Medizin & Wissenschaft

Dysphagie: Warnsymptom und Prädiktor

Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Schluckstörungen, die sich allmählich entwickeln, können auf Reflux und entzündungsbedingte Stenosen im Ösophagus hindeuten. In der Neurologie wird die Dysphagie nach einem Schlaganfall oft übersehen – und sie gilt als Prädiktor für ein schlechtes Outcome bezüglich der Mortalität.

von Martin Schiller

Dysphagie kann ein Warnsymptom für verschiedene zugrundeliegende Erkrankungen sein. „Bei jeglichen Schluckbeschwerden sollte eine Gastroskopie zur Abklärung erfolgen“, sagt Univ. Prof. Johannes Zacherl, Leiter der Abteilung für Chirurgie am St. Josef Krankenhaus Wien. Eine Ausnahme würden ältere Schlaganfallpatienten darstellen: „In solchen Fällen ist die Schluckstörung in der Regel eine neurologisch nachvollziehbare Transportstörung im Schlundbereich und eine Gastroskopie zur weiteren Abklärung nicht unbedingt nötig.“

Eine häufige Ursache für eine Dysphagie ist die gastroösophageale Refluxerkrankung (GERD). „Ein klassisches Symptom bei Reflux ist das Globusgefühl. Es kann sein, dass sich dieses Gefühl beim Schlucken verstärkt und der Patient den Eindruck hat, die Nahrung würde steckenbleiben, was aber nicht der Fall ist. Es handelt sich vielmehr um eine Irritation der Wahrnehmung in der Speiseröhre, die durch das Refluat ausgelöst wird“, erklärt Zacherl. Regelmäßig sei bei Refluxpatienten auch eine unspezifische Motilitätsstörung des Ösophagus zu beobachten, was wiederum zu einer Dysphagie beitragen könne. Die zur Verhinderung von Reflux durchgeführte Fundoplicatio kann bei manchen Patienten ebenfalls zu Problemen führen. „Schluckstörungen hängen in diesen Fällen davon ab, ob bei der Operation die gesamte Circumferenz der Speiseröhre mit dem Fundus umfasst wird. Je mehr davon überdeckt ist, desto eher tritt die Dysphagie auf“, sagt Zacherl. Allerdings bessere sich die Schluckfunktion nach einigen Wochen oder Monaten wieder. Sollte dies nicht im gewünschten Ausmaß der Fall sein, steht mit der Ballondilatation eine Methode zur Verfügung, das Problem zu beheben. Nur „in wenigen Fällen“ (Zacherl) sei ein erneuter chirurgischer Eingriff notwendig, um die Dysphagie zu beheben, indem man von einer Vollmanschette zu einer teilweisen Anti-Reflux-Plastik übergeht.

Ein weiterer möglicher Grund für eine Schluckstörung ist das Vorliegen einer peptischen Stenose, die wiederum in Zusammenhang mit dem Reflux steht, wie Zacherl weiter ausführt: „Eine peptische Stenose kann als Folge einer Entzündung der unteren Speiseröhre auftreten. Das Einwirken der Salzsäure aus dem Magen führt zur narbigen Abheilung der Wunden im Ösophagus.“

Das ringförmige Zusammenziehen solcher vernarbter Wunden verursache dann die Engstelle. Mittels Gastroskopie und Schluckröntgen könnten derartige Stenosen gut erkannt werden. Ballondilatation und Bougierung sind bei vernarbten Engstellen die Therapien der Wahl. Bei der Bougierung werden konische Stifte (Bougies) durch einen durch die Engstelle platzierten Führungsdraht geführt und sorgen durch ihren ansteigenden Durchmesser für die Aufdehnung.

