Medizin & Wissenschaft

Schizophrenie: Warnsignale erkennen

Lesezeit: 4 Minuten Quelle: Österreichische Ärztezeitung

Wenn wahnhafte Ideen keinen Mode-Erscheinungen unterworfen und dauerhaft vorhanden sind, sollte man an Schizophrenie denken. Typische Vorboten sind weiters sozialer Rückzug und ein Leistungsknick. Die Lebenserwartung von Menschen, die an Schizophrenie leiden, ist um rund 15 Jahre kürzer als die von Gesunden.

von Julia Fleiß

Der Erkrankungspeak der Schizophrenie liegt um das 20. Lebensjahr, eine Phase, in der ein verändertes Verhalten nicht immer besorgniserregend sein muss. Um die Prognose der Erkrankung positiv zu beeinflussen, ist die Früherkennung aber essentiell. „In Studien zeigt sich auf Bildgebungsebene, dass die frühzeitige Behandlung der Schizophrenie die Prognose verbessern und den Veränderungen im Gehirn entgegenwirken kann“, sagt Univ. Prof. Dan Rujescu von der Klinischen Abteilung für Allgemeine Psychiatrie an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des AKH Wien. Bei Schizophrenie handelt es sich zwar um eine klinische Diagnose. Allerdings gäbe es Hinweise, so Rujescu, dass sich die Gehirne von Betroffenen von Gesunden geringfügig unterscheiden.

„Vermeintliche Schizophrenie-Frühwarnsignale sind nicht selten. Nur etwa 20 Prozent derer, die Symptome wie bizarre Ideen, Unruhe, Konzentrationsstörungen und Verschlossenheit gegenüber anderen aufweisen, entwickeln eine Schizophrenie“, erklärt Univ. Prof. Wolfgang Fleischhacker von der Medizinischen Universität Innsbruck. Wann sollte man an Schizophrenie denken? „Der Unterschied zum normalen Verhalten in der Adoleszenz ist, dass die wahnhaften Ideen anhalten, keiner Modeerscheinung unterworfen sind und nicht vom engsten Freundeskreis geteilt werden“, so Fleischhacker. Typisch für Schizophrenie im Frühstadium ist eine progrediente Verschlechterung der Symptome.

Die erste akute Episode der Schizophrenie tritt oft erst Jahre nach Beginn der Prodromalphase auf. Es stellen sich Positiv-Symptome ein, die der Betroffene als Chaos im eigenen Kopf nicht mehr kontrollieren kann. Die Patienten haben akustische und visuelle Halluzinationen und zeigen Wahnbilder. Die paranoide Schizophrenie zählt zu den häufigsten Arten der Erkrankung. Es kommt zu Ich-Störungen, sodass Betroffene mitunter meinen, die Gedanken anderer lesen zu können. Zusätzlich zeigen sich Schlafstörungen, es kommt zum sozialen Rückzug, Denkstörungen und Negativsymptomatik. „Es ist wichtig, bei Schizophrenie-Kranken nach Suizidalität zu fragen. Diese Frage löst keine Suizidalität aus“, versichert Rujescu. Bei Verdacht auf Schizophrenie sollte der Allgemeinmediziner „auf jeden Fall“ zum Facharzt überweisen, wie der Experte betont.

Nicht heilbar, gut behandelbar

„Wir können in der Medizin wahrscheinlich 80 Prozent aller Erkrankungen sehr gut behandeln, aber nicht heilen. Das gilt ebenso für Schizophrenie“, konstatiert Fleischhacker. Demnach besteht die Behandlung der Schizophrenie aus zwei Säulen: der medikamentösen und der psychosozialen. Beide Experten sind sich einig darin, dass die Behandlung mit Antipsychotika die wichtigste Maßnahme ist. „Am besten wirken diese Medikamente gegen Wahnideen und Halluzinationen, die oft auch zu großer Angst führen“, erklärt Fleischhacker.

Die Positivsymptome sind der Grund dafür, wieso Betroffene, die keine Behandlung erhalten, früher oder später stationär aufgenommen werden müssen. Dazu Rujescu: „Gerade die Positivsymptomatik ist durch die Gabe von Antipsychotika sehr gut behandelbar. Problematisch sind die Negativsymptome, die soziale Verarmung der Betroffenen.“

In Österreich steht für die Behandlung eine breite Palette von Antipsychotika zur Verfügung. Die Empfehlung von Fleischhacker: „Der Allgemeinmediziner sollte sich mit einigen dieser Antipsychotika vertraut machen, um etwa beim Auftreten von Nebenwirkungen oder Rest-Symptomen rasch eine Alternative parat zu haben.“ Die Nebenwirkungen bei Präparaten der neuen Generation haben sich deutlich verringert, vor allem die extrapyramidal-motorischen Störungen. Das größte Problem ist weiterhin die Gewichtszunahme und Stoffwechselstörungen bis hin zum Diabetes mellitus.

