.“ Die klassische Form tritt überwiegend einseitig auf.
  • Idiopathische Trigeminusneuralgie: Sie unterscheidet sich klinisch nicht von der klassischen Form. In der Bildgebung ist kein Kontakt zwischen Nerv und Gefäß ersichtlich. Die idiopathische Form liegt in circa zehn Prozent der Fälle vor.
  • Sekundäre Trigeminusneuralgie: Bei dieser Form, die bis zu 15 Prozent der Fälle ausmacht, ist eine systemische Erkrankung die eigentliche Ursache für die Neuralgie. Häufig handelt es sich dabei um eine Multiple Sklerose, wie Mitrovic erklärt: „Ein MS-Plaque an der Eintrittszone der Trigeminuswurzel beeinträchtigt trigeminale Leitungsbahnen und sorgt für ähnliche Beschwerden wie bei der klassischen Form.“ Auch Tumore sind seinen Aussagen zufolge mögliche Auslöser einer sekundären Trigeminusneuralgie.

Eine Herpes zoster-Infektion im Gesicht kann ebenfalls eine Trigeminusneuropathie auslösen, weil das Virus in rund zehn bis 15 Prozent das Ganglion trigeminale befällt. Diagnostisches Kriterium ist der einseitige Gesichtsschmerz mit einer Dauer von weniger als drei Monaten. Bei circa 80 Prozent der Patienten ist der Augenast des Nervus trigeminus betroffen. Weitere mögliche Differentialdiagnosen bei der Trigeminusneuralgie sind der anhaltende idiopathische Gesichtsschmerz, trigeminoautonome Kopfschmerzen wie der Clusterkopfschmerz sowie andere Neuralgien wie etwa die Glossopharyngeus-Neuralgie.

Carbamazepin und/oder Oxcarbazepin

Die Therapie der Trigeminusneuralgie erfolgt zunächst konservativ medikamentös: Carbamazepin ist Mittel der Wahl. Bei Unverträglichkeit wird Oxcarbazepin eingesetzt. „Mit Carbamazepin werden in Studien 60 bis 100 Prozent der Patienten innerhalb von sechs bis acht Wochen schmerzfrei oder nahezu schmerzfrei. Bei Placebo beträgt dieser Anteil null bis 40 Prozent. Mit einer Number needed to treat (NNT) von 1,7 liegt der Wirkstoff wirklich gut“, sagt Mitrovic. Die Number needed to harm (NNH) liege allerdings bei 3-24. „Mögliche Nebenwirkungen sind Benommenheit, Schwindel, Hyponatriämie, Hautveränderungen, Doppeltsehen und Kopfschmerzen. Jeder dritte Patient hat leichte Nebenwirkungen, jeder 20. Patient leidet an schweren Nebenwirkungen. Die Nebenwirkungen können durch langsames Aufdosieren bei vielen Patienten vermieden werden.“ Oxcarbazepin sei laut Mitrovic etwas besser verträglich. Nebenwirkungen treten seltener auf und es kommt zu einer geringeren Induktion der Transaminasen. Auch die Erfolgsrate sei gut; bei 90 Prozent der Patienten könne man mehr als eine 50-prozentige Schmerzreduktion erreichen.

Bei Schmerzfreiheit kann die Dosis des jeweiligen Arzneimittels nach sechs bis acht Wochen langsam reduziert werden. Bei rezidivierenden Schmerzen muss die Einnahme sechs bis acht Monate erfolgen; danach folgt eine vier- bis achtwöchige Ausschleichphase.

Bei therapierefraktären Patienten oder bei nachlassender Wirkung des Arzneimittels der ersten Wahl ist eine Kombinationstherapie mit Baclofen möglich. Mitrovic dazu: „Die Substanz führt in Kombination mit Carbamazepin zu einer deutlichen Verbesserung der Beschwerden. Zu berücksichtigen sind aber Nebenwirkungen wie Benommenheit, Schwindel und Gangunsicherheit.“ Der Experte verweist darüber hinaus auf eine neue Studie, in der in der Akutphase Lacosamid i.v. verabreicht wurde: „Das Präparat war in der Wirkung überzeugend und erbrachte im Vergleich zu Phenytoin bessere Ergebnisse bei der Adhärenz.“ Ebenfalls gute Ergebnisse gibt es für die intrakutane und subkutane Gabe von Botulinumtoxin. „Spricht ein Patient nicht auf die herkömmliche Therapie an, kann man die Gabe von Botulinumtoxin alle drei Monate anbieten.“ Hier sei eine mindestens 50-prozentige Reduktion der Schmerzen bei circa 80 Prozent der Patienten möglich. Als eine mögliche unangenehme Nebenwirkung ist eine periphere Fazialisparese zu erwähnen; jedoch nur „in schwacher Ausprägung“, die von den Patienten toleriert werde, kommentiert Mitrovic die aktuelle Datenlage.

Für Patienten, die wegen wiederholter Schmerzattacken oft tagelang kaum essen und trinken können, gibt es mit einem niedrig-dosierten Lidocainspray Unterstützung. Mitrovic dazu: „Wenn im Mund eine Triggerzone bekannt ist, besprüht man diese mit Lidocain. Das ermöglicht es den Betroffenen, zumindest ein bis zwei Stunden schmerzfrei zu essen und Flüssigkeit aufzunehmen.“

Spricht die Medikation nicht an, ist ein chirurgischer Eingriff indiziert (siehe Kasten).


Bildquellen & Copyright

© Österreichische Ärztezeitung Nr.21 /10.11.2023
Freepik #5629791 Urheber: freepik


Ganzen Artikel lesen
Cookie