Maligne Tumore als mögliche Ursache

Auch maligne Tumore müssen als Ursache einer Dysphagie in Betracht gezogen werden, am häufigsten Plattenepithelkarzinome und Adenokarzinome. „Das Plattenepithelkarzinom ist meistens die Folge von Langzeit-Alkoholabusus und Nikotinkonsum – zwei Risikofaktoren, die in solchen Fällen meist in Kombination auftreten“, sagt Zacherl. Die Patienten würden vielfach auch unter Mangel- oder Fehlernährung leiden. Bei der Pathogenese des Adenokarzinoms ist wiederum die gastroösophageale Refluxerkrankung ein wesentlicher Faktor. „Es handelt sich um ein klassisch westliches Problem“, sagt Zacherl und betont, dass Übergewicht als zusätzlicher unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung eines Adenokarzinoms eingestuft wird. Das führende Symptom bei diesen Patienten sei in der Regel eine über Wochen zunehmend stärker werdende Schluckbehinderung bis hin zu Schmerzen beim Schluckakt. Außerdem komme es zu einem unerwünschten Gewichtsverlust.

Liegt eine Schluckstörung vor, ohne dass sich bei der Gastroskopie Auffälligkeiten ergeben haben, handelt es sich meist um eine Motilitätsstörung oder Peristaltikstörung der Speiseröhre. Die klassische Erkrankung ist laut Zacherl in diesem Zusammenhang die Achalasie: „In diesem Fall liegt keine peristaltische Muskelaktivität mehr vor.“ Der untere Sphinkter erschlafft nicht ausreichend, damit die Nahrung in den Magen gelangen kann. Zacherl weiter: „Gegebenenfalls wird sie wieder zurückgeworfen, allerdings ohne Beimengung von Magensäure.“ Das Zurückwerfen werde vom Patienten häufig als „Erbrechen“ beschrieben. Ein negativer Befund der Gastroskopie schließe die Achalasie nicht aus, weshalb die Diagnose manchmal mit einer zeitlichen Verzögerung gestellt wird.

In der Neurologie wiederum tritt die Dysphagie häufig als Folge eines Schlaganfalls auf; sie gilt als Prädiktor für ein schlechtes Outcome inklusive Mortalität. „In bis zu 50 Prozent der Fälle ist in der Erstphase des Schlaganfalls eine relevante Dysphagie vorhanden. Sie spielt in der Ersteinschätzung eine große Rolle. Wird sie übersehen, kann es zu Komplikationen wie Aspirationspneumonie kommen, die in einer Sepsis münden kann“, sagt Assoz. Prof. Thomas Gattringer von der Universitätsklinik für Neurologie an der Medizinischen Universität Graz. Fachgesellschaften, darunter auch die Österreichische Schlaganfallgesellschaft, empfehlen nach einem Schlaganfall daher ein Schluckscreening. Dies gilt jedoch nicht nur für die neurologische Erstbeurteilung, sondern auch weiterführend. Außerdem sollte laut Gattringer der neurologische Status im Hinblick auf eine Dysphagie erhoben werden. „Bestehen Auffälligkeiten bei Hirnnerven, die für eine Schluckstörung verantwortlich sein können? Liegen adäquate Schluckreflexe vor? Ist der Patient zum Beispiel in der Lage, seinen Speichel zu schlucken? Das sind ganz wesentliche Fragestellungen.“

Je nach Stroke Unit werden verschiedene Arten des Screenings durchgeführt. Weit verbreitet ist der Wasserschlucktest (Water Swallowing Test, WST), bei der ansteigende Mengen an Wasser getrunken werden, um etwaige Anzeichen für eine Dysphagie beziehungsweise ein Aspirationsrisiko zu ermitteln. Beim Mehrkonsistenzen-Screening hat sich auch international der in Österreich entwickelte GUSS-Test (Gugging Swallowing Screen) etabliert. Dabei werden nacheinander die Konsistenzen breiig, flüssig und fest verabreicht, um den Schweregrad der Dysphagie zu bestimmen. In gewissen Fällen ist jedoch laut Gattringer eine apparative Untersuchung notwendig: „Die größte Bedeutung hat diesbezüglich die funktionelle endoskopische Evaluation des Schluckens. Hier visualisiert man mit einem kleinen transnasal eingeführten Endoskop den Pharynx und Larynx und beobachtet so den Schluckvorgang. Im Speziellen achtet man auf Penetrations- und Aspirations-zeichen beziehungsweise ursächliche anatomische und funktionelle Veränderungen.“ Als zweite apparative Methode kommt die Videofluoroskopie zum Einsatz; damit kann die ösophageale Phase des Schluckvorgangs besser überprüft werden.

