Medizin & Wissenschaft
Kann man Intelligenz trainieren?
Lesezeit: 3 Minuten Quelle: Praxiswelt
Unser Gehirn ist neuroplastisch, also trainierbar. Nicht nur bei Kindern, sondern auch in den Gehirnen Erwachsener findet Neuroplastizität statt. Nervenverbindungen, die stark genutzt werden, verstärken sich, die ungenutzten entwickeln sich zurück. Das Gehirn befindet sich durch die fortlaufenden Umbauprozesse ständig im Wandel (Møller, 2011).
Neuroplastizität ist die Grundvoraussetzung dafür, dass wir lebenslang lernen können. Üben wir z. B. das Spielen eines neuen Instruments, verändert sich die Kartierung unserer Hirnrinde. Es konnte nachgewiesen werden, dass sich die Areale, die für die Motorik und Sensorik der führenden Hand stehen, in Korrelation zur Trainingsintensität vergrößern.
Wenn das Gehirn also wie ein Muskel trainierbar ist, liegt der Gedanke nahe, durch gezielte Übungen auch unsere allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit bzw. die Intelligenz steigern zu können.
Fluide und kristalline Intelligenz
Schauen wir zunächst darauf, was Intelligenz überhaupt ist. Das Wort stammt vom Lateinischen intellegere ab, was verstehen, erkennen bedeutet. Intelligenz beschreibt unsere Fähigkeit zu denken. Sie teilt sich in unterschiedliche Bereiche auf, z. B. logisches Schlussfolgern, Rechnen, räumliches Vorstellungsvermögen und Merkfähigkeit.
In Fachkreisen wird Intelligenz in zwei Bereiche aufgeteilt: die fluide und die kristalline Intelligenz. Der fluide Anteil steht für die Flexibilität, mit der wir in der Lage sind, Aufgaben zu bearbeiten und uns an neue Anforderungen anzupassen. Die kristalline Intelligenz umfasst unser angeeignetes Wissen, unseren Erfahrungsschatz und unsere erlernten Fähig- und Fertigkeiten.
Die kristalline Intelligenz trainieren wir also ganz gezielt mit herkömmlichen Lernmethoden. Dem Lernen einer neuen Sprache, eines Instruments, mit dem Lesen eines Buchs oder dem Führen angeregter Diskussionen. Doch wie können wir unsere fluide Intelligenz gezielt verbessern, sodass wir Zusammenhänge schneller erfassen, konzentrierter Arbeiten und weniger gestresst auf neue Herausforderungen reagieren?
Hier kommt eine recht junge Trainingsmethode – Life Kinetic – ins Spiel.
Life Kinetik – Gehirnjogging für erhöhte Leistungsfähigkeit
Life Kinetik ist eine Trainingsform, die sich die Neuroplastizität des Gehirns zunutze macht. Sie koppelt Wahrnehmungsaufgaben mit kognitiven Herausforderungen und ungewöhnlicher, spaßiger Bewegung.
Das Ziel ist es, durch die unterschiedlichen Aufgaben viele neue Verbindungen zwischen den Gehirnzellen zu schaffen, um im Alltag leistungsfähiger zu werden, Demenz vorzubeugen , aber auch um im Leistungssport bessere Ergebnisse zu erzielen.
MRT-Aufnahmen beweisen, dass es funktioniert: Durch das regelmäßige Life-Kinetik-Training kommt es zu einer erhöhten Konnektivität zwischen den Gehirnarealen, die für die visuelle und auditive Wahrnehmung zuständig sind, und dem Motorikareal. Die Wirksamkeit wurde in über 40 wissenschaftlichen Arbeiten an Universitäten nachgewiesen. Die Trainingsmethode findet Anklang bei einer breiten Zielgruppe und gilt als Geheimtipp im Spitzensport.
