Medizin & Wissenschaft

Tinnitus: Hauptverursacher Lärm

Lesezeit: 3 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Der subjektive Tinnitus tritt – im Gegensatz zum objektiven Tinnitus – häufig bei einer Erkrankung des Mittelohrs auf; verursacht durch Fehleindrücke in der Hörbahn. Bis zu 30 Prozent aller Fälle von subjektivem Tinnitus sind auf übermäßige Lärmbelastung zurückzuführen.

von Julia Fleiß/Agnes M. Mühlgassner


Im Gegensatz zum subjektiven Tinnitus kann der Untersucher den objektiven Tinnitus mit dem Stethoskop hören“, versichert Univ. Prof. Gerd Rasp von der Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohren-Krankheiten am Landeskrankenhaus Salzburg. Dabei handelt es sich „typischerweise“ um Strömungsgeräusche von Gefäßen oder gut durchbluteten Tumoren. Ebenso können auch rhythmische Muskelkontraktionen derartige Geräusche verursachen. „Man kennt dieses Phänomen beim Augenlid, das ab und zu ohne erkennbare Ursache zuckt. Wenn das ein Muskel macht, der an der eustachischen Röhre ansetzt, erfährt der Betroffene eine akustische Sensation“, erklärt er Experte. Die einzige Behandlungsmethode: Botulinustoxin, um die Muskeln ruhig zu stellen.

Der subjektive Tinnitus tritt in der Regel in Kombination mit einer Hörminderung auf. „Ein subjektiver Tinnitus tritt häufig bei Erkrankungen des Mittelohrs auf wie etwa bei Sekret oder wenn der Steigbügel verknöchert“, erläutert Rasp. Vermutlich kommt es ursächlich zu einer Abflussstörung des Schalls. Ganz generell entwickelt sich ein subjektiver Tinnitus durch Fehleindrücke in der Hörbahn. Im Extremfall kommt es zum plötzlichen Ertauben mit einem „stetigen Brummton im Innenohr“, wie Rasp es beschreibt. Bis zu 30 Prozent aller Fälle von subjektivem Tinnitus sind der übermäßigen Lärmbelästigung geschuldet; auch ein Knalltrauma oder ein Hörsturz können dazu führen. Weitere mögliche Ursachen sind Otosklerose, Mittel- und Innenohrentzündungen, Tubenfunktionsstörungen, Trommelfelldefekte oder Perilymphfisteln. Bei jüngeren Frauen tritt mitunter eine craniomandibuläre Dysfunktion begleitend auf. „Bei Erkrankungen des Ohres gibt es Triggerfaktoren. Das gilt auch für den Tinnitus“, betont Rasp. Dazu zählen körperliche Belastungen ebenso wie psychische.

Nach der körperlichen Untersuchung werden mittels CT oder MRT Fehlbildungen und Tumore ausgeschlossen. Die Funktionsdiagnostik umfasst Hörtest, Audiogramm mit Lokalisation des Tinnitus nach Frequenz und Lautstärke sowie die Messung der Nachgiebigkeit des Trommelfells. Liegt eine Hörminderung vor und ein subjektiver Tinnitus wird diagnostiziert, kann die Lautstärke anhand von Vergleichstönen gemessen werden.

Kortison nur bei Hörsturz

Der Hörsturz ist den Angaben von Rasp zufolge die „einzige Situation“, in der Kortison für einige Tage zum Einsatz kommt. Dauert der Tinnitus länger als drei Monate an und ist somit chronisch und tritt in Kombination mit einer Hörminderung auf, versucht man, mittels zusätzlicher Schallinformation den Tinnitus zu überdecken. „Bei einem stark ausgeprägten Tinnitus wird ein Implantat eingesetzt“, führt Rasp aus und warnt gleichzeitig: „Dafür gibt es jedoch keine Erfolgsgarantie.“ Eines der „erfolgreichsten“ Konzepte bei der Behandlung stelle die Habituation dar.

Roland Moschèn von der Universitätsklinik für Psychiatrie in Innsbruck ergänzt, dass „die Patienten häufig angeben, 24 Stunden pro Tag ihr Ohrgeräusch zu hören“. Im Gespräch stelle sich dann aber oft heraus, dass es durchaus Phasen gibt, in denen das Geräusch in den Hintergrund trete. „Das ist bedeutsam, weil es auf den Stellenwert der Aufmerksamkeit und Ablenkung hinweist.“ Besonders Patienten, die in der akuten Phase eines Tinnitus an Erschöpfung leiden, Ängste haben und Schlafstörungen entwickeln, sollten nach Ansicht des Experten „frühzeitig“ begleitend psychotherapeutisch betreut werden. Moschèn weiter: „Begleitende oder bereits vor dem ersten Auftreten des Tinnitus vorhandene psychische Störungen sind ebenfalls bedeutsam und nehmen, wenn nicht behandelt, Einfluss auf die Entwicklung des Tinnitus.“ Moschèn stellt auch klar, dass die psychotherapeutischen Maßnahmen nicht darauf abzielten, dass der Tinnitus verschwindet, denn „das gelingt selten“. Vielmehr gehe es darum, die Betroffenen darin zu unterstützen, „mit dem Tinnitus und einer guten Lebensqualität leben zu können“.

Die Informationsvermittlung durch den betreuenden Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde trägt laut Moschèn „massiv“ dazu bei, die vorhandenen Ängste zu verringern. Durch den Ausschluss von körperlichen Ursachen können Betroffene entspannter gegenüber dem Hörgeräusch sein. „Gelassener werden gegenüber dem Tinnitus ist eines der Therapieziele“, erklärt der Experte.

Die psychotherapeutische Behandlung sieht wie folgt aus:

  • Das Erlernen von Entspannungstechniken, die zu einer höheren emotionalen Toleranz gegenüber dem Ohrgeräusch führen. Zum Einsatz kommen die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson, Atementspannungstechniken sowie die Visualisierung. „Ziel ist es, dass der Patient psychophysisch entspannter wird, weil das positive Effekte auf die Tinnitus-Wahrnehmung und die Schlafqualität hat“, führt Moschèn aus.

  • Mit Hilfe von Techniken, wie und wohin man seine Aufmerksamkeit lenkt, kann der Betroffene zum Teil mitbestimmen, wohin sich seine Aufmerksamkeit richtet und dass der Tinnitus in den Hintergrund treten kann. Moschèn dazu: „Man kann bei Übungen den Geruchssinn, den Geschmackssinn, den Tastsinn oder den Sehsinn einsetzen.“

Treten Begleiterkrankungen wie Depressionen, Schlafstörungen oder Angstzustände auf, müssen diese zunächst behandelt werden. „Wird hier eine Besserung erzielt, geht dies häufig mit einer Verringerung der Tinnitusbelastung einher“, weiß Moschèn.


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 /15.08.2023
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