Medizin & Wissenschaft

Diabetes mellitus: Pumpen für mehr Lebensqualität

Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Besonders Diabetes-Patienten mit einer Basis-Bolus-Therapie profitieren von der Kombination aus Insulinpumpe und Glukose-Messsystem. Der Blutzucker wird besser eingestellt, Hypoglykämien vermieden und bei sportlicher Aktivität die Insulinzufuhr reduziert.

von Martin Schiller

Bei immer mehr Patienten mit Diabetes mellitus kommen Insulinpumpen zum Einsatz. Sie geben Insulin entweder als Patchpumpe oder über einen Katheter direkt ins Fettgewebe ab. „Prinzipiell kann der Patient selbst nach individueller Vorliebe entscheiden, welches Modell er haben möchte. Für manche Patienten ist es zum Beispiel psychologisch schwierig, einen Schlauch zu tragen. Nachteil des schlauchlosen Modells ist wiederum, dass jeden dritten Tag die Batterie gewechselt werden muss. Das finden manche Patienten ökologisch nicht mehr vertretbar“, erklärt Priv. Doz. Johanna Brix von der 1. Medizinischen Abteilung mit Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie der Klinik Landstraße in Wien. Weiters seien laut Brix schlauchlose Modelle bei hohem Insulinbedarf nicht ideal, weil sie ein geringeres Fassungsvermögen haben und häufigere Ampullenwechsel erfordern.

Programmierung je nach Bedarf 

„Insulinpumpen arbeiten kontinuierlich 24 Stunden pro Tag und können je nach physiologischem Bedarf programmiert werden – auch betreffend Schlaf-/Wachzeiten oder Phasen vermehrter und geringerer körperlicher Aktivität“, berichtet Dr. Lars Stechemesser von der Universitätsklinik für Innere Medizin I mit Gastroenterologie, Hepatologie, Nephrologie, Stoffwechsel und Diabetologie am Landesklinikum Salzburg. Voraussetzung für die Anwendung sei, dass ein Patient sich in einer adaptierten Basis-Bolus-Therapie befindet. „Für Personen mit Typ-1-Diabetes sind die Pumpen sehr gut geeignet, weil der Insulinmangel durch subkutanes Insulin entsprechend der individuellen Bedürfnisse kompensiert wird. Eine weitere wichtige Zielgruppe sind Menschen mit Diabetes mellitus Typ 3c, bei denen durch einen Pankreastumor, eine vorangegangene Pankreasoperation, durch Zystische Fibrose oder aus anderen Gründen die Insulinproduktion nicht funktioniert“, führt Stechemesser weiter aus. Auch bei Typ-2-Diabetes könne sich der Einsatz als sinnvoll erweisen. „Beim Patienten mit Typ-2-Diabetes wird meist mit einer Basis-Insulintherapie begonnen, vielfach erfolgt aber eine Überführung in ein adaptiertes Basis-Bolus-Schema. Diese Patienten sind dann ebenfalls Kandidaten für eine Insulinpumpe.“

Die Anwendung von Insulinpumpen dient dazu, die Blutzuckereinstellung zu verbessern, Hypoglykämien möglichst zu verhindern und bei körperlicher Aktivität die Insulinzufuhr anzupassen. „Der Einsatz erfolgt aus medizinischen Gründen oder um eine Verbesserung der Lebensqualität zu erzielen“, sagt Stechemesser und betont gleichzeitig: „Was die Pumpen dennoch erfordern, ist die Mitarbeit des Patienten. Es ist auch weiterhin wichtig, dass er sich um das Diabetes-Management kümmert.“ Außerdem sei ein gewisses technisches Grundverständnis notwendig, sodass es möglich ist, die Betroffenen im Hinblick auf die Anwendung der Pumpen zu schulen.

Unterstützung durch Glukosesensoren

Bei vielen Patienten mit Basis-Bolus-Therapie ist eine Unterstützung mit Glukosesensoren mittlerweile Standard. Sensoren messen 24 Stunden lang den Glukosegehalt im Unterhautfettgewebe und ermöglichen einen Blick auf den aktuellen Wert und die Beobachtung von Trends. „Der Arzt erhält damit mehr Informationen – auch retrospektiv, und kann schneller auf etwaige Probleme reagieren“, berichtet Stechemesser. Der Sensor am Oberarm kann vom Patienten selbst gesetzt werden und wird alle sieben bis zehn Tage gewechselt. Brix betont den Fortschritt in der Therapie: „Sensoren haben in den vergangenen Jahren vor allem bei Menschen mit Typ-1-Diabetes zu einer enormen Verbesserung der Lebensqualität und der Blutzuckereinstellung geführt. Sie sind auch bei Personen mit Typ-2-Diabetes bei entsprechender Therapie sinnvoll, und auch bei älteren Patienten mit großer Hypoglykämiegefahr.“ Bei Diabetikern, die eine orale Therapie erhalten, wird derzeit kein Sensor erstattet.