Lernen durch Scheitern
Aus Fehlern wird man klug, das gilt bei Life Kinetik wortwörtlich. Die anspruchsvollen Übungen, die Wahrnehmungskomponenten wie Funktional-Optometrie, Audiorhythmik und Somatosensorik mit kognitiven Elementen wie Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeit und Problemlösungsintelligenz sowie mit ungewöhnlichen Bewegungsaufgaben kombinieren, können gar nicht auf Anhieb beherrscht werden. Darum geht es bei dieser Trainingsform aber auch nicht. Es geht darum, das Gehirn zu überraschen und dadurch Wachstumsanreize zu schaffen. Die Übungen werden jeweils fünf- bis zehnmal wiederholt. Wenn wir scheitern, versucht das Gehirn Lösungen zu finden. Gibt es die passenden neuronalen Bahnen dafür noch nicht, legt das Gehirn sie umgehend an. Sobald von zehn Versuchen vier bis fünf erfolgreich verlaufen, wird es Zeit, die nächste Herausforderung anzugehen. So soll das Gehirn dazu angeregt werden, viele neue neuronale Verbindungen zu bilden, die wir auch zur Bewältigung unseres Alltags nutzen können.
Positive Effekte bei Kindern mit Lernschwierigkeiten
Die Universität zu Köln überprüfte unter der Leitung von Prof. Dr. Matthias Grünke an 35 Schülern mit gravierenden Lernauffälligkeiten im Alter zwischen neun und zwölf Jahren, ob sich durch Life Kinetik deren Aufmerksamkeits- und fluide Intelligenzleistung steigern lässt (Grünke, 2011). Mithilfe des Aufmerksamkeitsbelastungstests von Brickenkamp konnte höchst signifikant nachgewiesen werden, dass die Aufmerksamkeitswerte der Life-Kinetik-Gruppe um sechs Prozent anstiegen, während sich die Kontrollgruppe sogar verschlechterte. Das Ausmaß dieser Verbesserung gibt die erstaunliche Effektstärke von 0,52 an.
Geeignete Methode für die Demenzprävention?
Die einzige wissenschaftlich anerkannte Möglichkeit, demenzielle Symptome zu verzögern, ist das Verbessern der Konnektivität im Gehirn, der Aufbau der sogenannten kognitiven Reserve. So liegt es nahe, dass Life Kinetik zu diesem Zweck unter die Lupe genommen wurde. In einer ersten Pilotstudie mit zehn Probanden nahm die Merkfähigkeit im Kurzzeitgedächtnis von leicht dementen Senioren um 14,6 Prozent zu, während sie sich in der Kontrollgruppe um 17,1 Prozent reduzierte.
Mittels MRT-Aufnahmen konnte eindeutig gezeigt werden, dass das Training die Konnektivität zwischen visuellem und auditivem Areal sowie dem Motorikareal deutlich verbesserte. Außerdem erhöhte sich die Verbindungsstärke zwischen dem Areal, das für Planung, Ausführung und Kontrolle zuständig ist, und dem Areal für Arbeitsgedächtnis und Fehlerbearbeitung.
Steigerung der Stressresistenz
Drei Untersuchungen beschäftigten sich mit der Auswirkung von speziellen Life-Kinetik-Kursen auf das Stressniveau von Erwachsenen.
Bei 78 Prozent der Probanden reduzierte sich die Stressbelastung um bis zu 51,8 Prozent und das Burnout-Risiko, gemessen mit dem Copenhagen-Burnout-Inventory, um 24,7 Prozent.
Bei 75 Prozent der Probanden betrug der Quantitätsanstieg der Erholungsreaktion im Schlaf 32,5 Prozent. Dabei zeigte sich auch eine Erhöhung des Dopaminspiegels bei allen Probanden um durchschnittlich 17,7 Prozent, gemessen am Tag nach der Life-Kinetik-Intervention.
Bei Golfspielern reduzierte sich die Cortisolausschüttung im Wettkampf um bis zu 39 Prozent.
Keine Therapie, aber wirksames Gesundheitstraining
Grundsätzlich gilt Life Kinetik als ein wirksames Gesundheitstraining. Besser zu lesen, zu rechtschreiben, zu rechnen, sich geschickter zu bewegen, Störungen besser zu verarbeiten, weniger Stress zu empfinden und besser zu schlafen sind nur einige häufige „Folgen“ des Trainings.
Es ist jedoch nicht möglich, gezielt auf einzelne Effekte hinzutrainieren.
Daher ist es keine Therapie, wird also von den Krankenkassen nicht bezuschusst.
Einige Krankenkassen belohnen die Teilnahme an einem Life-Kinetik-Performance-Kurs jedoch mit der Berücksichtigung in ihrem Bonussystem.
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