Medizin & Wissenschaft
Weibliche Inkontinenz:
Nebenwirkung als Auslöser
Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung
Rund eine Million Menschen in Österreich leidet an Harninkontinenz. Neben Adipositas, chronischer Obstipation und zahlreichen Schwangerschaften kommen neben Nikotinkonsum auch zahlreiche Medikamente als Ursache in Frage wie etwa Hypnotika und Tranquilizer, Antidepressiva und Anti-Parkinsonmittel.
von Julia Fleiß
Jede vierte Frau und jeder zehnte Mann leiden im Lauf ihres Lebens an Inkontinenz – so lautet jedenfalls die Einschätzung der Medizinischen Kontinenzgesellschaft. Auf Schätzungen ist man deshalb angewiesen, weil es keine offiziellen Erhebungen dazu gibt. „Inkontinenz ist nach wie vor ein Tabuthema, deshalb sollten Ärztinnen und Ärzte gezielt nachfragen“, empfiehlt Urologe Univ. Doz. Nicolai Leonhartsberger aus Innsbruck.
Beim Harnverlust unterscheidet man grundsätzlich zwei Formen: Belastungs-Inkontinenz und die Drang-Inkontinenz. Bei der Belastungs-Inkontinenz kommt es aufgrund des geschwächten Beckenbodens meist bei Belastungen des Schließmuskels durch Niesen, Husten oder Springen zum Harnverlust. Ein Peak dieser Erkrankung liegt bei Frauen zwischen 50 und 60 Jahren; aber auch jüngere Frauen können betroffen sein. „Postmenopausal ist die Drang-Inkontinenz häufiger“, berichtet Gynäkologin Univ. Prof. Barbara Bodner-Adler aus Wien. Bei dieser überaktiven Blase kommt es aus verschiedensten neurogenen oder muskulären Ursachen zu unbeherrschbarem Harndrang, der unwillkürlich zu Harnverlust führt.
Häufig Mischformen
Ganz generell sind Mischformen von Belastungs- und Drang-Inkontinenz häufig. An sich harmlose Ursachen kommen wesentlich häufiger vor als beispielsweise Karzinome. Ein Descensus uteri oder vesicae, Hormonschwankungen in den Wechseljahren, neurologisch-internistische Begleiterkrankungen und Nebenwirkungen von Medikamenten sind mögliche Verursacher.
„Ganz wichtig ist eine exakte Abklärung der Harninkontinenz, um die richtige Therapie einzuleiten“, sagt Bodner-Adler. Zunächst muss mittels Harnuntersuchung ein Harnwegsinfekt ausgeschlossen werden. Auch das Harngewicht muss bestimmt werden, da dieses einen Hinweis auf Harnsteine geben kann. Leonhartsberger dazu: „Auch Harnsteine können Harndrang verursachen“. Um positiv falsche Befunde zu vermeiden, sollte die Frau den Intimbereich vor der Harnabgabe desinfizieren, rät der Experte. Bei der Anamnese sollten auch die Medikamenteneinnahme, Schwangerschaften, der Body Mass Index, Vorerkrankungen, Operationen oder Bestrahlungen im Blasenbereich abgefragt werden. Leonhartsberger hält auch eine Ultraschalluntersuchung für wichtig, „um eventuell Restharn in der Blase zu sehen.“ Für Bodner-Adler stellt ein Blasentagebuch oder Miktionsprotokoll die Basis für Diagnose und Therapieeinstellung dar. Damit lasse sich das Ausmaß der Beeinträchtigung durch die Harninkontinenz „am verlässlichsten“ abschätzen. „Welche Therapie – von konservativ über minimal-invasiv bis zu operativ – man einsetzt, hängt einerseits von der Ursache der Inkontinenz ab, andererseits vom Grad der Einschränkung der Lebensqualität der Patientin“, erklärt Bodner-Adler. Sie weiß, dass viele Betroffene Vermeidungsstrategien entwickeln, um unangenehmen Situationen vorzubeugen. Keinesfalls sollte die Flüssigkeitszufuhr reduziert werden. Eineinhalb bis zwei Liter Flüssigkeit am Tag entsprechen der normalen Trinkmenge; das bedeutet zwischen fünf und acht Toilettengänge pro Tag.
Über Lebensstil-Modifikationen aufklären
Beckenbodentraining ist – bei Belastungsharninkontinenz – Maßnahme Nummer eins nach einer Aufklärung durch den behandelnden Arzt über die Modifikation des Lifestyles. „Vermeidbare Risikofaktoren sind Nikotinkonsum, Adipositas oder der Konsum von diuretisch wirkenden Getränken“, sagt Bodner-Adler. Das Beckenbodentraining sollte unter Anleitung erlernt werden, wobei die Übungen mindestens fünf Mal pro Woche dreimal täglich durchgeführt werden müssen. Nur dann ist Erfolg zu verzeichnen – und zwar frühestens nach drei Monaten. „Im Vergleich zu Placebo-Behandlung zeigte das Beckenbodentraining in Untersuchungen signifikanten Behandlungsvorteil“, so Bodner-Adler. Ist der postmenopausale Östrogenabfall der Grund für die Inkontinenz, wirken Hormoncremes lokal unterstützend.
Bei Dranginkontinenz empfiehlt Leonhartsberger eine medikamentöse Therapie: „Anticholinergika wie Trospiumchlorid, Tolterodin oder Solifenacin, die in Monotherapie oder als Kombination verschrieben werden, verhindern die unwillkürliche Kontraktion des Blasenmuskels.“ Er warnt aber vor Nebenwirkungen dieser kurzwirksamen Präparate: Es kann zur Verminderung von Speichel und Tränenflüssigkeit wie auch zu einem erhöhten Augendruck kommen. Zusätzlich können Unruhe und Verwirrtheit auftreten. „Bei Trospiumchlorid sind neurologische Nebenwirkungen selten, weshalb sie bei älteren Patientinnen bevorzugt werden“, so der Experte. Zunächst funktioniert diese Medikation als Symptombekämpfung und wird üblicherweise für zwei bis drei Monate verordnet. Der positive Effekt kann auch durchaus noch nach dem Absetzen des Medikaments beibehalten werden, da das Fassungsvermögen der Blase durch den jeweils später einsetzenden Harndrang wieder gesteigert wird. „Anticholinergika können aber auch als Dauermedikation eingesetzt werden“, versichert Leonhartsberger.
Bodner-Adler empfiehlt auch minimalinvasive Eingriffe wie Bulkamid-Injektionen bei Belastungsinkontinenz oder Botox-Instillationen bei überaktiver Blase. Als Goldstandard der operativen Therapie bei Belastungsharninkontinenz nennt sie die suburethrale Schlingenoperation oder „Tension free Vaginal Tape“: „Dabei wird ein Polypropylen Mesh unter die Harnröhre eingesetzt, sodass die Schwachstelle unterstützt wird. Es verhindert bei allen Situationen, in denen der Druck im Bauchraum größer ist als in der Blase wie beim Niesen, Husten oder Hüpfen den Harnverlust.“ Dieser Eingriff zeige auch noch nach 17 bis 20 Jahren exzellente Ergebnisse mit einer subjektiven und objektiven Erfolgsrate von mehr als 80 Prozent, wie die Expertin betont.
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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 /25.03.2023
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