Depotmedikation bevorzugen

„Die besten Medikamente helfen nicht, wenn sie nicht eingenommen werden. Das eigenständige Absetzen ist bei Schizophrenen sehr verbreitet. Vorbeugen kann man mit der Depotmedikation“, betont Rujescu. Beide Experten betonen, dass man immer an die Möglichkeit der Verabreichung von Depot-Antipsychotika denken sollte. Die neueren Depotpräparate haben längere Verabreichungsintervalle: Sie liegen zwischen zwei Wochen und sechs Monaten. Bei den Nebenwirkungen gibt es im Hinblick auf die Verabreichungsform keine Unterschiede. Die Depotspritze hat jedoch den Vorteil, dass die Betroffenen nicht täglich an die Einnahme des Medikaments denken müssen – und der Arzt hat „eine gewisse Kontrolle“ über die Medikation, so Rujescu.

Die Exazerbation erfolgt meist aufgrund des – eigenmächtigen – Absetzens der Medikamente. Den Begriff „Drehtürpsychiatrie“ weist Fleischhacker entschieden zurück: „Natürlich kommen Patienten immer wieder, so wie bei allen chronischen Erkrankungen.“ Auch als stressvoll erlebte Situationen können zum Ausbruch einer neuerlichen Episode führen. Hier spiele ein gutes Arzt-Patienten-Verhältnis eine entscheidende Rolle bei der Langzeitbetreuung von Patienten, die an Schizophrenie leiden. Fleischhacker weiter: „Das ist eine wichtige Voraussetzung für die Therapietreue des Patienten, auch weil die Krankheitseinsicht bei Schizophrenen oft gering ist“. Der Hausarzt sollte genau auf auffällige Verhaltensweisen von Betroffenen achten.

Bei denjenigen, die medikamentös eingestellt sind, sollte – auch bei Beschwerdefreiheit – alle sechs Monate ein Blutbild und EKG veranlasst sowie der Blutdruck gemessen werden.

Im Gegensatz zu früher leben an Schizophrenie Erkrankte heutzutage kaum noch in stationären Einrichtungen. Sie leben oft bei ihren Eltern ober in betreuten Wohngemeinschaften, manche haben Familien und gehen einer geregelten beruflichen Tätigkeit nach. Rujescu ergänzt: „Statistisch gesehen ist die Prognose umso besser, je später und florider die Krankheit beginnt. Aber der genaue Verlauf ist nie vorhersehbar.“ Prinzipiell gilt: Beim erstmaligen Auftreten der Erkrankung sollte man die Patienten bis zu zwei Jahre antipsychotisch abschirmen. Bei symptomfreien Betroffenen kann ein Ausschleich-Versuch erfolgen. Etwa 15 Prozent der Betroffenen werden nach der Erstmanifestation nie wieder krank. Bei den Übrigen ist innerhalb von zwei Jahren ein Rückfall zu erwarten.

Bei einer genetischen Veranlagung für eine Schizophrenie sollten Frühhinweise besonders ernst genommen werden. „Bei Schizophrenie liegt die Heredität bei 80 Prozent, bei Depressionen bei 40 Prozent“, weiß Rujescu. Das bedeute nicht, dass ein Kind mit einem an Schizophrenie erkrankten Elternteil automatisch auch erkrankt, aber „das Risiko ist einfach höher“, betont der Experte. Krankheitsbegünstigende Umweltfaktoren sind weiters pränatale Infektionen; Wegbereiter können auch Urbanizität, psychosozialer Stress oder Drogenmissbrauch sein.

Facts

Die Lebenserwartung von Menschen, die an Schizophrenie leiden, ist um bis zu 15 Jahre verkürzt.

Folgende Faktoren können die Ursache dafür sein:

  • Bewegungsmangel

  • ungesunde Ernährung

  • Stoffwechselstörungen

  • Spätfolgen des Rauchens

  • erhöhte Suizidrate

  • Ärzte überweisen Patienten mit Schizophrenie bei somatischen Beschwerden seltener zu abklärenden Untersuchungen

Empfohlene Verlaufskontrollen:

  • Blutbildkontrolle: Leberwerte, Prolaktinspiegel, Blutzucker etc.
  • Hinweise auf metabolische Nebenwirkungen (Blutdruck, Blutfette, Gewicht etc.)
  • EKG
  • Hinweise auf extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen


Bildquellen & Copyright

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 /10.10.2022
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