Dysphagie bei MS und Demenz

Die neurogene Dysphagie ist nicht nur eine Folge des Schlaganfalls, sondern trete auch bei zahlreichen anderen neurologischen Erkrankungen gehäuft auf, wie Gattringer erläutert. Demnach haben Personen die an M. Parkinson oder Demenz leiden, ein erhöhtes Risiko für Störungen der Schluckfunktion, ebenso auch Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen wie Myasthenia gravis oder Amyotropher Lateralsklerose. Auch bei Multipler Sklerose kann es zu relevanten Schluckstörungen kommen. Außerdem besteht bei Schädel-Hirn-Traumen und nach einer Langzeitbeatmung auf der Intensivstation ein erhöhtes Risiko („Critical Illness Neuromyopathie“).

Neurogene Dysphagien können viele Prozesse und alle Phasen des Schluckakts betreffen, weiß der Experte. „Sind bestimmte Areale der Hirnrinde betroffen, kann sich eine Apraxie entwickeln, bei der Patienten keinen gezielten Schluckakt mehr ausführen können.“ Bei anderen Läsionsarten wiederum kann es zur Schädigung von Hirnarealen und Hirnnerven kommen, die den Schluckakt triggern, einleiten und koordinieren. Eine weitere Form der neurogenen Dysphagie äußert sich in einer schwachen Muskulatur, wodurch der Bolus nicht mehr adäquat transportiert werden kann.

Die Therapie der neurogenen Dysphagie erfordert gezielte Schlucktrainings durch Logopäden. In bestimmten Subgruppen von Patienten (zum Beispiel bei Schlaganfallpatienten) können innovative apparative Therapiekonzepte wie die pharyngeale Elektrostimulation zum Einsatz kommen.

Für die laufende Betreuung der Patienten verweist Gattringer auf eine gute Mund- und Zahnhygiene als Basismaßnahme bei Schluckstörungen: „Damit kann verhindert werden, dass Bakterien durch den infektiösen Speichel zu Infekten wie Pneumonien führen.“ Auch sei anzuraten, regelmäßig Kontrolluntersuchungen durchzuführen, im Zuge derer der Langzeitverlauf der Schluckfunktion inklusive Anzeichen für Mangelernährung und Aspirationsrisiko und dadurch ableitbare etwaige weiterführende therapeutische Maßnahmen überprüft werden.

Diskrepanzen in der Wahrnehmung

Zwischen der Patienteneinschätzung einer Schluckstörung und der medizinischen Einordnung bestehen häufig Diskrepanzen. „Viele Patienten geben etwa an, keine Schluckprobleme zu haben, wenn sie in der unteren Speiseröhre einen Widerstand beim Schlucken spüren“, berichtet Zacherl. Auch das subjektive Schmerzempfinden und das Gefühl des Steckenbleibens von Nahrung weichen von der tatsächlichen Lokalisation ab. „Ein Brennen oder Schmerzen bei einer Ösophagitis spürt der Patient eher oben im Jugulum, obwohl es tatsächlich weiter unten auftritt“, sagt Zacherl. Dies sei embryologisch erklärbar: „Die Speiseröhre wächst in der embryonalen Entwicklung von oben nach unten und dementsprechend werden die Nerven vom Halsbereich hinuntergezogen. Der Körper glaubt deshalb, das Problem liegt weiter oben als es tatsächlich ist.“


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 /25.06.2023
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