Closed-Loop-Systeme

Bei Closed-Loop-Systemen arbeitet die Insulinpumpe mit einem System zur kontinuierlichen Glukoseüberwachung über einen Steuerungsalgorithmus zusammen, der die beiden Komponenten verbindet. Fully-Closed-Loop-Systeme, bei denen Glukosewerte ohne manuelle Eingabe im Zielbereich gehalten werden, sind derzeit nicht kommerziell erhältlich. Am Markt erhältlich sind Hybrid-Closed-Loop-Systeme, die den Aussagen von Brix zufolge gut funktionieren. Das Funktionsprinzip erklärt sie folgendermaßen: „Das System sorgt durch einen selbstlernenden Algorithmus für eine automatisierte Insulinabgabe. Nimmt man Nahrung zu sich, teilt man dem System die Menge mit und die Pumpe macht einen Vorschlag für die Insulindosis. Der Patient muss dann noch bestätigen, dass nun diese Insulinmenge abgegeben wird.“

Gewebsglukose hinkt hinterher

Bei Betrachtung der Unterschiede zwischen Blutmessung und Gewebsmessung sind besonders zwei Aspekte zu beachten: „Kommt es zu einer sehr raschen Änderung der Blutglukose, hinkt die Gewebsglukose hinterher und es dauert zehn bis 15 Minuten, bis der Wert jenem aus dem Blut entspricht“, sagt Stechemesser. Brix weist auf die Veränderung des Blutzuckerwerts durch Paracetamol hin und auf die Unterschiede, die sich dadurch zur Gewebsglukose ergeben können: „Am besten führt man bei Einnahme des Wirkstoffs im Krankheitsfall eine blutige Messung als Gegencheck durch.“

Smart-Pens für Basis-Bolus-Schema

Seit September dieses Jahres sind in Österreich Smart-Pens verfügbar. „Sie sind mit dem Glukosesensor verbunden, senden die Abgabedaten automatisch an das CGM-System und helfen beim Errechnen des Insulins bei Einnahme einer Mahlzeit“, erklärt Brix. Und weiter: „Man muss zwar in die Haut stechen, aber dafür erhält man einen Vorschlag, wieviel Insulin man spritzen soll und kann jederzeit kontrollieren, wieviel Insulin abgegeben wurde.“ Die Anwendung ist für eine Vielzahl von Betroffenen mit Diabetes mellitus möglich: „Personen mit Basis-Bolus-Therapie profitieren davon, wenn dazu der Sensor getragen wird.“

Glukose-Messsysteme

Es gibt zwei Arten von Glukose-Messsysteme:

  • Flash glucose monitoring: Dieses System besteht aus Sensor und Empfänger. Der Anwender kann mit einem Scanner – entweder via Auslesegerät oder über Smartphone-App – den aktuellen Glukosewert durch Bewegung über den Sensor ermitteln. Bei Patienten mit Basis-Bolus-Therapie übernimmt die Krankenkasse die Kosten zur Gänze. Nicht im System integriert ist ein Alarm bei signifikanter Über- oder Unterschreitung des Zielbereichs.
  • Kontinuierliche Messung (Continuous Glucose Monitoring – CGM): Bei diesem System übermittelt der Sensor aktiv an den Empfänger, das Scannen ist nicht erforderlich. Ein Alarm bei gröberen Abweichungen vom Zielwert ist integriert. Stechemesser verweist auf die Übernahme der Kosten durch die Krankenkasse „bei Patienten, bei denen es notwendig ist, einen Alarm zu haben, etwa im Fall häufiger Hypoglykämien und Schwankungen des Blutzuckerwerts oder bei besonderen Umständen am Arbeitsplatz“.

Sport bei Diabetes mellitus

„Im Alltag funktionieren Kontinuierliche Glukose-Messsysteme und Insulinpumpen bei verschiedenen Tätigkeiten und Bewegungsarten gut“, sagt Lars Stechemesser. Dabei sind einige Aspekte zu beachten:

  • Sport: Mit Insulinpumpen und CGM gibt es keine Einschränkungen beim Sport. „Falls sich ein Patch des Öfteren ablöst, wie das etwa bei Kontaktsportarten der Fall sein kann, können Alternativen zum Fixieren überlegt oder der Patch an anderer Stelle angebracht werden. Im Sport- und Bewegungsalltag haben die meisten Patienten jedoch keine Probleme“, betont Stechemesser.
  • Wasser: Sowohl mit Insulinpumpen als auch mit CGM kann man problemlos duschen. Wie geht man beim Schwimmen oder längeren Baden vor? Stechemesser: „Verbringt man längere Zeit im Wasser oder geht häufig und lang schwimmen, kann es sein, dass sich das Pflaster und somit der Sensor ablöst. In diesem Fall ist es sinnvoll, schon zuvor für eine zusätzliche Fixierung zu sorgen.“ Bei stabilen Glukosewerten können Insulinpumpen beim Schwimmen abgekoppelt werden.
  • Sauna und Infrarotkabine: Aus technischer Sicht bestehen keinerlei Bedenken. Durch die Schweißbildung können sich Sensor oder Patch-Pumpe lösen, weshalb auch hier vorsorglich eine zusätzliche Fixierung empfohlen ist.

 


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22/2022
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